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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Schwaben und die deutsche Frage.

Die staatliche Zersplitterung unsres Vaterlands drückt nicht nur denjenigen
Handlungen, welche in den Bereich der Executive fallen, ihren eigenthümlichen
Charakter auf, indem sie rasche Entschlüsse unmöglich macht, die Ausführung
des endlich Beschlossenen hemmt, und allseitige Rücksichtnahme oder Mißtrauen
schon die gemeinsamen Berathungen erschwert, sondern je concreter sich die
Fragen der vaterländischen Politik gestalten, um so mehr stellen sich ihre
Wirkungen auf den Volksgeist selbst, auf die Meinungen und Instinkte der
verschiedenen Bevölkerungen heraus. Zu meinen, die Völker seien einig, das
Trennende liege blos in den Regierungen, ist nur eine gefährliche Täuschung.
Auf dem Frankfurter Feste ist dieses Thema vielfach variirt worden, und doch
welch sprechenden Commentar bildeten dazu gleich die nächsten Vorgänge! So¬
fort vom Verbrüderungsfeste gingen die Einen hin, um der preußischen Re¬
gierung, die Anderen, um der östreichischen Regierung zu applaudiren, welche
eben in einem Notenkriege lagen, der folgenschwerer zu werden drohte, als die
Ereignisse im Jahre 1850. Jene votirten den Handelsvertrag mit Frankreich,
von dem sie wußten, daß er denen ins Herz schnitt, welchen sie noch eben
stürmisch die Hand' gedrückt; diese bereiteten dem katholischen Innsbrucks Pro¬
fessor, der das einzige Wort des Particularismus in das nationale Fest ge¬
schleudert, Ovationen, wohl wissend, daß sie damit der nationalen Sache der
bundesstaatlichen Bewegung ins Gesicht schlugen. Sitzt da das Trennende
nicht tiefer, als in den Cabineten und Staatskanzleien?

In der That hat unsre Zersplitterung, wie sie ursprünglich auf Stammes¬
verschiedenheiten und Stammesabsonderungen beruht, durch die politische Fixirung
in kleineren Gebieten, welche allzulange ihren Mittelpunkt nur in sich selber hat¬
ten, auf den Geist der Bevölkerungen größeren Einfluß geübt, als wir uns
gern gestehen. Aber was nützt es, die Augen dagegen zu verschließen, wo
die Thatsachen allzulaut reden? Die Bewegung unsres Volkes nach Einheit
und staatlicher Zusammengehörigkeit soll nicht geläugnet werden, sie ist vor¬
handen, aber sie scheint noch lange nicht mächtig genug zu sein, die Bande,
in welche es die politische Absperrung gelegt, zu sprengen. Auch die Vater-


Grcnzbotm III. 1862. 46
Schwaben und die deutsche Frage.

Die staatliche Zersplitterung unsres Vaterlands drückt nicht nur denjenigen
Handlungen, welche in den Bereich der Executive fallen, ihren eigenthümlichen
Charakter auf, indem sie rasche Entschlüsse unmöglich macht, die Ausführung
des endlich Beschlossenen hemmt, und allseitige Rücksichtnahme oder Mißtrauen
schon die gemeinsamen Berathungen erschwert, sondern je concreter sich die
Fragen der vaterländischen Politik gestalten, um so mehr stellen sich ihre
Wirkungen auf den Volksgeist selbst, auf die Meinungen und Instinkte der
verschiedenen Bevölkerungen heraus. Zu meinen, die Völker seien einig, das
Trennende liege blos in den Regierungen, ist nur eine gefährliche Täuschung.
Auf dem Frankfurter Feste ist dieses Thema vielfach variirt worden, und doch
welch sprechenden Commentar bildeten dazu gleich die nächsten Vorgänge! So¬
fort vom Verbrüderungsfeste gingen die Einen hin, um der preußischen Re¬
gierung, die Anderen, um der östreichischen Regierung zu applaudiren, welche
eben in einem Notenkriege lagen, der folgenschwerer zu werden drohte, als die
Ereignisse im Jahre 1850. Jene votirten den Handelsvertrag mit Frankreich,
von dem sie wußten, daß er denen ins Herz schnitt, welchen sie noch eben
stürmisch die Hand' gedrückt; diese bereiteten dem katholischen Innsbrucks Pro¬
fessor, der das einzige Wort des Particularismus in das nationale Fest ge¬
schleudert, Ovationen, wohl wissend, daß sie damit der nationalen Sache der
bundesstaatlichen Bewegung ins Gesicht schlugen. Sitzt da das Trennende
nicht tiefer, als in den Cabineten und Staatskanzleien?

