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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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großdeutsch-conservativen, ein dritter von der ultramontanen Partei. Werden die
Debatten auch manches Interessante zu Tage fördern, so wird'doch das Er¬
gebniß voraussichtlich ohne Gewicht sein. Denn entweder dringt eine der Par¬
teien mit ihrem Antrag durch, dann wird die Mehrheit eine sehr unbedeutende
sein; wird aber ein großer Majoritätsbeschluß erzielt, so geschieht es mit Hülse
eines Vermittlungsantrags, der alle Parteien schont, keine befriedigt, dem übri¬
gen Deutschland nichts bietet.

Wichtiger ist die Frage: was ist nun überhaupt das Resultat der im Obigen
geschilderten Lage? Ein erfreuliches ist es in keinem Fall. Noch sind zwar
die Elemente einer nationalen Partei vorhanden, aber ihre Sammlung und
gedeihliche Wirksamkeit hängt davon ab, daß endlich eine praktische Wendung in
der deutschen Frage geschieht. Noch wäre es nicht ohne bedeutende Wirkung
auf den Geist der Bevölkerung, wenn Preußen mit kräftiger Hand seinen Be¬
ruf erfaßte. Aber man täusche sich nicht, dieselben Elemente werden mit jedem
Tage mehr in die entgegengesetzte Strömung gedrängt. Die wachsende Hin¬
neigung zu Oestreich ist unverkennbar, jeder scheinbare Annäherungsversuch, ja
jede Aggression dieser Macht wird mit Beifall begrüßt, und das Ansehen Preu¬
ßens, von dem man so lange vergebens eine "That" erwartete, ist auch in
solchen Dingen gesunken, wo es unbezweifelt eine That im Interesse des Fort¬
schritts deutscher Nation gethan hat.

Ein Beweis ist der Gang, den die Angelegenheit des Handelsvertrags ge¬
nommen hat. Allerdings sind gerade in Schwaben auch die volkswirtschaft¬
lichen Bedenken gegen den Bertrag besonders stark gewesen. Dennoch läßt sich
die fast einstimmige Verurteilung desselben durch die öffentliche Meinung nur
aus den herrschenden politischen Antipathien und Sympathien erklären. Wir
erinnern uns nicht, --^ mit Ausnahme des Minoritätsgutachtens der Stuttgarter
HandelskanKner -- auch nur eine einzige Stimme zu Gunsten des Vertrags
aus Schwaben vernommen zu haben, die in die Oeffentlichkeit tam. Diese
Erscheinung ist unerhört, aber sie entspricht der wirklichen Sachlage. Im An¬
fang verlautete wohl, daß mehre Politiker von Einfluß günstig für den Ver¬
trag gestimmt seien; aber vergebens wartete man auf eine Kundgebung, aus
ein einziges Wort in der Presse. So sehr überwog die östreichische Strömung,
daß sie jede entgegengesetzte Meinungsäußerung verhinderte, sei es daß die
Dissentirenden eingeschüchtert waren, oder von vornherein das Vergebliche eines
Versuchs, die öffentliche Meinung aufzuklären, erkannten, oder vielleicht gar
selbst in das andere Lager hinübergezogen wurden.

Allein die Frage des Handelsvertrages ist selbst nur der Anfang der Krise,
in welche wir eingetreten sind, und die Stellung, welche Würremberg, Volk
und Regierung, bis jetzt eingenommen, ist ein Fingerzeig auch für seine künf¬
tige Haltung. Die Anerbietungen Oestreichs, die Projecte der Würzburger wer-


großdeutsch-conservativen, ein dritter von der ultramontanen Partei. Werden die
Debatten auch manches Interessante zu Tage fördern, so wird'doch das Er¬
gebniß voraussichtlich ohne Gewicht sein. Denn entweder dringt eine der Par¬
teien mit ihrem Antrag durch, dann wird die Mehrheit eine sehr unbedeutende
sein; wird aber ein großer Majoritätsbeschluß erzielt, so geschieht es mit Hülse
eines Vermittlungsantrags, der alle Parteien schont, keine befriedigt, dem übri¬
gen Deutschland nichts bietet.

Wichtiger ist die Frage: was ist nun überhaupt das Resultat der im Obigen
geschilderten Lage? Ein erfreuliches ist es in keinem Fall. Noch sind zwar
die Elemente einer nationalen Partei vorhanden, aber ihre Sammlung und
gedeihliche Wirksamkeit hängt davon ab, daß endlich eine praktische Wendung in
der deutschen Frage geschieht. Noch wäre es nicht ohne bedeutende Wirkung
auf den Geist der Bevölkerung, wenn Preußen mit kräftiger Hand seinen Be¬
ruf erfaßte. Aber man täusche sich nicht, dieselben Elemente werden mit jedem
Tage mehr in die entgegengesetzte Strömung gedrängt. Die wachsende Hin¬
neigung zu Oestreich ist unverkennbar, jeder scheinbare Annäherungsversuch, ja
jede Aggression dieser Macht wird mit Beifall begrüßt, und das Ansehen Preu¬
ßens, von dem man so lange vergebens eine „That" erwartete, ist auch in
solchen Dingen gesunken, wo es unbezweifelt eine That im Interesse des Fort¬
schritts deutscher Nation gethan hat.

Ein Beweis ist der Gang, den die Angelegenheit des Handelsvertrags ge¬
nommen hat. Allerdings sind gerade in Schwaben auch die volkswirtschaft¬
lichen Bedenken gegen den Bertrag besonders stark gewesen. Dennoch läßt sich
die fast einstimmige Verurteilung desselben durch die öffentliche Meinung nur
aus den herrschenden politischen Antipathien und Sympathien erklären. Wir
erinnern uns nicht, —^ mit Ausnahme des Minoritätsgutachtens der Stuttgarter
HandelskanKner — auch nur eine einzige Stimme zu Gunsten des Vertrags
aus Schwaben vernommen zu haben, die in die Oeffentlichkeit tam. Diese
Erscheinung ist unerhört, aber sie entspricht der wirklichen Sachlage. Im An¬
fang verlautete wohl, daß mehre Politiker von Einfluß günstig für den Ver¬
trag gestimmt seien; aber vergebens wartete man auf eine Kundgebung, aus
ein einziges Wort in der Presse. So sehr überwog die östreichische Strömung,
daß sie jede entgegengesetzte Meinungsäußerung verhinderte, sei es daß die
Dissentirenden eingeschüchtert waren, oder von vornherein das Vergebliche eines
Versuchs, die öffentliche Meinung aufzuklären, erkannten, oder vielleicht gar
selbst in das andere Lager hinübergezogen wurden.

Allein die Frage des Handelsvertrages ist selbst nur der Anfang der Krise,
in welche wir eingetreten sind, und die Stellung, welche Würremberg, Volk
und Regierung, bis jetzt eingenommen, ist ein Fingerzeig auch für seine künf¬
tige Haltung. Die Anerbietungen Oestreichs, die Projecte der Würzburger wer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/378>, abgerufen am 05.02.2025.