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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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ländischen Gedanken haben einen Kreislauf zu machen, der um so langsamer
ist, als sie überall selbständige, eigcnlebige Kreise zu durchdringen haben. Und
wie nun diese einzelnen Kreise von verschiedenem Grade innerer Konsistenz sind,
die einen lockerer, die andern zäher, je nachdem Stammeseigenthümlichkeit oder
die innere Kraft und Bedeutung der politischen Svnderbildung verschieden sind,
so ist auch jede geistige Bewegung, wie sehr sie ihrer Natur nach an die Ge¬
sammtheit sich richtet, doch in ihren Wirkungen diesen verschiedenen Bedingungen
des localen Bodens unterworfen. Sie wird hier schneller, dort langsamer Ein¬
gang finden, hier tiefer, dort oberflächlicher wirken, sie wird oft ein größeres
Gebiet leichter ergreifen, und auf einem kleinen um so hartnäckigeren Wider¬
stand begegnen.

Haben wir nur die Gesammtentwicklung im Auge und versetzen wir uns
im Geiste in die Zukunft, die durchlaufene Bahn rückwärts überschauend, so
werden wir es nicht beklagen können, daß jede Ueberrumpelung durch eine be¬
herrschende Hauptstadt, jedes einseitige Sichgeltendmachcn eines einzelnen
Stammes unter diesen Umständen ausgeschlossen ist; je langsamer die Bewegung
ist, um so tiefer und allmälig auch gleichmäßiger muß sie das Ganze durch¬
dringen. Allein für diejenigen, welche der endlichen Frucht noch ungewiß mit¬
ten an der Arbeit sind, hat dieser Gang theils etwas Entmuthigendes, theils
muß er zu ungeduldigem, gewaltsamen Vorgehen reizen. Zu sehen, wie die
Einen voll heißen Eifers bereit sind, die Anderen in lauer Gleichgültigkeit ver¬
harren, zu sehen, wie alle in unbestimmten Ahnungen und Hoffnungen vielleicht
ejnig sind, in den praktischen Wegen dagegen mit Leidenschaft völlig Ent¬
gegengesetztes wollen, muß Stimmungen erzeugen, die selbst wieder der ge¬
meinsamen Arbeit nur hinderlich sein können. Mühsam schleppt sich das Werk
in den kleinsten Absätzen weiter, verworren durchkreuzen sich Ziele und Be¬
strebungen, und klar ist nur das Eine, daß das Haupthinderniß der Einigung
des Vaterlands in jener ungleichen Vorbereitung der einzelnen Stämme be¬
steht. Oder wären die unter sich selbst uneinigen Regierungen stark genug zum
Widerstand gegen einen wahrhaft einmüthig sich kundgebenden Drang des Volks,
Wo schon jede einzelne Regierung machtlos ist gegenüber dem einstimmigen
Wollen ihrer eigenen Bevölkerung?

Der verstorbne Diezel hat einmal das constitutionelle Leben in den
Einzelstaaten als das größte Hinderniß der deutschen Einheit bezeichnet, er
hat damit nur eine einzelne Erscheinung für die tiefer liegende Ursache selbst
genommen. In dieser weiteren Ausdehnung ist sein paradoxer Satz vollkommen
richtig. Ich weiß nicht, ob er dabei vorzugsweise die Verhältnisse seiner enge¬
ren Heimath im Auge gehabt, aber es läßt sich nicht läugnen, daß in Schwa¬
ben die deutsche Idee eine durch das Sonderleben der Provinz eigenthümlich
erschwerte Stellung hat. Vom besten Willen für das gemeinsame Vaterland


ländischen Gedanken haben einen Kreislauf zu machen, der um so langsamer
ist, als sie überall selbständige, eigcnlebige Kreise zu durchdringen haben. Und
wie nun diese einzelnen Kreise von verschiedenem Grade innerer Konsistenz sind,
die einen lockerer, die andern zäher, je nachdem Stammeseigenthümlichkeit oder
die innere Kraft und Bedeutung der politischen Svnderbildung verschieden sind,
so ist auch jede geistige Bewegung, wie sehr sie ihrer Natur nach an die Ge¬
sammtheit sich richtet, doch in ihren Wirkungen diesen verschiedenen Bedingungen
des localen Bodens unterworfen. Sie wird hier schneller, dort langsamer Ein¬
gang finden, hier tiefer, dort oberflächlicher wirken, sie wird oft ein größeres
Gebiet leichter ergreifen, und auf einem kleinen um so hartnäckigeren Wider¬
stand begegnen.

