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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Stadt hineinzieht. Wir sind erwacht von dem Geräusch des regen Verkehrs,
von dem Lärm rollender Wagen und der Verkäufer, die ihre Waaren mit lau¬
ter Stimme ausrufen; die Morgensonne scheint freundlich in unser Zimmer
hinein, wir treten ans Fenster, öffnen dasselbe, um die kühlende, erfrischende
Luft eindringen zu lassen.

Vor uns baut sich auf dem Nordabhcmge des Quirinal der prächtige
Palast Barberini auf, alle anderen Gebäude der Nachbarschaft weit überragend,
die Häuser, welche den Platz einfassen, haben ein freundliches Aussehet; zu
ebener Erde Bildhauerateliers, Cas6s, kleine Läden von Handwerkern, Bäckern,
Schlächtern ze.; das erste und zweite Stockwerk von Fremden bewohnt, was
aber keineswegs hindert, daß zu allen Fenstern Bettwäsche und Leibwäsche bei¬
derlei Geschlechts hinaushängt; dem Himmel zunächst die großen Bogenfenster
von Malerateliers. In den Hausthüren stehen Frauen und Mädchen, welche
ihr volles, schwarzes Haar kämmen und ganz ungenirt ihre Morgentoilette
beenden; Handwerker arbeiten vor den Thüren im Freien-; hier ein Schuster,
umgeben von Hügeln alten Schuhwerks, er im lauten Selbstgespräch; dort ein
Tischler, noch weiter ein Böttcher. Am Fuße der Häuser haben sich Boutiquen
von Straßenküchen, Grünzeug und Obsthändlern etablirt, vor denen ein reger
Verkehr von Landleuten und Dienstmägden stattfindet. An einer Stelle, wo sie
den Raum freigelassen haben, steht mißmuthig herabhängenden Hauptes, aus
einer mageren Streu ein rauhhaariges Maulthier, dessen Hautfarbe man wegen
des anklebenden Schmutzes nicht erkennen kann; da ist unter freiem Himmel,
trotz Frost, Regen und Unwetter des Thieres Nachtquartier den ganzen Winter
hindurch gewesen, nachdem es die mühevolle Arbeit des Tages vollbracht hatte,
und das seines Herren in der Nähe unter dem Karren. In der Mitte des
Platzes sprudelt die Fontaine del Tritone, das Meisterwerk des barocken Ber¬
nini, ihren dünnen Wasserstrahl hoch in die Luft; der Boden ist eingesunken
und bildet eine sumpfige Pfütze, zu welcher Pferde, Ochsen, Esel und Maul¬
thiere zur Tränke gebracht werden. Ein Verkäufer alter und neuer Kleidungs¬
stücke hat sich aus der Einfassung des Bassins niedergelassen, ist in eifriger
Unterhandlung mit einem Trupp von Landleuten begriffen, deren einer soeben
ein Paar Hosen anprobirt. Zahlreiche Ausrufer bewegen sich über den Platz:
"Ricottg. treseal" eine Lieblingsspeise der Italiener, "Deeolo xeses! üeevlo
travols!" so die Verkäufer von Fischen oder Kirschen; "La-ase vol' xs-Ärons in
vasa!" d. h. "Kirschen mit dem Herrn (Made) im Hause", auch ein Vorzug,
den nur Italiener zu würdigen verstehen; und an dem Tonfalle des gesang¬
artigen Rufes erkennt man den Verkaussartikel, ohne die Worte zu verstehen.
Mit furchtbar gellender Stimme tragen die Weiber Grünzeug und Brod herum;
alle Lebensbedürfnisse werden ins Haus gebracht, denn die Sitte beschränkt das
Auslaufen weiblicher Dienstboten auf ein Minimum, und beim Miethen der-


Stadt hineinzieht. Wir sind erwacht von dem Geräusch des regen Verkehrs,
von dem Lärm rollender Wagen und der Verkäufer, die ihre Waaren mit lau¬
ter Stimme ausrufen; die Morgensonne scheint freundlich in unser Zimmer
hinein, wir treten ans Fenster, öffnen dasselbe, um die kühlende, erfrischende
Luft eindringen zu lassen.

