Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eigen Enge seiner Provinz hinausreißt in die ungeheure Verwirrung der Reichs-
politik. Und ferner, wir verlangen theilzunehmen an den politischen Planen,
die fortan Ludwigs Thaten bestimmen. Jenes zu schildern hat der Dichter
kaum versucht, diese Theilnahme zu erwecken nimmt er mindestens einen An¬
lauf. sollen wir einen politischen Gedanken nicht blos mit dem Hirn ver¬
stehen, nein, leidenschaftlich uns für ihn begeistern, dann müssen wir sehen, wie
sein Gegensatz entsittlichend auf die Menschen wirkt. Jedermann mag diese
dem Künstler wichtige Wahrheit alltäglich beobachten an dem sicheren Gefühle
der Frauen, die lediglich durch eine schöne sittliche Entrüstung zum Verständniß
einer politischen Idee gebracht werden. Will also der Dichter uns die poli¬
tische Nothwendigkeit poetisch erklären, daß Ludwig, der Freundschaft zum Trotz,
festhalte an der königlichen Würde, so soll er uns die sittliche Verwilderung
des meisterlosen Reiches zeigen. Er muß -- mag sich dies noch so schwer
einfügen in den Bau des Drama's -- uns schauen lassen, wie das Reich, zer¬
fleischt von seinen Söhnen, zuckend am Boden liegt, aufschreit nach eines Kö¬
nigs starker Hand. , Vielleicht hat Paul Heyse dies gefühlt. Er führt uns zu
Beginn des zweiten Auszugs während der Kaiserwahl auf die Frankfurter
Brücke. Kriegsknechte plündern--den Waffelnkorb einer Hökerin, zwölf
Batzen an Werth, und meinen lachend, das sei der Brauch in kaiserloscr Zeit!
O du gewaltiges Mittelalter unsrer Väter! Sind wir nachgebornen wirklich
so lendenlahm, so nervenschwach, daß wir Deine unbändige Sinnenlust, Deine
gräßliche Wildheit nur in der Form eines Waffelndiebstahls, zwölf Batzen an
Werth, ertragen können? Lassen wir uns belehren von diesen wohlerzogenen
Poeten: wir irrten, wenn wir meinten, es sei des Dichters schönes Recke, alle
Kümmerniß und Leidenschaft, die im Leben nur getrübt und gedämpft erscheint,
zu verstärken und zu sammeln in erschütterndem Bilde. -- Währenddem ist
die Kaiserwahl vollzogen. Ludwig, von der Mehrheit gekürt, tritt in Sachsen-
hauser in das Zelt des Gegners und mahnt ihn zur Unterwerfung. Friedrich
hat das deutliche Gefühl seines Unrechts, aber die Erinnerung an Ludwigs
Verrath und das Zureden des Bruders und der Gemahlin hält seinen Trotz
aufrecht. Er verlangt ein Gottesgericht.


Da liegt mein Handschuh. Wenn in Wahrheit Du
Nie an der Freundschaft schlecht -- heb' ihn auf!

In diesem Augenblicke -- beginnen die Glocken von Se. Bcirtholomäi das
Festgeläut, und die Bürger Frankfurts grüßen Ludwig als König. Also durch
die handgreiflichsten Mittel an seine Würde erinnert weigert er den Zweikampf,
und der Krieg ist erklärt.

Den ganzen dritten Act füllt mit undramatischer, eines Chronisten wür¬
diger Breite die Entscheidungsschlacht vor Ampsing. Abermals versucht der
Dichter eine dramatische Bewegung in der Seele des Helden hervorzurufen,


