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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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zum ersten Male die Lehre, daß das Concil über dem Papste stehe, und eine
gedankenreiche Schule ghibellinischer Schriftsteller tritt ihnen an die Seite. Die
Populären Mächte Oberdeutschlands schaaren sich um den Kaiser wider die rit¬
terliche Macht des Habsburgischen Gegenkönigs. Gegen Frankreich und seinen
Knecht, den Papst, vertheidigen die Kurfürsten mannhaft die Freiheit der Kaiser¬
wahl, bis endlich Ludwig selbst durch seine Ländergier sich die Genossen ent¬
fremdet und ein ruhmloses Ende nimmt. Dramatische Gegensätze bietet dieses
bewegte Leben in Fülle, aber nirgends concentriren sie sich zu einem schönen
Bilde, der erschütternde tragische Abschluß fehlt, wie so oft in unserer Geschichte,
und das gesammte Culturleben dieser Zeit erkältet uns durch seine prosaische
Nüchternheit. In jenen oberdeutschen Städte", die, für Hab und Gut besorgt,
zum Kaiser hielten, lebt kaum der Schatten jener großen wägenden Ehrsucht,
die zur selben Zeit die Bürger der Hansa beseelte. Und nicht minder alles
poetischen Zaubers baar ist die Ritterschaft der Habsburger mit ihrer Robben
ihrem krämerhaften Sinne, der dem König Friedrich gewissenhaft jedes auf der
Kriegsfahrt verlorene Hufeisen in Rechnung stellte. Einen epigonenhaften
Charakter trägt die ganze Epoche; die Anfänge eines neuen Lebens sind so
unreif, so sehr beschränkt auf die innerliche Welt des Gedankens, daß sie den
Dramatiker nur wenig reizen können.

Wie ein so ganz unpolitischer Dichter sich gerade für diesen, lediglich poli¬
tisch interessanten Stoff erwärmen konnte, das ist wahrlich ein Räthsel. Wir
haben nicht zu fragen nach der Wahrheit der Behauptung, Allerhöchsten Orts
sei ein wirkliches und wahrhaftiges königlich bayrisches Nationaldrama gewünscht
und darum wohl oder übel jener Abschnitt der deutschen Geschichte gewählt wor¬
den, welcher ausnahmsweise das Haus Wittelsbach einmal nji ehe im Kampfe gegen
Deutschlands Recht und Ehre zeigt. Sehen wir vielmehr, wie Paul Heyse diesen
spröden Stoff gestaltet hat. Wollte der Dichter sein gutes Recht gebrauchen
und herrisch mit den Thatsachen der Geschichte schalten, um ihren Ideengehalt
desto herrlicher hervortreten zu lassen, so war es zwar sehr schwierig, doch kei¬
neswegs unmöglich, König Ludwig zu einem tragischen Helden zu erheben. Er
mußte erscheinen als der Borkämpfer der bürgerlichen und nationalen Gewalten
wider den Adel, den Reichsfeind und den Stuhl von Rom, er mußte, beseelt
von leidenschaftlichem Ehrgeiz, den schweren Kampf in sich durchfechten zwischen
diesem klar erkannten königlichen Berufe und der dynastischen Habsucht und in
diesem Widerstreite endlich unterliegen. Ein solches Drama hätte ungeheuere
Hemmnisse überwinden müssen, zumal die Zerrissenheit der Handlung; manche
Scene würde die Nüchternheit einer Staatsaction nicht ganz verleugnet haben;
aber das Werk konnte! trotz alledem lebensfähig werden durch die Kraft und
Größe seines Helden. Paul Heyse hat alle diese Klippen umgangen, er schreibt
ein Drama der Freundschaft und wählt zu seiner Fabel die berühmte "deutsche


Grenjbotm III. 1862. 53

zum ersten Male die Lehre, daß das Concil über dem Papste stehe, und eine
gedankenreiche Schule ghibellinischer Schriftsteller tritt ihnen an die Seite. Die
Populären Mächte Oberdeutschlands schaaren sich um den Kaiser wider die rit¬
terliche Macht des Habsburgischen Gegenkönigs. Gegen Frankreich und seinen
Knecht, den Papst, vertheidigen die Kurfürsten mannhaft die Freiheit der Kaiser¬
wahl, bis endlich Ludwig selbst durch seine Ländergier sich die Genossen ent¬
fremdet und ein ruhmloses Ende nimmt. Dramatische Gegensätze bietet dieses
bewegte Leben in Fülle, aber nirgends concentriren sie sich zu einem schönen
Bilde, der erschütternde tragische Abschluß fehlt, wie so oft in unserer Geschichte,
und das gesammte Culturleben dieser Zeit erkältet uns durch seine prosaische
Nüchternheit. In jenen oberdeutschen Städte», die, für Hab und Gut besorgt,
zum Kaiser hielten, lebt kaum der Schatten jener großen wägenden Ehrsucht,
die zur selben Zeit die Bürger der Hansa beseelte. Und nicht minder alles
poetischen Zaubers baar ist die Ritterschaft der Habsburger mit ihrer Robben
ihrem krämerhaften Sinne, der dem König Friedrich gewissenhaft jedes auf der
Kriegsfahrt verlorene Hufeisen in Rechnung stellte. Einen epigonenhaften
Charakter trägt die ganze Epoche; die Anfänge eines neuen Lebens sind so
unreif, so sehr beschränkt auf die innerliche Welt des Gedankens, daß sie den
Dramatiker nur wenig reizen können.

