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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Römisches Straßenleben.
i-

Keine Stadt des Kontinents hat eine so interessante Physiognomie wie
Rom. Der weite Mauernkreis umschließt drei in ihrem inneren und äußeren
Wesen durchaus verschiedene Städte. Die eleganteren, civilisixteren Stadttheile
in der Nähe des Corso, der Via Babuina, des Spanischen Platzes und aus den
Abhängen des Pincio zeigen meist breite Straßen, wohlgetünchte Häuser, Gas¬
beleuchtung, sauber gekleidete Menschen, viele und elegante Equipagen; eH ist
das Freudenviertel. Wendet man sich seitwärts in die Stadttheile des alten
Marsfeldes zwischen dem Aorso und der Tiber, in jenes Chaos von Gassen,
Gäßchen, kleinen Plätzen, fünf bis sechs Stock hohen Häusern, Schmutz- und Keh¬
richthaufen, so ist man mitten in dem lärmenden Treiben einer ächt römischen
Bevölkerung. Wo irgend Raum vorhanden, haben Trödler und Obsthändler
sich etablirt, die Parterres der Häuser sind abwechselnd zu unscheinbaren Läden,
dunklen Cafes und Trattorien, zu Stallungen, Waaren- und Wagenremisen,
Handwerksstätten :c. benutzt; zuweilen das geschwärzte, architektonisch prächtige
Portal eines Palazzo, der dem Wappen an den Mauern zufolge Eigenthum
einer Nepotenfamilie, oder auch Sitz irgend eines fremden Consuls ist;
zuweilen Reste antiken Mauerwerks, marmorne Säulen und Friese, häusig die
zopfige Facade einer Kirche. Aus allen Fenstern der höheren Stockwerke hängt
Wäsche auf langen Leinen, die mittelst hölzerner Stangen von den Mauern
abstehend erhalten werden, zum Trocknen hinaus, und trübe Fensterscheiben,
vergilbte Vorhänge lassen aus keine sehr wohlhabende Bevölkerung schließen.
Auf den Straßen mischt sich der Städter in gleicher Zahl mit dem Landmann;
Menschen, Thiere und Wagen drängen sich in regem Verkehr bunt durcheinan¬
der; trübe Oellanipen der Straßenbeleuchtung und vor den Heiligenbildern
dienen mehr dazu die Finsterniß erkennen zu lassen, als sie zu erhellen. Es
sind dies die Stadtviertel, in denen die Mittelclasse, die Handel und Gewerbe
treibende Bevölkerung wohnt. Die Stadttheile von Trastevere, al Monti. die
Villen und Vignen, die das große Trümmerfeld des Esquilin, Canio, Palatin und
Aventin bedecken, sind von der niederen städtischen oder einer durchaus länd¬
lichen Bevölkerung eingenommen; der Verkehr ist dort kein bedeutender, desto
größer aber Koth und Unrath in und außer den Häusern.

Es ist um die Zeit des Frühlingsanfangs, Morgens 7 Uhr. Wir wohnen
an,der Piazza Barberini, die in der Nähe des Fremdenviertels gelegen ist;
denn die Via Felice und ihre Fortsetzung, diei Via delle qucitro Fontane
durchschneiden sie, während von der anderen Seite, von der Ports Sakara und
Port" Pia her, der Verkehr des Campagnavolkes, das die Stadt mit Lebens-
mitteln versieht, sich über den Platz durch die Via del Tritone weiter in die


Grenzboten III. 1862. 54
Römisches Straßenleben.
i-

Keine Stadt des Kontinents hat eine so interessante Physiognomie wie
Rom. Der weite Mauernkreis umschließt drei in ihrem inneren und äußeren
Wesen durchaus verschiedene Städte. Die eleganteren, civilisixteren Stadttheile
in der Nähe des Corso, der Via Babuina, des Spanischen Platzes und aus den
Abhängen des Pincio zeigen meist breite Straßen, wohlgetünchte Häuser, Gas¬
beleuchtung, sauber gekleidete Menschen, viele und elegante Equipagen; eH ist
das Freudenviertel. Wendet man sich seitwärts in die Stadttheile des alten
Marsfeldes zwischen dem Aorso und der Tiber, in jenes Chaos von Gassen,
Gäßchen, kleinen Plätzen, fünf bis sechs Stock hohen Häusern, Schmutz- und Keh¬
richthaufen, so ist man mitten in dem lärmenden Treiben einer ächt römischen
Bevölkerung. Wo irgend Raum vorhanden, haben Trödler und Obsthändler
sich etablirt, die Parterres der Häuser sind abwechselnd zu unscheinbaren Läden,
dunklen Cafes und Trattorien, zu Stallungen, Waaren- und Wagenremisen,
Handwerksstätten :c. benutzt; zuweilen das geschwärzte, architektonisch prächtige
Portal eines Palazzo, der dem Wappen an den Mauern zufolge Eigenthum
einer Nepotenfamilie, oder auch Sitz irgend eines fremden Consuls ist;
zuweilen Reste antiken Mauerwerks, marmorne Säulen und Friese, häusig die
zopfige Facade einer Kirche. Aus allen Fenstern der höheren Stockwerke hängt
Wäsche auf langen Leinen, die mittelst hölzerner Stangen von den Mauern
abstehend erhalten werden, zum Trocknen hinaus, und trübe Fensterscheiben,
vergilbte Vorhänge lassen aus keine sehr wohlhabende Bevölkerung schließen.
Auf den Straßen mischt sich der Städter in gleicher Zahl mit dem Landmann;
Menschen, Thiere und Wagen drängen sich in regem Verkehr bunt durcheinan¬
der; trübe Oellanipen der Straßenbeleuchtung und vor den Heiligenbildern
dienen mehr dazu die Finsterniß erkennen zu lassen, als sie zu erhellen. Es
sind dies die Stadtviertel, in denen die Mittelclasse, die Handel und Gewerbe
treibende Bevölkerung wohnt. Die Stadttheile von Trastevere, al Monti. die
Villen und Vignen, die das große Trümmerfeld des Esquilin, Canio, Palatin und
Aventin bedecken, sind von der niederen städtischen oder einer durchaus länd¬
lichen Bevölkerung eingenommen; der Verkehr ist dort kein bedeutender, desto
größer aber Koth und Unrath in und außer den Häusern.

