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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Die Stellung preußischer Offiziere zum Volke.

Von dem Kriegsminister ist gelegentlich vor den Abgeordneten des preußi¬
schen Volkes ausgesprochen worden, daß jetzt eine Entfremdung zwischen Militär
und Civil stattfinde. Kein Zweifel, daß der Vertreter der neuen Heeresorgani¬
sation die bittere Stimmung des Offiziercorps ebenso sehr für berechtigt er¬
achtet, als die Anschauungen und Forderungen des Bürgerthums gegenüber
dem Heere für verwerflich und gemeinschädlich. Aber es ist l'alten mehr nöthig,
gegen solche Auffassung realer Verhältnisse in der Presse zu polemisiren. Preußen
ist in eine große innere Bewegung eingetreten, welche nicht nur das Heerwesen,
auch vieles, was damit zusammenhängt, zum Segen für Preußen und Deutsch¬
land vervollkommnen wird.

Schon jetzt kann man voraussehen, daß die nächste Entscheidung durch
einen Kompromiß der Anschauungen, welche einander in der Militärfrage jetzt
scheinbar unversöhnlich entgegenstehen, kommen wird. Dieser Kompromiß wird
allerdings weder nach dem Herzen der militärischen Reactionspartei sein, noch
den Forderungen der wenigen Phantasten genügen, welche das preußische Heer
auf Cadres und bewaffnete Bürger zurückführen möchten. Es ist gegenwärtig
nicht zu verkennen, daß die Opposition der Kammer die große Mehrzahl der
Wähler auf ihrer Seite hat, und es ist wahrscheinlich, daß sie diese Stärke be¬
halten wird, wenn sie große taktische Fehler vermeidet. Die Schwierigkeit der
Versöhnung liegt aber nicht vorzugsweise in der neuen Heeresorganisation, nicht
in ihrem Detail und ihren Kosten, sondern sie liegt in dem Mangel an Ver¬
trauen, welches zwischen den gegenwärtigen Ministern und der Volksvertretung
besteht. Und noch in dem gegenwärtigen Stadium der Verhandlungen wäre
einem populären Ministerium sehr wohl möglich, alles Wesentliche der neuen
Einrichtung zu erhalten. Ja, es ist sehr wohl denkbar, daß dieselbe Organi¬
sation, welche jetzt so leidenschaftlich angefochten wird, durch einige Modifi-
cationen und Erweiterungen zu einer populären und festen Einrichtung herauf¬
wächst, welche vom ganzen Volk als großer Fortschritt anerkannt wird. Und
nicht die Opposition trägt bis jetzt die Schuld, daß zu solcher Erhebung aus
dem Hader noch gar nichts geschehen ist. Unterdeß soll hier eine Feder der
Opposition eine Pflicht der Courtoisie gegen das preußische Offiziercorps
erfüllen.

Seit Jahren empfinden gebildete und besonnene Männer im Heere die


Die Stellung preußischer Offiziere zum Volke.

Von dem Kriegsminister ist gelegentlich vor den Abgeordneten des preußi¬
schen Volkes ausgesprochen worden, daß jetzt eine Entfremdung zwischen Militär
und Civil stattfinde. Kein Zweifel, daß der Vertreter der neuen Heeresorgani¬
sation die bittere Stimmung des Offiziercorps ebenso sehr für berechtigt er¬
achtet, als die Anschauungen und Forderungen des Bürgerthums gegenüber
dem Heere für verwerflich und gemeinschädlich. Aber es ist l'alten mehr nöthig,
gegen solche Auffassung realer Verhältnisse in der Presse zu polemisiren. Preußen
ist in eine große innere Bewegung eingetreten, welche nicht nur das Heerwesen,
auch vieles, was damit zusammenhängt, zum Segen für Preußen und Deutsch¬
land vervollkommnen wird.