Wie ein so ganz unpolitischer Dichter sich gerade für diesen, lediglich poli¬
tisch interessanten Stoff erwärmen konnte, das ist wahrlich ein Räthsel. Wir
haben nicht zu fragen nach der Wahrheit der Behauptung, Allerhöchsten Orts
sei ein wirkliches und wahrhaftiges königlich bayrisches Nationaldrama gewünscht
und darum wohl oder übel jener Abschnitt der deutschen Geschichte gewählt wor¬
den, welcher ausnahmsweise das Haus Wittelsbach einmal nji ehe im Kampfe gegen
Deutschlands Recht und Ehre zeigt. Sehen wir vielmehr, wie Paul Heyse diesen
spröden Stoff gestaltet hat. Wollte der Dichter sein gutes Recht gebrauchen
und herrisch mit den Thatsachen der Geschichte schalten, um ihren Ideengehalt
desto herrlicher hervortreten zu lassen, so war es zwar sehr schwierig, doch kei¬
neswegs unmöglich, König Ludwig zu einem tragischen Helden zu erheben. Er
mußte erscheinen als der Borkämpfer der bürgerlichen und nationalen Gewalten
wider den Adel, den Reichsfeind und den Stuhl von Rom, er mußte, beseelt
von leidenschaftlichem Ehrgeiz, den schweren Kampf in sich durchfechten zwischen
diesem klar erkannten königlichen Berufe und der dynastischen Habsucht und in
diesem Widerstreite endlich unterliegen. Ein solches Drama hätte ungeheuere
Hemmnisse überwinden müssen, zumal die Zerrissenheit der Handlung; manche
Scene würde die Nüchternheit einer Staatsaction nicht ganz verleugnet haben;
aber das Werk konnte! trotz alledem lebensfähig werden durch die Kraft und
Größe seines Helden. Paul Heyse hat alle diese Klippen umgangen, er schreibt
ein Drama der Freundschaft und wählt zu seiner Fabel die berühmte „deutsche


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[0425] zum ersten Male die Lehre, daß das Concil über dem Papste stehe, und eine gedankenreiche Schule ghibellinischer Schriftsteller tritt ihnen an die Seite. Die Populären Mächte Oberdeutschlands schaaren sich um den Kaiser wider die rit¬ terliche Macht des Habsburgischen Gegenkönigs. Gegen Frankreich und seinen Knecht, den Papst, vertheidigen die Kurfürsten mannhaft die Freiheit der Kaiser¬ wahl, bis endlich Ludwig selbst durch seine Ländergier sich die Genossen ent¬ fremdet und ein ruhmloses Ende nimmt. Dramatische Gegensätze bietet dieses bewegte Leben in Fülle, aber nirgends concentriren sie sich zu einem schönen Bilde, der erschütternde tragische Abschluß fehlt, wie so oft in unserer Geschichte, und das gesammte Culturleben dieser Zeit erkältet uns durch seine prosaische Nüchternheit. In jenen oberdeutschen Städte», die, für Hab und Gut besorgt, zum Kaiser hielten, lebt kaum der Schatten jener großen wägenden Ehrsucht, die zur selben Zeit die Bürger der Hansa beseelte. Und nicht minder alles poetischen Zaubers baar ist die Ritterschaft der Habsburger mit ihrer Robben ihrem krämerhaften Sinne, der dem König Friedrich gewissenhaft jedes auf der Kriegsfahrt verlorene Hufeisen in Rechnung stellte. Einen epigonenhaften Charakter trägt die ganze Epoche; die Anfänge eines neuen Lebens sind so unreif, so sehr beschränkt auf die innerliche Welt des Gedankens, daß sie den Dramatiker nur wenig reizen können. Wie ein so ganz unpolitischer Dichter sich gerade für diesen, lediglich poli¬ tisch interessanten Stoff erwärmen konnte, das ist wahrlich ein Räthsel. Wir haben nicht zu fragen nach der Wahrheit der Behauptung, Allerhöchsten Orts sei ein wirkliches und wahrhaftiges königlich bayrisches Nationaldrama gewünscht und darum wohl oder übel jener Abschnitt der deutschen Geschichte gewählt wor¬ den, welcher ausnahmsweise das Haus Wittelsbach einmal nji ehe im Kampfe gegen Deutschlands Recht und Ehre zeigt. Sehen wir vielmehr, wie Paul Heyse diesen spröden Stoff gestaltet hat. Wollte der Dichter sein gutes Recht gebrauchen und herrisch mit den Thatsachen der Geschichte schalten, um ihren Ideengehalt desto herrlicher hervortreten zu lassen, so war es zwar sehr schwierig, doch kei¬ neswegs unmöglich, König Ludwig zu einem tragischen Helden zu erheben. Er mußte erscheinen als der Borkämpfer der bürgerlichen und nationalen Gewalten wider den Adel, den Reichsfeind und den Stuhl von Rom, er mußte, beseelt von leidenschaftlichem Ehrgeiz, den schweren Kampf in sich durchfechten zwischen diesem klar erkannten königlichen Berufe und der dynastischen Habsucht und in diesem Widerstreite endlich unterliegen. Ein solches Drama hätte ungeheuere Hemmnisse überwinden müssen, zumal die Zerrissenheit der Handlung; manche Scene würde die Nüchternheit einer Staatsaction nicht ganz verleugnet haben; aber das Werk konnte! trotz alledem lebensfähig werden durch die Kraft und Größe seines Helden. Paul Heyse hat alle diese Klippen umgangen, er schreibt ein Drama der Freundschaft und wählt zu seiner Fabel die berühmte „deutsche Grenjbotm III. 1862. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/425>, abgerufen am 25.08.2024.