Es ist um die Zeit des Frühlingsanfangs, Morgens 7 Uhr. Wir wohnen
an,der Piazza Barberini, die in der Nähe des Fremdenviertels gelegen ist;
denn die Via Felice und ihre Fortsetzung, diei Via delle qucitro Fontane
durchschneiden sie, während von der anderen Seite, von der Ports Sakara und
Port« Pia her, der Verkehr des Campagnavolkes, das die Stadt mit Lebens-
mitteln versieht, sich über den Platz durch die Via del Tritone weiter in die


Grenzboten III. 1862. 54
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[0433] Römisches Straßenleben. i- Keine Stadt des Kontinents hat eine so interessante Physiognomie wie Rom. Der weite Mauernkreis umschließt drei in ihrem inneren und äußeren Wesen durchaus verschiedene Städte. Die eleganteren, civilisixteren Stadttheile in der Nähe des Corso, der Via Babuina, des Spanischen Platzes und aus den Abhängen des Pincio zeigen meist breite Straßen, wohlgetünchte Häuser, Gas¬ beleuchtung, sauber gekleidete Menschen, viele und elegante Equipagen; eH ist das Freudenviertel. Wendet man sich seitwärts in die Stadttheile des alten Marsfeldes zwischen dem Aorso und der Tiber, in jenes Chaos von Gassen, Gäßchen, kleinen Plätzen, fünf bis sechs Stock hohen Häusern, Schmutz- und Keh¬ richthaufen, so ist man mitten in dem lärmenden Treiben einer ächt römischen Bevölkerung. Wo irgend Raum vorhanden, haben Trödler und Obsthändler sich etablirt, die Parterres der Häuser sind abwechselnd zu unscheinbaren Läden, dunklen Cafes und Trattorien, zu Stallungen, Waaren- und Wagenremisen, Handwerksstätten :c. benutzt; zuweilen das geschwärzte, architektonisch prächtige Portal eines Palazzo, der dem Wappen an den Mauern zufolge Eigenthum einer Nepotenfamilie, oder auch Sitz irgend eines fremden Consuls ist; zuweilen Reste antiken Mauerwerks, marmorne Säulen und Friese, häusig die zopfige Facade einer Kirche. Aus allen Fenstern der höheren Stockwerke hängt Wäsche auf langen Leinen, die mittelst hölzerner Stangen von den Mauern abstehend erhalten werden, zum Trocknen hinaus, und trübe Fensterscheiben, vergilbte Vorhänge lassen aus keine sehr wohlhabende Bevölkerung schließen. Auf den Straßen mischt sich der Städter in gleicher Zahl mit dem Landmann; Menschen, Thiere und Wagen drängen sich in regem Verkehr bunt durcheinan¬ der; trübe Oellanipen der Straßenbeleuchtung und vor den Heiligenbildern dienen mehr dazu die Finsterniß erkennen zu lassen, als sie zu erhellen. Es sind dies die Stadtviertel, in denen die Mittelclasse, die Handel und Gewerbe treibende Bevölkerung wohnt. Die Stadttheile von Trastevere, al Monti. die Villen und Vignen, die das große Trümmerfeld des Esquilin, Canio, Palatin und Aventin bedecken, sind von der niederen städtischen oder einer durchaus länd¬ lichen Bevölkerung eingenommen; der Verkehr ist dort kein bedeutender, desto größer aber Koth und Unrath in und außer den Häusern. Es ist um die Zeit des Frühlingsanfangs, Morgens 7 Uhr. Wir wohnen an,der Piazza Barberini, die in der Nähe des Fremdenviertels gelegen ist; denn die Via Felice und ihre Fortsetzung, diei Via delle qucitro Fontane durchschneiden sie, während von der anderen Seite, von der Ports Sakara und Port« Pia her, der Verkehr des Campagnavolkes, das die Stadt mit Lebens- mitteln versieht, sich über den Platz durch die Via del Tritone weiter in die Grenzboten III. 1862. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/433>, abgerufen am 25.08.2024.