Haben wir nur die Gesammtentwicklung im Auge und versetzen wir uns
im Geiste in die Zukunft, die durchlaufene Bahn rückwärts überschauend, so
werden wir es nicht beklagen können, daß jede Ueberrumpelung durch eine be¬
herrschende Hauptstadt, jedes einseitige Sichgeltendmachcn eines einzelnen
Stammes unter diesen Umständen ausgeschlossen ist; je langsamer die Bewegung
ist, um so tiefer und allmälig auch gleichmäßiger muß sie das Ganze durch¬
dringen. Allein für diejenigen, welche der endlichen Frucht noch ungewiß mit¬
ten an der Arbeit sind, hat dieser Gang theils etwas Entmuthigendes, theils
muß er zu ungeduldigem, gewaltsamen Vorgehen reizen. Zu sehen, wie die
Einen voll heißen Eifers bereit sind, die Anderen in lauer Gleichgültigkeit ver¬
harren, zu sehen, wie alle in unbestimmten Ahnungen und Hoffnungen vielleicht
ejnig sind, in den praktischen Wegen dagegen mit Leidenschaft völlig Ent¬
gegengesetztes wollen, muß Stimmungen erzeugen, die selbst wieder der ge¬
meinsamen Arbeit nur hinderlich sein können. Mühsam schleppt sich das Werk
in den kleinsten Absätzen weiter, verworren durchkreuzen sich Ziele und Be¬
strebungen, und klar ist nur das Eine, daß das Haupthinderniß der Einigung
des Vaterlands in jener ungleichen Vorbereitung der einzelnen Stämme be¬
steht. Oder wären die unter sich selbst uneinigen Regierungen stark genug zum
Widerstand gegen einen wahrhaft einmüthig sich kundgebenden Drang des Volks,
Wo schon jede einzelne Regierung machtlos ist gegenüber dem einstimmigen
Wollen ihrer eigenen Bevölkerung?

Der verstorbne Diezel hat einmal das constitutionelle Leben in den
Einzelstaaten als das größte Hinderniß der deutschen Einheit bezeichnet, er
hat damit nur eine einzelne Erscheinung für die tiefer liegende Ursache selbst
genommen. In dieser weiteren Ausdehnung ist sein paradoxer Satz vollkommen
richtig. Ich weiß nicht, ob er dabei vorzugsweise die Verhältnisse seiner enge¬
ren Heimath im Auge gehabt, aber es läßt sich nicht läugnen, daß in Schwa¬
ben die deutsche Idee eine durch das Sonderleben der Provinz eigenthümlich
erschwerte Stellung hat. Vom besten Willen für das gemeinsame Vaterland


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[0370] ländischen Gedanken haben einen Kreislauf zu machen, der um so langsamer ist, als sie überall selbständige, eigcnlebige Kreise zu durchdringen haben. Und wie nun diese einzelnen Kreise von verschiedenem Grade innerer Konsistenz sind, die einen lockerer, die andern zäher, je nachdem Stammeseigenthümlichkeit oder die innere Kraft und Bedeutung der politischen Svnderbildung verschieden sind, so ist auch jede geistige Bewegung, wie sehr sie ihrer Natur nach an die Ge¬ sammtheit sich richtet, doch in ihren Wirkungen diesen verschiedenen Bedingungen des localen Bodens unterworfen. Sie wird hier schneller, dort langsamer Ein¬ gang finden, hier tiefer, dort oberflächlicher wirken, sie wird oft ein größeres Gebiet leichter ergreifen, und auf einem kleinen um so hartnäckigeren Wider¬ stand begegnen. Haben wir nur die Gesammtentwicklung im Auge und versetzen wir uns im Geiste in die Zukunft, die durchlaufene Bahn rückwärts überschauend, so werden wir es nicht beklagen können, daß jede Ueberrumpelung durch eine be¬ herrschende Hauptstadt, jedes einseitige Sichgeltendmachcn eines einzelnen Stammes unter diesen Umständen ausgeschlossen ist; je langsamer die Bewegung ist, um so tiefer und allmälig auch gleichmäßiger muß sie das Ganze durch¬ dringen. Allein für diejenigen, welche der endlichen Frucht noch ungewiß mit¬ ten an der Arbeit sind, hat dieser Gang theils etwas Entmuthigendes, theils muß er zu ungeduldigem, gewaltsamen Vorgehen reizen. Zu sehen, wie die Einen voll heißen Eifers bereit sind, die Anderen in lauer Gleichgültigkeit ver¬ harren, zu sehen, wie alle in unbestimmten Ahnungen und Hoffnungen vielleicht ejnig sind, in den praktischen Wegen dagegen mit Leidenschaft völlig Ent¬ gegengesetztes wollen, muß Stimmungen erzeugen, die selbst wieder der ge¬ meinsamen Arbeit nur hinderlich sein können. Mühsam schleppt sich das Werk in den kleinsten Absätzen weiter, verworren durchkreuzen sich Ziele und Be¬ strebungen, und klar ist nur das Eine, daß das Haupthinderniß der Einigung des Vaterlands in jener ungleichen Vorbereitung der einzelnen Stämme be¬ steht. Oder wären die unter sich selbst uneinigen Regierungen stark genug zum Widerstand gegen einen wahrhaft einmüthig sich kundgebenden Drang des Volks, Wo schon jede einzelne Regierung machtlos ist gegenüber dem einstimmigen Wollen ihrer eigenen Bevölkerung? Der verstorbne Diezel hat einmal das constitutionelle Leben in den Einzelstaaten als das größte Hinderniß der deutschen Einheit bezeichnet, er hat damit nur eine einzelne Erscheinung für die tiefer liegende Ursache selbst genommen. In dieser weiteren Ausdehnung ist sein paradoxer Satz vollkommen richtig. Ich weiß nicht, ob er dabei vorzugsweise die Verhältnisse seiner enge¬ ren Heimath im Auge gehabt, aber es läßt sich nicht läugnen, daß in Schwa¬ ben die deutsche Idee eine durch das Sonderleben der Provinz eigenthümlich erschwerte Stellung hat. Vom besten Willen für das gemeinsame Vaterland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/370>, abgerufen am 05.02.2025.