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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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beseelt, ist der Schwabe, ohne sich dessen bewußt zu sein, befangen in den An¬
schauungen eines seit Jahrhunderten eigenartig entwickelten Staatswesens.
Die ruhmvollen, an glänzenden Erfolgen und Erscheinungen reichen Kämpfe
um die Verfassung, welche die Augen des Volks im eignen Kreise festbannten
und in der That nur so die energische Kraft, die sie bethätigt, entwickeln konn¬
ten, dienten dazu, das Gefühl eigener Bedeutung, eine starke Selbstgenügsam¬
keit zu erzeugen und dem politischen Horizonte enge Grenzen zu stecken. Die
eigenthümliche Zähigkeit des schwäbischen Naturells wirkte mit. eine solche Rich¬
tung zu befestigen, und so sehen wir denn in der That eine Anzahl tüchtiger
Kräfte sich nach wie vor den Angelegenheiten des engeren Vaterlands widmen,
ohne sich viel um die Dinge draußen im Reich zu kümmern.

Allein schon dies hängt theilweise zusammen mit einem Umstand, der
überhaupt den größten Einfluß aus die Behandlung der allgemein vater¬
ländischen Angelegenheiten in Schwaben hat, wir'meinen die Nachwirkungen
der Revolutionsjahre 1848 und 1849. Obwohl die Veränderungen, welche die
Revolution für dieses Land brachte, keineswegs so bedeutend waren, als an
anderen Orten, so waren doch die moralischen Wirkungen so tief als irgendwo.
Zum ersten Mal hatte sich das Bewußtsein des Stamms in überströmender
Begeisterung erweitert zum Nationalbewußtsein, was vorher nur Eigenthum
Einzelner gewesen, theilte sich --- freilich oft in naivster Weise -- den weitesten
Kreisen mit. Die Frage der Reichsverfassung hatte eine Krisis heraufbeschworen,
in der das ganze Land eine rühmliche Einmütigkeit und Festigkeit bewies,
welcher nach wenigen Tagen erregtester Spannung auch der König sich zu beu¬
gen genöthigt war. Endlich aber hatte die Nationalversammlung mitten in
Schwaben ihre letzten Anstrengungen gemacht, ihre legten Spuren zurück¬
gelassen. Daß Namen, wie L. Uhland, die ehrwürdigen Reste der Versamm¬
lung zierten, grub ihr Gedächtniß um so tiefer und brennender ein. Daß ein
Mann wie Römer, das einst hochgefeierte Haupt der Opposition, das traurige
Amt übernehmen mußte, die formolle Auflösung auszusprechen, war die Ur¬
sache, daß die Parteiverhältnisse eine Bitterkeit annahmen, die heute noch nicht
überwunden ist. Der Gegensatz der Liberalen und der Demokraten, der sich
wie überall im Jahr 1848 auch hier ausgebildet hatte, nahm jetzt einen fast
persönlichen Charakter an und überdauerte die > Zeit der Reaction, die es sonst
überall verstand, die ihr gegnerischen Elemente unter sich zu einigen.

Die Reactionszeit hatte denselben Charakter, wie überall: ein staats¬
rettendes Ministerium, -- doch nicht gerade so rücksichtslos wie anderswo, ge¬
fügige Kammern, eine kleine Opposition, die wenigstens sich Mühe gab zu ret¬
ten, was zu retten war. Die Aufmerksamkeit hatte sich wieder vorwiegend
inneren Angelegenheiten zugewandt, wo es genug zu thun gab, in den deut¬
schen Fragen herrschte allgemeine Trostlosigkeit. Für die gemäßigten Parteien


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beseelt, ist der Schwabe, ohne sich dessen bewußt zu sein, befangen in den An¬
schauungen eines seit Jahrhunderten eigenartig entwickelten Staatswesens.
Die ruhmvollen, an glänzenden Erfolgen und Erscheinungen reichen Kämpfe
um die Verfassung, welche die Augen des Volks im eignen Kreise festbannten
und in der That nur so die energische Kraft, die sie bethätigt, entwickeln konn¬
ten, dienten dazu, das Gefühl eigener Bedeutung, eine starke Selbstgenügsam¬
keit zu erzeugen und dem politischen Horizonte enge Grenzen zu stecken. Die
eigenthümliche Zähigkeit des schwäbischen Naturells wirkte mit. eine solche Rich¬
tung zu befestigen, und so sehen wir denn in der That eine Anzahl tüchtiger
Kräfte sich nach wie vor den Angelegenheiten des engeren Vaterlands widmen,
ohne sich viel um die Dinge draußen im Reich zu kümmern.

Allein schon dies hängt theilweise zusammen mit einem Umstand, der
überhaupt den größten Einfluß aus die Behandlung der allgemein vater¬
ländischen Angelegenheiten in Schwaben hat, wir'meinen die Nachwirkungen
der Revolutionsjahre 1848 und 1849. Obwohl die Veränderungen, welche die
Revolution für dieses Land brachte, keineswegs so bedeutend waren, als an
anderen Orten, so waren doch die moralischen Wirkungen so tief als irgendwo.
Zum ersten Mal hatte sich das Bewußtsein des Stamms in überströmender
Begeisterung erweitert zum Nationalbewußtsein, was vorher nur Eigenthum
Einzelner gewesen, theilte sich -— freilich oft in naivster Weise — den weitesten
Kreisen mit. Die Frage der Reichsverfassung hatte eine Krisis heraufbeschworen,
in der das ganze Land eine rühmliche Einmütigkeit und Festigkeit bewies,
welcher nach wenigen Tagen erregtester Spannung auch der König sich zu beu¬
gen genöthigt war. Endlich aber hatte die Nationalversammlung mitten in
Schwaben ihre letzten Anstrengungen gemacht, ihre legten Spuren zurück¬
gelassen. Daß Namen, wie L. Uhland, die ehrwürdigen Reste der Versamm¬
lung zierten, grub ihr Gedächtniß um so tiefer und brennender ein. Daß ein
Mann wie Römer, das einst hochgefeierte Haupt der Opposition, das traurige
Amt übernehmen mußte, die formolle Auflösung auszusprechen, war die Ur¬
sache, daß die Parteiverhältnisse eine Bitterkeit annahmen, die heute noch nicht
überwunden ist. Der Gegensatz der Liberalen und der Demokraten, der sich
wie überall im Jahr 1848 auch hier ausgebildet hatte, nahm jetzt einen fast
persönlichen Charakter an und überdauerte die > Zeit der Reaction, die es sonst
überall verstand, die ihr gegnerischen Elemente unter sich zu einigen.

Die Reactionszeit hatte denselben Charakter, wie überall: ein staats¬
rettendes Ministerium, — doch nicht gerade so rücksichtslos wie anderswo, ge¬
fügige Kammern, eine kleine Opposition, die wenigstens sich Mühe gab zu ret¬
ten, was zu retten war. Die Aufmerksamkeit hatte sich wieder vorwiegend
inneren Angelegenheiten zugewandt, wo es genug zu thun gab, in den deut¬
schen Fragen herrschte allgemeine Trostlosigkeit. Für die gemäßigten Parteien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/371>, abgerufen am 05.02.2025.