Vor uns baut sich auf dem Nordabhcmge des Quirinal der prächtige
Palast Barberini auf, alle anderen Gebäude der Nachbarschaft weit überragend,
die Häuser, welche den Platz einfassen, haben ein freundliches Aussehet; zu
ebener Erde Bildhauerateliers, Cas6s, kleine Läden von Handwerkern, Bäckern,
Schlächtern ze.; das erste und zweite Stockwerk von Fremden bewohnt, was
aber keineswegs hindert, daß zu allen Fenstern Bettwäsche und Leibwäsche bei¬
derlei Geschlechts hinaushängt; dem Himmel zunächst die großen Bogenfenster
von Malerateliers. In den Hausthüren stehen Frauen und Mädchen, welche
ihr volles, schwarzes Haar kämmen und ganz ungenirt ihre Morgentoilette
beenden; Handwerker arbeiten vor den Thüren im Freien-; hier ein Schuster,
umgeben von Hügeln alten Schuhwerks, er im lauten Selbstgespräch; dort ein
Tischler, noch weiter ein Böttcher. Am Fuße der Häuser haben sich Boutiquen
von Straßenküchen, Grünzeug und Obsthändlern etablirt, vor denen ein reger
Verkehr von Landleuten und Dienstmägden stattfindet. An einer Stelle, wo sie
den Raum freigelassen haben, steht mißmuthig herabhängenden Hauptes, aus
einer mageren Streu ein rauhhaariges Maulthier, dessen Hautfarbe man wegen
des anklebenden Schmutzes nicht erkennen kann; da ist unter freiem Himmel,
trotz Frost, Regen und Unwetter des Thieres Nachtquartier den ganzen Winter
hindurch gewesen, nachdem es die mühevolle Arbeit des Tages vollbracht hatte,
und das seines Herren in der Nähe unter dem Karren. In der Mitte des
Platzes sprudelt die Fontaine del Tritone, das Meisterwerk des barocken Ber¬
nini, ihren dünnen Wasserstrahl hoch in die Luft; der Boden ist eingesunken
und bildet eine sumpfige Pfütze, zu welcher Pferde, Ochsen, Esel und Maul¬
thiere zur Tränke gebracht werden. Ein Verkäufer alter und neuer Kleidungs¬
stücke hat sich aus der Einfassung des Bassins niedergelassen, ist in eifriger
Unterhandlung mit einem Trupp von Landleuten begriffen, deren einer soeben
ein Paar Hosen anprobirt. Zahlreiche Ausrufer bewegen sich über den Platz:
„Ricottg. treseal" eine Lieblingsspeise der Italiener, „Deeolo xeses! üeevlo
travols!" so die Verkäufer von Fischen oder Kirschen; „La-ase vol' xs-Ärons in
vasa!" d. h. „Kirschen mit dem Herrn (Made) im Hause", auch ein Vorzug,
den nur Italiener zu würdigen verstehen; und an dem Tonfalle des gesang¬
artigen Rufes erkennt man den Verkaussartikel, ohne die Worte zu verstehen.
Mit furchtbar gellender Stimme tragen die Weiber Grünzeug und Brod herum;
alle Lebensbedürfnisse werden ins Haus gebracht, denn die Sitte beschränkt das
Auslaufen weiblicher Dienstboten auf ein Minimum, und beim Miethen der-


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[0434] Stadt hineinzieht. Wir sind erwacht von dem Geräusch des regen Verkehrs, von dem Lärm rollender Wagen und der Verkäufer, die ihre Waaren mit lau¬ ter Stimme ausrufen; die Morgensonne scheint freundlich in unser Zimmer hinein, wir treten ans Fenster, öffnen dasselbe, um die kühlende, erfrischende Luft eindringen zu lassen. Vor uns baut sich auf dem Nordabhcmge des Quirinal der prächtige Palast Barberini auf, alle anderen Gebäude der Nachbarschaft weit überragend, die Häuser, welche den Platz einfassen, haben ein freundliches Aussehet; zu ebener Erde Bildhauerateliers, Cas6s, kleine Läden von Handwerkern, Bäckern, Schlächtern ze.; das erste und zweite Stockwerk von Fremden bewohnt, was aber keineswegs hindert, daß zu allen Fenstern Bettwäsche und Leibwäsche bei¬ derlei Geschlechts hinaushängt; dem Himmel zunächst die großen Bogenfenster von Malerateliers. In den Hausthüren stehen Frauen und Mädchen, welche ihr volles, schwarzes Haar kämmen und ganz ungenirt ihre Morgentoilette beenden; Handwerker arbeiten vor den Thüren im Freien-; hier ein Schuster, umgeben von Hügeln alten Schuhwerks, er im lauten Selbstgespräch; dort ein Tischler, noch weiter ein Böttcher. Am Fuße der Häuser haben sich Boutiquen von Straßenküchen, Grünzeug und Obsthändlern etablirt, vor denen ein reger Verkehr von Landleuten und Dienstmägden stattfindet. An einer Stelle, wo sie den Raum freigelassen haben, steht mißmuthig herabhängenden Hauptes, aus einer mageren Streu ein rauhhaariges Maulthier, dessen Hautfarbe man wegen des anklebenden Schmutzes nicht erkennen kann; da ist unter freiem Himmel, trotz Frost, Regen und Unwetter des Thieres Nachtquartier den ganzen Winter hindurch gewesen, nachdem es die mühevolle Arbeit des Tages vollbracht hatte, und das seines Herren in der Nähe unter dem Karren. In der Mitte des Platzes sprudelt die Fontaine del Tritone, das Meisterwerk des barocken Ber¬ nini, ihren dünnen Wasserstrahl hoch in die Luft; der Boden ist eingesunken und bildet eine sumpfige Pfütze, zu welcher Pferde, Ochsen, Esel und Maul¬ thiere zur Tränke gebracht werden. Ein Verkäufer alter und neuer Kleidungs¬ stücke hat sich aus der Einfassung des Bassins niedergelassen, ist in eifriger Unterhandlung mit einem Trupp von Landleuten begriffen, deren einer soeben ein Paar Hosen anprobirt. Zahlreiche Ausrufer bewegen sich über den Platz: „Ricottg. treseal" eine Lieblingsspeise der Italiener, „Deeolo xeses! üeevlo travols!" so die Verkäufer von Fischen oder Kirschen; „La-ase vol' xs-Ärons in vasa!" d. h. „Kirschen mit dem Herrn (Made) im Hause", auch ein Vorzug, den nur Italiener zu würdigen verstehen; und an dem Tonfalle des gesang¬ artigen Rufes erkennt man den Verkaussartikel, ohne die Worte zu verstehen. Mit furchtbar gellender Stimme tragen die Weiber Grünzeug und Brod herum; alle Lebensbedürfnisse werden ins Haus gebracht, denn die Sitte beschränkt das Auslaufen weiblicher Dienstboten auf ein Minimum, und beim Miethen der-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/434>, abgerufen am 25.08.2024.