eigen Enge seiner Provinz hinausreißt in die ungeheure Verwirrung der Reichs-
politik. Und ferner, wir verlangen theilzunehmen an den politischen Planen,
die fortan Ludwigs Thaten bestimmen. Jenes zu schildern hat der Dichter
kaum versucht, diese Theilnahme zu erwecken nimmt er mindestens einen An¬
lauf. sollen wir einen politischen Gedanken nicht blos mit dem Hirn ver¬
stehen, nein, leidenschaftlich uns für ihn begeistern, dann müssen wir sehen, wie
sein Gegensatz entsittlichend auf die Menschen wirkt. Jedermann mag diese
dem Künstler wichtige Wahrheit alltäglich beobachten an dem sicheren Gefühle
der Frauen, die lediglich durch eine schöne sittliche Entrüstung zum Verständniß
einer politischen Idee gebracht werden. Will also der Dichter uns die poli¬
tische Nothwendigkeit poetisch erklären, daß Ludwig, der Freundschaft zum Trotz,
festhalte an der königlichen Würde, so soll er uns die sittliche Verwilderung
des meisterlosen Reiches zeigen. Er muß — mag sich dies noch so schwer
einfügen in den Bau des Drama's — uns schauen lassen, wie das Reich, zer¬
fleischt von seinen Söhnen, zuckend am Boden liegt, aufschreit nach eines Kö¬
nigs starker Hand. , Vielleicht hat Paul Heyse dies gefühlt. Er führt uns zu
Beginn des zweiten Auszugs während der Kaiserwahl auf die Frankfurter
Brücke. Kriegsknechte plündern--den Waffelnkorb einer Hökerin, zwölf
Batzen an Werth, und meinen lachend, das sei der Brauch in kaiserloscr Zeit!
O du gewaltiges Mittelalter unsrer Väter! Sind wir nachgebornen wirklich
so lendenlahm, so nervenschwach, daß wir Deine unbändige Sinnenlust, Deine
gräßliche Wildheit nur in der Form eines Waffelndiebstahls, zwölf Batzen an
Werth, ertragen können? Lassen wir uns belehren von diesen wohlerzogenen
Poeten: wir irrten, wenn wir meinten, es sei des Dichters schönes Recke, alle
Kümmerniß und Leidenschaft, die im Leben nur getrübt und gedämpft erscheint,
zu verstärken und zu sammeln in erschütterndem Bilde. — Währenddem ist
die Kaiserwahl vollzogen. Ludwig, von der Mehrheit gekürt, tritt in Sachsen-
hauser in das Zelt des Gegners und mahnt ihn zur Unterwerfung. Friedrich
hat das deutliche Gefühl seines Unrechts, aber die Erinnerung an Ludwigs
Verrath und das Zureden des Bruders und der Gemahlin hält seinen Trotz
aufrecht. Er verlangt ein Gottesgericht.


Da liegt mein Handschuh. Wenn in Wahrheit Du
Nie an der Freundschaft schlecht — heb' ihn auf!

In diesem Augenblicke — beginnen die Glocken von Se. Bcirtholomäi das
Festgeläut, und die Bürger Frankfurts grüßen Ludwig als König. Also durch
die handgreiflichsten Mittel an seine Würde erinnert weigert er den Zweikampf,
und der Krieg ist erklärt.

