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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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rigkeiten, die neue Möglichkeit, das Versehene gut zu machen. Noch ist hier
dem Ministerium eine Gelegenheit gegeben, durch eine muthige That der Ehre
Preußens und seinem Einfluß in Europa einen wesentlichen Dienst zu leisten.
In der That, wenn das Ministerium sich mit Erfolg in dieser deutschen Ange¬
legenheit zu behaupten wüßte, so würden die Anhänger der preußischen Partei
ihm dafür freudig ihren Dank aussprechen; denn wenigstens unser Urtheil darf
niemals durch eine pessimistische Stimmung geleitet werden, welche einem preu¬
ßischen Ministerium keine Erfolge wünscht, damit es sich völlig ruinirc.

Freilich ist eine erfolgreiche Abwickelung der kurhessischen Wirren diesem
Ministerium weit schwerer als einem volkstümlichen, sie ist außerdem durch
einen Fehler des auswärtigen Amtes höchlich erschwert.

Dem Ministerium war für Behandlung der turhcssischen Frage eine vor-
treffliche Grundlage durch die Uebergriffe des Bundes über seine Machtbefug¬
nisse im Jahre I8t>(> gewonnen. Wenn Preußen diesen Fehler der Gegner
zu der Erklärung benutzte, daß der Bund sich ja selbst jedes Rechtes begeben
habe, für Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände in Kurhessen mitzuwir¬
ken, so war ihm ein Eingreifen, ja auch das Einrücken seiner Truppen in Kur¬
hessen gar nicht zu wehren. Die Verfassung von 1831 in der Hand, konnte
es mit der kleinen Zahl seiner Verbündeten die unerträglich gewordenen Ver¬
hältnisse energisch beseitigen, es konnte sich die Majorität der Bundesversamm¬
lung als Verbündete des Kurfürsten, als erklärte Gegner der Volkswünsche von
ganz Deutschland, gegenüber stellen, es benahm Oestreich und dem Bunde durch
sein actives Vorgehen, welches natürlich reizen mußte, jede Gelegenheit aus seiner
schwachen und abwartenden Stellung hcrvvrzukomiücu, es benutzte einen großen Feh¬
ler der Gegner, sich selbst freie Hand zu verschaffen. Von diesem Standpunkte aus
wurden in der That die ersten Schritte Preußens gethan, die wünschenswerte
Pression auf den Kurfürsten auszuüben. Aber in einer unbegreiflichen In-
consequenz verließ das auswärtige Amt zu Berlin diese zweckmäßige Basis für
ein freies Handeln, es warb um Beihilfe Oestreichs für Herstellung der Ver¬
fassung von 1831, es willigte in gemeinsame Anträge am Bunde, es erkannte
plötzlich die höchste Competenz des Bundes an. Dadurch umschnürte sich die
preußische Regierung selbst mit schweren Fesseln, welche fortab jedes selbständige
Handeln lähmen mußten. Oestreich und die Würzburger, der Paragraph 11.
Doppelzüngigkeit und geheime Ränke der Diplomatie zogen triumphirend durch
die geöffnete Pforte in Kurhessen ein. Mit fast sichtlicher Freude ergriff Oest¬
reich die dargebotene Hand -- noch ist unaufgeklärt, ob nicht östreichischer Ein¬
fluß in Berlin schon bei Fassung des verhängnisvollen Entschlusses im Gehei¬
men thätig war -- behend eilten die Würzburger, aus ihrer unpopulären und
unhaltbaren Stellung heraus zu kommen, eifrig erkannten sie in der
Mehrzahl die Verfassung von 1831 an, der kluge Fürst der Schwaben


rigkeiten, die neue Möglichkeit, das Versehene gut zu machen. Noch ist hier
dem Ministerium eine Gelegenheit gegeben, durch eine muthige That der Ehre
Preußens und seinem Einfluß in Europa einen wesentlichen Dienst zu leisten.
In der That, wenn das Ministerium sich mit Erfolg in dieser deutschen Ange¬
legenheit zu behaupten wüßte, so würden die Anhänger der preußischen Partei
ihm dafür freudig ihren Dank aussprechen; denn wenigstens unser Urtheil darf
niemals durch eine pessimistische Stimmung geleitet werden, welche einem preu¬
ßischen Ministerium keine Erfolge wünscht, damit es sich völlig ruinirc.

Freilich ist eine erfolgreiche Abwickelung der kurhessischen Wirren diesem
Ministerium weit schwerer als einem volkstümlichen, sie ist außerdem durch
einen Fehler des auswärtigen Amtes höchlich erschwert.

Dem Ministerium war für Behandlung der turhcssischen Frage eine vor-
treffliche Grundlage durch die Uebergriffe des Bundes über seine Machtbefug¬
nisse im Jahre I8t>(> gewonnen. Wenn Preußen diesen Fehler der Gegner
zu der Erklärung benutzte, daß der Bund sich ja selbst jedes Rechtes begeben
habe, für Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände in Kurhessen mitzuwir¬
ken, so war ihm ein Eingreifen, ja auch das Einrücken seiner Truppen in Kur¬
hessen gar nicht zu wehren. Die Verfassung von 1831 in der Hand, konnte
es mit der kleinen Zahl seiner Verbündeten die unerträglich gewordenen Ver¬
hältnisse energisch beseitigen, es konnte sich die Majorität der Bundesversamm¬
lung als Verbündete des Kurfürsten, als erklärte Gegner der Volkswünsche von
ganz Deutschland, gegenüber stellen, es benahm Oestreich und dem Bunde durch
sein actives Vorgehen, welches natürlich reizen mußte, jede Gelegenheit aus seiner
schwachen und abwartenden Stellung hcrvvrzukomiücu, es benutzte einen großen Feh¬
ler der Gegner, sich selbst freie Hand zu verschaffen. Von diesem Standpunkte aus
wurden in der That die ersten Schritte Preußens gethan, die wünschenswerte
Pression auf den Kurfürsten auszuüben. Aber in einer unbegreiflichen In-
consequenz verließ das auswärtige Amt zu Berlin diese zweckmäßige Basis für
ein freies Handeln, es warb um Beihilfe Oestreichs für Herstellung der Ver¬
fassung von 1831, es willigte in gemeinsame Anträge am Bunde, es erkannte
plötzlich die höchste Competenz des Bundes an. Dadurch umschnürte sich die
preußische Regierung selbst mit schweren Fesseln, welche fortab jedes selbständige
Handeln lähmen mußten. Oestreich und die Würzburger, der Paragraph 11.
Doppelzüngigkeit und geheime Ränke der Diplomatie zogen triumphirend durch
die geöffnete Pforte in Kurhessen ein. Mit fast sichtlicher Freude ergriff Oest¬
reich die dargebotene Hand — noch ist unaufgeklärt, ob nicht östreichischer Ein¬
fluß in Berlin schon bei Fassung des verhängnisvollen Entschlusses im Gehei¬
men thätig war — behend eilten die Würzburger, aus ihrer unpopulären und
unhaltbaren Stellung heraus zu kommen, eifrig erkannten sie in der
Mehrzahl die Verfassung von 1831 an, der kluge Fürst der Schwaben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/39>, abgerufen am 06.02.2025.