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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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v. Bismark selbst mußte erst gründlich sondiren, in welchem Entwickelungs¬
stadium sich die Dinge befanden, und welchen von den drei vorhin genannten
Posten er würde antreten können oder müssen. So ist es denn für jeden Ein¬
geweihten in die inneren Verhältnisse des Berliner Hofes ein untrügliches Kri¬
terium des Grades, bis zu welchem der Bismarksche Plan heranreifte, daß der
Urheber desselben, anstatt nach London, aus einmal von dem Könige nach Pa¬
ris gesandt wurde, wohin sich ihn'auch schon -- was bezeichnend genug ist --
Napoleon zum Gesandten ausdrücklich erbeten hatte. Also v. Bismark wird
jetzt, nachdem er mit Gortschakoff alles abgemacht hat, und während v. Goltz
mit diesem die Verbindung unterhält, auch mit Napoleon die Sache ins Reine
bringen, dann aber nach Berlin heimkehren, das Ministerium übernehmen und
mit seinen beiden Verbündeten, Rußland und Frankreich an der Hand zur
Lösung der deutschen Frage schreiten.---

So weit der Brief, welcher mit der perfiden Apostrophe schließt: Die deut¬
schen Fürsten und die deutschen Völker mögen sich hiernach nur auf eine bal¬
dige Bestätigung der Bundestreue, Ehrlichkeit und nationalen Gesinnung des
Königs Wilhelm von Preußen gefaßt machen!

Wer die Verhältnisse kennt, kann sich die Wirkung vorstellen, welche ein
solcher Privatbericht -- weit mehr als eine amtliche Depesche eines diploma¬
tischen Agenten -- in den engeren, höheren Kreisen in München, und ver¬
muthlich auch bei den anderen Würzburger Höfen, für welche er bestimmt ist,
hervorbringt. Er weckt leise Besorgnisse zu riesigem Mißtrauen und erklärt
Feindseligkeiten und Provocationen, die sich in anderer Weise gar nicht erklären
ließen, da solche Mittheilungen leider mehr Glauben finden als die bündigsten
Versicherungen ihrer Unwahrheit. Eben diese Provocationen aber sind ihrer¬
seits wieder geeignet, den Bestrebungen, die hier denuncirt werden, wenn sie
vorhanden wären, in Preußen Vorschub zu leisten.

Aus dem allgemeinen Drange nach einer mehr activen preußischen Politik,
aus den Eigenschaften, welche man Herrn v. Bismark zuschreibt, und welche
ihn zum Träger einer solchen Politik geeignet erscheinen lassen, wird hier,
mit genauer Kenntniß der Personen und Dinge ein Plan aufgebaut, der die
Gläubigen in den hiernach zur Einverleibung in Preußen bestimmten Ländern
in die größte Erbitterung versetzen muß. Hätte Herr von Bismark wirklich
einen solchen Plan, so wäre er das Urbild eines -- Doctrinärs, kein Staats¬
mann. Für Preußen aber ist aus unserer Mittheilung zu entnehmen, was
seine ganze Lage anzeigt: die Nothwendigkeit, aus seiner unklaren, blos negi-
renden Politik herauszutreten, dem Könige den Frieden mit dem Lande und
das Vertrauen der Deutschen herzustellen und zu befestigen, dadurch, daß ein
national und liberal gesinntes, an Fähigkeit und Charakter erprobtes Mini¬
sterium an die Spitze der Geschäfte gestellt wird.




v. Bismark selbst mußte erst gründlich sondiren, in welchem Entwickelungs¬
stadium sich die Dinge befanden, und welchen von den drei vorhin genannten
Posten er würde antreten können oder müssen. So ist es denn für jeden Ein¬
geweihten in die inneren Verhältnisse des Berliner Hofes ein untrügliches Kri¬
terium des Grades, bis zu welchem der Bismarksche Plan heranreifte, daß der
Urheber desselben, anstatt nach London, aus einmal von dem Könige nach Pa¬
ris gesandt wurde, wohin sich ihn'auch schon — was bezeichnend genug ist —
Napoleon zum Gesandten ausdrücklich erbeten hatte. Also v. Bismark wird
jetzt, nachdem er mit Gortschakoff alles abgemacht hat, und während v. Goltz
mit diesem die Verbindung unterhält, auch mit Napoleon die Sache ins Reine
bringen, dann aber nach Berlin heimkehren, das Ministerium übernehmen und
mit seinen beiden Verbündeten, Rußland und Frankreich an der Hand zur
Lösung der deutschen Frage schreiten.---

So weit der Brief, welcher mit der perfiden Apostrophe schließt: Die deut¬
schen Fürsten und die deutschen Völker mögen sich hiernach nur auf eine bal¬
dige Bestätigung der Bundestreue, Ehrlichkeit und nationalen Gesinnung des
Königs Wilhelm von Preußen gefaßt machen!

Wer die Verhältnisse kennt, kann sich die Wirkung vorstellen, welche ein
solcher Privatbericht — weit mehr als eine amtliche Depesche eines diploma¬
tischen Agenten — in den engeren, höheren Kreisen in München, und ver¬
muthlich auch bei den anderen Würzburger Höfen, für welche er bestimmt ist,
hervorbringt. Er weckt leise Besorgnisse zu riesigem Mißtrauen und erklärt
Feindseligkeiten und Provocationen, die sich in anderer Weise gar nicht erklären
ließen, da solche Mittheilungen leider mehr Glauben finden als die bündigsten
Versicherungen ihrer Unwahrheit. Eben diese Provocationen aber sind ihrer¬
seits wieder geeignet, den Bestrebungen, die hier denuncirt werden, wenn sie
vorhanden wären, in Preußen Vorschub zu leisten.

Aus dem allgemeinen Drange nach einer mehr activen preußischen Politik,
aus den Eigenschaften, welche man Herrn v. Bismark zuschreibt, und welche
ihn zum Träger einer solchen Politik geeignet erscheinen lassen, wird hier,
mit genauer Kenntniß der Personen und Dinge ein Plan aufgebaut, der die
Gläubigen in den hiernach zur Einverleibung in Preußen bestimmten Ländern
in die größte Erbitterung versetzen muß. Hätte Herr von Bismark wirklich
einen solchen Plan, so wäre er das Urbild eines — Doctrinärs, kein Staats¬
mann. Für Preußen aber ist aus unserer Mittheilung zu entnehmen, was
seine ganze Lage anzeigt: die Nothwendigkeit, aus seiner unklaren, blos negi-
renden Politik herauszutreten, dem Könige den Frieden mit dem Lande und
das Vertrauen der Deutschen herzustellen und zu befestigen, dadurch, daß ein
national und liberal gesinntes, an Fähigkeit und Charakter erprobtes Mini¬
sterium an die Spitze der Geschäfte gestellt wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/358>, abgerufen am 25.08.2024.