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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Haus der Abgeordneten zu bewirken. Der Ausfall dieser Wahlen im Herbste
vorigen Jahres wurde das glücklichste Ereigniß für die Feudalen; denn nichts
gab den König so vollständig in ihre Hand, als der fortwährend bei ihm ge¬
nährte Ingrimm und Verdacht gegen die als Demokraten verschrienen Wider¬
sacher der Erhöhung des Militärbudgets, von denen man unaufhörlich sagte,
daß sie die Krone ihrer Rechte berauben und die Regierungsgewalt in das
Parlament verlegen wollten. Nun traten auch, in der reactionären Presse wie
mündlich bei Hofe, die Verführer zum Staatsstreiche auf, zu dem der König mit
allen Künsten gedrängt werden sollte.

Die Dinge waren jedoch noch nicht zur Entscheidung reif, weder im In¬
nern noch nach Außen. Herr v. Bernstorf mußte in letzterer Beziehung das
Präludium mit seiner Forderung der Union anstimmen. Darauf schrieb
v. G. die Broschüre: "Ein preußisches Programm in der deutschen Frage",
mit der ein weiterer Fühler an den König wie an die Würzburger kam.
Der König antwortete darauf schon eingehender, und als die identischen No¬
ten eintrafen, war er bereits nahe daran, in seiner ersten Aufregung einen
entscheidenden Schritt für die ihm fortwährend angerathene Allianz mit Frank¬
reich und Rußland zu thun. Doch man fand, daß die Verstimmung gegen
Oestreich noch mehr angefacht werden müßte; denn der König hatte dem öst¬
reichischen Gesandten, Herrn v. Karolyi selbst im Januar dieses Jahres noch
wohlwollende Worte gesagt. Bismark durfte also auch noch nicht von Peters¬
burg kommen, da er den König in der rechten Stimmung zum unverzüglichen
Handeln finden sollte. Dreher die Monate lang umgegangenen und wider¬
rufenen Gerüchte, daß v. Bismark Petersburg verlassen, Minister werden, oder
aber nach London oder Paris gehen solle. In der Regel bezeichnete ein sol¬
ches Gerücht die jemals in der obersten Region herrschende Strömung. Auch
die sonst der Reactwn im Innern am meisten zugewandten Kräfte, denen sich
der König mehr und mehr näherte, wie die einer hohen Wittwe und eines
Bruders, durchkreuzten zuweilen die Richtung, welche von den in Berlin an¬
wesenden und aus der Ferne wirkenden Vertrauten des Herrn v. Bismark und
von diesem selbst gegeben wurde. Erst als der Ministerwechsel eingetreten, und
der König durch Berichte über die von Oestreich betriebene Agitation gegen den
Handelsvertrag mit Frankreich -- unter dem er sich etwas Anderes denkt als
Herr v. Bernstorff -- lebhaft' gereizt war, gelang plötzlich die Ernennung
des Herrn v. Goltz für Petersburg. , Er mußte seine Abreise dahin beeilen,
um sich von Herrn v. Bismark, der seinen Abgang mit vorgeschützter Krank¬
heit noch zu verzögern wußte, gehörig in alle Wege am Petersburger Hofe, so
wie in das Vertrauen Gortschakoffs einweihen zu lassen. Da traf denn end¬
lich v. Bismark in Berlin ein, ohne daß der König selber recht wußte, was
er mit ihm machen sollte. Aber es wußte dies eigentlich niemand. Herr


Haus der Abgeordneten zu bewirken. Der Ausfall dieser Wahlen im Herbste
vorigen Jahres wurde das glücklichste Ereigniß für die Feudalen; denn nichts
gab den König so vollständig in ihre Hand, als der fortwährend bei ihm ge¬
nährte Ingrimm und Verdacht gegen die als Demokraten verschrienen Wider¬
sacher der Erhöhung des Militärbudgets, von denen man unaufhörlich sagte,
daß sie die Krone ihrer Rechte berauben und die Regierungsgewalt in das
Parlament verlegen wollten. Nun traten auch, in der reactionären Presse wie
mündlich bei Hofe, die Verführer zum Staatsstreiche auf, zu dem der König mit
allen Künsten gedrängt werden sollte.