Schon jetzt kann man voraussehen, daß die nächste Entscheidung durch
einen Kompromiß der Anschauungen, welche einander in der Militärfrage jetzt
scheinbar unversöhnlich entgegenstehen, kommen wird. Dieser Kompromiß wird
allerdings weder nach dem Herzen der militärischen Reactionspartei sein, noch
den Forderungen der wenigen Phantasten genügen, welche das preußische Heer
auf Cadres und bewaffnete Bürger zurückführen möchten. Es ist gegenwärtig
nicht zu verkennen, daß die Opposition der Kammer die große Mehrzahl der
Wähler auf ihrer Seite hat, und es ist wahrscheinlich, daß sie diese Stärke be¬
halten wird, wenn sie große taktische Fehler vermeidet. Die Schwierigkeit der
Versöhnung liegt aber nicht vorzugsweise in der neuen Heeresorganisation, nicht
in ihrem Detail und ihren Kosten, sondern sie liegt in dem Mangel an Ver¬
trauen, welches zwischen den gegenwärtigen Ministern und der Volksvertretung
besteht. Und noch in dem gegenwärtigen Stadium der Verhandlungen wäre
einem populären Ministerium sehr wohl möglich, alles Wesentliche der neuen
Einrichtung zu erhalten. Ja, es ist sehr wohl denkbar, daß dieselbe Organi¬
sation, welche jetzt so leidenschaftlich angefochten wird, durch einige Modifi-
cationen und Erweiterungen zu einer populären und festen Einrichtung herauf¬
wächst, welche vom ganzen Volk als großer Fortschritt anerkannt wird. Und
nicht die Opposition trägt bis jetzt die Schuld, daß zu solcher Erhebung aus
dem Hader noch gar nichts geschehen ist. Unterdeß soll hier eine Feder der
Opposition eine Pflicht der Courtoisie gegen das preußische Offiziercorps
erfüllen.

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[0359] Die Stellung preußischer Offiziere zum Volke. Von dem Kriegsminister ist gelegentlich vor den Abgeordneten des preußi¬ schen Volkes ausgesprochen worden, daß jetzt eine Entfremdung zwischen Militär und Civil stattfinde. Kein Zweifel, daß der Vertreter der neuen Heeresorgani¬ sation die bittere Stimmung des Offiziercorps ebenso sehr für berechtigt er¬ achtet, als die Anschauungen und Forderungen des Bürgerthums gegenüber dem Heere für verwerflich und gemeinschädlich. Aber es ist l'alten mehr nöthig, gegen solche Auffassung realer Verhältnisse in der Presse zu polemisiren. Preußen ist in eine große innere Bewegung eingetreten, welche nicht nur das Heerwesen, auch vieles, was damit zusammenhängt, zum Segen für Preußen und Deutsch¬ land vervollkommnen wird. Schon jetzt kann man voraussehen, daß die nächste Entscheidung durch einen Kompromiß der Anschauungen, welche einander in der Militärfrage jetzt scheinbar unversöhnlich entgegenstehen, kommen wird. Dieser Kompromiß wird allerdings weder nach dem Herzen der militärischen Reactionspartei sein, noch den Forderungen der wenigen Phantasten genügen, welche das preußische Heer auf Cadres und bewaffnete Bürger zurückführen möchten. Es ist gegenwärtig nicht zu verkennen, daß die Opposition der Kammer die große Mehrzahl der Wähler auf ihrer Seite hat, und es ist wahrscheinlich, daß sie diese Stärke be¬ halten wird, wenn sie große taktische Fehler vermeidet. Die Schwierigkeit der Versöhnung liegt aber nicht vorzugsweise in der neuen Heeresorganisation, nicht in ihrem Detail und ihren Kosten, sondern sie liegt in dem Mangel an Ver¬ trauen, welches zwischen den gegenwärtigen Ministern und der Volksvertretung besteht. Und noch in dem gegenwärtigen Stadium der Verhandlungen wäre einem populären Ministerium sehr wohl möglich, alles Wesentliche der neuen Einrichtung zu erhalten. Ja, es ist sehr wohl denkbar, daß dieselbe Organi¬ sation, welche jetzt so leidenschaftlich angefochten wird, durch einige Modifi- cationen und Erweiterungen zu einer populären und festen Einrichtung herauf¬ wächst, welche vom ganzen Volk als großer Fortschritt anerkannt wird. Und nicht die Opposition trägt bis jetzt die Schuld, daß zu solcher Erhebung aus dem Hader noch gar nichts geschehen ist. Unterdeß soll hier eine Feder der Opposition eine Pflicht der Courtoisie gegen das preußische Offiziercorps erfüllen. Seit Jahren empfinden gebildete und besonnene Männer im Heere die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/359>, abgerufen am 25.08.2024.