In der That hat unsre Zersplitterung, wie sie ursprünglich auf Stammes¬
verschiedenheiten und Stammesabsonderungen beruht, durch die politische Fixirung
in kleineren Gebieten, welche allzulange ihren Mittelpunkt nur in sich selber hat¬
ten, auf den Geist der Bevölkerungen größeren Einfluß geübt, als wir uns
gern gestehen. Aber was nützt es, die Augen dagegen zu verschließen, wo
die Thatsachen allzulaut reden? Die Bewegung unsres Volkes nach Einheit
und staatlicher Zusammengehörigkeit soll nicht geläugnet werden, sie ist vor¬
handen, aber sie scheint noch lange nicht mächtig genug zu sein, die Bande,
in welche es die politische Absperrung gelegt, zu sprengen. Auch die Vater-


Grcnzbotm III. 1862. 46
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[0369] Schwaben und die deutsche Frage. Die staatliche Zersplitterung unsres Vaterlands drückt nicht nur denjenigen Handlungen, welche in den Bereich der Executive fallen, ihren eigenthümlichen Charakter auf, indem sie rasche Entschlüsse unmöglich macht, die Ausführung des endlich Beschlossenen hemmt, und allseitige Rücksichtnahme oder Mißtrauen schon die gemeinsamen Berathungen erschwert, sondern je concreter sich die Fragen der vaterländischen Politik gestalten, um so mehr stellen sich ihre Wirkungen auf den Volksgeist selbst, auf die Meinungen und Instinkte der verschiedenen Bevölkerungen heraus. Zu meinen, die Völker seien einig, das Trennende liege blos in den Regierungen, ist nur eine gefährliche Täuschung. Auf dem Frankfurter Feste ist dieses Thema vielfach variirt worden, und doch welch sprechenden Commentar bildeten dazu gleich die nächsten Vorgänge! So¬ fort vom Verbrüderungsfeste gingen die Einen hin, um der preußischen Re¬ gierung, die Anderen, um der östreichischen Regierung zu applaudiren, welche eben in einem Notenkriege lagen, der folgenschwerer zu werden drohte, als die Ereignisse im Jahre 1850. Jene votirten den Handelsvertrag mit Frankreich, von dem sie wußten, daß er denen ins Herz schnitt, welchen sie noch eben stürmisch die Hand' gedrückt; diese bereiteten dem katholischen Innsbrucks Pro¬ fessor, der das einzige Wort des Particularismus in das nationale Fest ge¬ schleudert, Ovationen, wohl wissend, daß sie damit der nationalen Sache der bundesstaatlichen Bewegung ins Gesicht schlugen. Sitzt da das Trennende nicht tiefer, als in den Cabineten und Staatskanzleien? In der That hat unsre Zersplitterung, wie sie ursprünglich auf Stammes¬ verschiedenheiten und Stammesabsonderungen beruht, durch die politische Fixirung in kleineren Gebieten, welche allzulange ihren Mittelpunkt nur in sich selber hat¬ ten, auf den Geist der Bevölkerungen größeren Einfluß geübt, als wir uns gern gestehen. Aber was nützt es, die Augen dagegen zu verschließen, wo die Thatsachen allzulaut reden? Die Bewegung unsres Volkes nach Einheit und staatlicher Zusammengehörigkeit soll nicht geläugnet werden, sie ist vor¬ handen, aber sie scheint noch lange nicht mächtig genug zu sein, die Bande, in welche es die politische Absperrung gelegt, zu sprengen. Auch die Vater- Grcnzbotm III. 1862. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/369>, abgerufen am 05.02.2025.