Die Dinge waren jedoch noch nicht zur Entscheidung reif, weder im In¬
nern noch nach Außen. Herr v. Bernstorf mußte in letzterer Beziehung das
Präludium mit seiner Forderung der Union anstimmen. Darauf schrieb
v. G. die Broschüre: „Ein preußisches Programm in der deutschen Frage",
mit der ein weiterer Fühler an den König wie an die Würzburger kam.
Der König antwortete darauf schon eingehender, und als die identischen No¬
ten eintrafen, war er bereits nahe daran, in seiner ersten Aufregung einen
entscheidenden Schritt für die ihm fortwährend angerathene Allianz mit Frank¬
reich und Rußland zu thun. Doch man fand, daß die Verstimmung gegen
Oestreich noch mehr angefacht werden müßte; denn der König hatte dem öst¬
reichischen Gesandten, Herrn v. Karolyi selbst im Januar dieses Jahres noch
wohlwollende Worte gesagt. Bismark durfte also auch noch nicht von Peters¬
burg kommen, da er den König in der rechten Stimmung zum unverzüglichen
Handeln finden sollte. Dreher die Monate lang umgegangenen und wider¬
rufenen Gerüchte, daß v. Bismark Petersburg verlassen, Minister werden, oder
aber nach London oder Paris gehen solle. In der Regel bezeichnete ein sol¬
ches Gerücht die jemals in der obersten Region herrschende Strömung. Auch
die sonst der Reactwn im Innern am meisten zugewandten Kräfte, denen sich
der König mehr und mehr näherte, wie die einer hohen Wittwe und eines
Bruders, durchkreuzten zuweilen die Richtung, welche von den in Berlin an¬
wesenden und aus der Ferne wirkenden Vertrauten des Herrn v. Bismark und
von diesem selbst gegeben wurde. Erst als der Ministerwechsel eingetreten, und
der König durch Berichte über die von Oestreich betriebene Agitation gegen den
Handelsvertrag mit Frankreich — unter dem er sich etwas Anderes denkt als
Herr v. Bernstorff — lebhaft' gereizt war, gelang plötzlich die Ernennung
des Herrn v. Goltz für Petersburg. , Er mußte seine Abreise dahin beeilen,
um sich von Herrn v. Bismark, der seinen Abgang mit vorgeschützter Krank¬
heit noch zu verzögern wußte, gehörig in alle Wege am Petersburger Hofe, so
wie in das Vertrauen Gortschakoffs einweihen zu lassen. Da traf denn end¬
lich v. Bismark in Berlin ein, ohne daß der König selber recht wußte, was
er mit ihm machen sollte. Aber es wußte dies eigentlich niemand. Herr


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[0357] Haus der Abgeordneten zu bewirken. Der Ausfall dieser Wahlen im Herbste vorigen Jahres wurde das glücklichste Ereigniß für die Feudalen; denn nichts gab den König so vollständig in ihre Hand, als der fortwährend bei ihm ge¬ nährte Ingrimm und Verdacht gegen die als Demokraten verschrienen Wider¬ sacher der Erhöhung des Militärbudgets, von denen man unaufhörlich sagte, daß sie die Krone ihrer Rechte berauben und die Regierungsgewalt in das Parlament verlegen wollten. Nun traten auch, in der reactionären Presse wie mündlich bei Hofe, die Verführer zum Staatsstreiche auf, zu dem der König mit allen Künsten gedrängt werden sollte. Die Dinge waren jedoch noch nicht zur Entscheidung reif, weder im In¬ nern noch nach Außen. Herr v. Bernstorf mußte in letzterer Beziehung das Präludium mit seiner Forderung der Union anstimmen. Darauf schrieb v. G. die Broschüre: „Ein preußisches Programm in der deutschen Frage", mit der ein weiterer Fühler an den König wie an die Würzburger kam. Der König antwortete darauf schon eingehender, und als die identischen No¬ ten eintrafen, war er bereits nahe daran, in seiner ersten Aufregung einen entscheidenden Schritt für die ihm fortwährend angerathene Allianz mit Frank¬ reich und Rußland zu thun. Doch man fand, daß die Verstimmung gegen Oestreich noch mehr angefacht werden müßte; denn der König hatte dem öst¬ reichischen Gesandten, Herrn v. Karolyi selbst im Januar dieses Jahres noch wohlwollende Worte gesagt. Bismark durfte also auch noch nicht von Peters¬ burg kommen, da er den König in der rechten Stimmung zum unverzüglichen Handeln finden sollte. Dreher die Monate lang umgegangenen und wider¬ rufenen Gerüchte, daß v. Bismark Petersburg verlassen, Minister werden, oder aber nach London oder Paris gehen solle. In der Regel bezeichnete ein sol¬ ches Gerücht die jemals in der obersten Region herrschende Strömung. Auch die sonst der Reactwn im Innern am meisten zugewandten Kräfte, denen sich der König mehr und mehr näherte, wie die einer hohen Wittwe und eines Bruders, durchkreuzten zuweilen die Richtung, welche von den in Berlin an¬ wesenden und aus der Ferne wirkenden Vertrauten des Herrn v. Bismark und von diesem selbst gegeben wurde. Erst als der Ministerwechsel eingetreten, und der König durch Berichte über die von Oestreich betriebene Agitation gegen den Handelsvertrag mit Frankreich — unter dem er sich etwas Anderes denkt als Herr v. Bernstorff — lebhaft' gereizt war, gelang plötzlich die Ernennung des Herrn v. Goltz für Petersburg. , Er mußte seine Abreise dahin beeilen, um sich von Herrn v. Bismark, der seinen Abgang mit vorgeschützter Krank¬ heit noch zu verzögern wußte, gehörig in alle Wege am Petersburger Hofe, so wie in das Vertrauen Gortschakoffs einweihen zu lassen. Da traf denn end¬ lich v. Bismark in Berlin ein, ohne daß der König selber recht wußte, was er mit ihm machen sollte. Aber es wußte dies eigentlich niemand. Herr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/357>, abgerufen am 25.08.2024.