Den ganzen dritten Act füllt mit undramatischer, eines Chronisten wür¬
diger Breite die Entscheidungsschlacht vor Ampsing. Abermals versucht der
Dichter eine dramatische Bewegung in der Seele des Helden hervorzurufen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114742"/>
          <p xml:id="ID_1685" prev="#ID_1684"> eigen Enge seiner Provinz hinausreißt in die ungeheure Verwirrung der Reichs-<lb/>
politik. Und ferner, wir verlangen theilzunehmen an den politischen Planen,<lb/>
die fortan Ludwigs Thaten bestimmen. Jenes zu schildern hat der Dichter<lb/>
kaum versucht, diese Theilnahme zu erwecken nimmt er mindestens einen An¬<lb/>
lauf. sollen wir einen politischen Gedanken nicht blos mit dem Hirn ver¬<lb/>
stehen, nein, leidenschaftlich uns für ihn begeistern, dann müssen wir sehen, wie<lb/>
sein Gegensatz entsittlichend auf die Menschen wirkt. Jedermann mag diese<lb/>
dem Künstler wichtige Wahrheit alltäglich beobachten an dem sicheren Gefühle<lb/>
der Frauen, die lediglich durch eine schöne sittliche Entrüstung zum Verständniß<lb/>
einer politischen Idee gebracht werden. Will also der Dichter uns die poli¬<lb/>
tische Nothwendigkeit poetisch erklären, daß Ludwig, der Freundschaft zum Trotz,<lb/>
festhalte an der königlichen Würde, so soll er uns die sittliche Verwilderung<lb/>
des meisterlosen Reiches zeigen. Er muß &#x2014; mag sich dies noch so schwer<lb/>
einfügen in den Bau des Drama's &#x2014; uns schauen lassen, wie das Reich, zer¬<lb/>
fleischt von seinen Söhnen, zuckend am Boden liegt, aufschreit nach eines Kö¬<lb/>
nigs starker Hand. , Vielleicht hat Paul Heyse dies gefühlt. Er führt uns zu<lb/>
Beginn des zweiten Auszugs während der Kaiserwahl auf die Frankfurter<lb/>
Brücke.  Kriegsknechte plündern--den Waffelnkorb einer Hökerin, zwölf<lb/>
Batzen an Werth, und meinen lachend, das sei der Brauch in kaiserloscr Zeit!<lb/>
O du gewaltiges Mittelalter unsrer Väter! Sind wir nachgebornen wirklich<lb/>
so lendenlahm, so nervenschwach, daß wir Deine unbändige Sinnenlust, Deine<lb/>
gräßliche Wildheit nur in der Form eines Waffelndiebstahls, zwölf Batzen an<lb/>
Werth, ertragen können? Lassen wir uns belehren von diesen wohlerzogenen<lb/>
Poeten: wir irrten, wenn wir meinten, es sei des Dichters schönes Recke, alle<lb/>
Kümmerniß und Leidenschaft, die im Leben nur getrübt und gedämpft erscheint,<lb/>
zu verstärken und zu sammeln in erschütterndem Bilde. &#x2014; Währenddem ist<lb/>
die Kaiserwahl vollzogen. Ludwig, von der Mehrheit gekürt, tritt in Sachsen-<lb/>
hauser in das Zelt des Gegners und mahnt ihn zur Unterwerfung. Friedrich<lb/>
hat das deutliche Gefühl seines Unrechts, aber die Erinnerung an Ludwigs<lb/>
Verrath und das Zureden des Bruders und der Gemahlin hält seinen Trotz<lb/>
aufrecht.  Er verlangt ein Gottesgericht.</p><lb/>
          <quote> Da liegt mein Handschuh.  Wenn in Wahrheit Du<lb/>
Nie an der Freundschaft schlecht &#x2014; heb' ihn auf!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1686"> In diesem Augenblicke &#x2014; beginnen die Glocken von Se. Bcirtholomäi das<lb/>
Festgeläut, und die Bürger Frankfurts grüßen Ludwig als König. Also durch<lb/>
die handgreiflichsten Mittel an seine Würde erinnert weigert er den Zweikampf,<lb/>
und der Krieg ist erklärt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1687" next="#ID_1688"> Den ganzen dritten Act füllt mit undramatischer, eines Chronisten wür¬<lb/>
diger Breite die Entscheidungsschlacht vor Ampsing. Abermals versucht der<lb/>
Dichter eine dramatische Bewegung in der Seele des Helden hervorzurufen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0428] eigen Enge seiner Provinz hinausreißt in die ungeheure Verwirrung der Reichs- politik. Und ferner, wir verlangen theilzunehmen an den politischen Planen, die fortan Ludwigs Thaten bestimmen. Jenes zu schildern hat der Dichter kaum versucht, diese Theilnahme zu erwecken nimmt er mindestens einen An¬ lauf. sollen wir einen politischen Gedanken nicht blos mit dem Hirn ver¬ stehen, nein, leidenschaftlich uns für ihn begeistern, dann müssen wir sehen, wie sein Gegensatz entsittlichend auf die Menschen wirkt. Jedermann mag diese dem Künstler wichtige Wahrheit alltäglich beobachten an dem sicheren Gefühle der Frauen, die lediglich durch eine schöne sittliche Entrüstung zum Verständniß einer politischen Idee gebracht werden. Will also der Dichter uns die poli¬ tische Nothwendigkeit poetisch erklären, daß Ludwig, der Freundschaft zum Trotz, festhalte an der königlichen Würde, so soll er uns die sittliche Verwilderung des meisterlosen Reiches zeigen. Er muß — mag sich dies noch so schwer einfügen in den Bau des Drama's — uns schauen lassen, wie das Reich, zer¬ fleischt von seinen Söhnen, zuckend am Boden liegt, aufschreit nach eines Kö¬ nigs starker Hand. , Vielleicht hat Paul Heyse dies gefühlt. Er führt uns zu Beginn des zweiten Auszugs während der Kaiserwahl auf die Frankfurter Brücke. Kriegsknechte plündern--den Waffelnkorb einer Hökerin, zwölf Batzen an Werth, und meinen lachend, das sei der Brauch in kaiserloscr Zeit! O du gewaltiges Mittelalter unsrer Väter! Sind wir nachgebornen wirklich so lendenlahm, so nervenschwach, daß wir Deine unbändige Sinnenlust, Deine gräßliche Wildheit nur in der Form eines Waffelndiebstahls, zwölf Batzen an Werth, ertragen können? Lassen wir uns belehren von diesen wohlerzogenen Poeten: wir irrten, wenn wir meinten, es sei des Dichters schönes Recke, alle Kümmerniß und Leidenschaft, die im Leben nur getrübt und gedämpft erscheint, zu verstärken und zu sammeln in erschütterndem Bilde. — Währenddem ist die Kaiserwahl vollzogen. Ludwig, von der Mehrheit gekürt, tritt in Sachsen- hauser in das Zelt des Gegners und mahnt ihn zur Unterwerfung. Friedrich hat das deutliche Gefühl seines Unrechts, aber die Erinnerung an Ludwigs Verrath und das Zureden des Bruders und der Gemahlin hält seinen Trotz aufrecht. Er verlangt ein Gottesgericht. Da liegt mein Handschuh. Wenn in Wahrheit Du Nie an der Freundschaft schlecht — heb' ihn auf! In diesem Augenblicke — beginnen die Glocken von Se. Bcirtholomäi das Festgeläut, und die Bürger Frankfurts grüßen Ludwig als König. Also durch die handgreiflichsten Mittel an seine Würde erinnert weigert er den Zweikampf, und der Krieg ist erklärt. Den ganzen dritten Act füllt mit undramatischer, eines Chronisten wür¬ diger Breite die Entscheidungsschlacht vor Ampsing. Abermals versucht der Dichter eine dramatische Bewegung in der Seele des Helden hervorzurufen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/428
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/428>, abgerufen am 25.08.2024.