Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

anerkannten, als das Thronrecht des alten, für sie nun erloschenen Karolinger¬
geschlechts, daß sie zuerst zusammengebracht hatte. Dem Sohne Heinrichs,
Otto dem Großen, war es dann möglich, die Zügel schon ungleich straffer zu¬
sammenzunehmen und nach allen Weitgegenden hin die Kraft der verbundenen
deutschen Stämme wirken zu lassen. Sofort aber fühlte er sich auch berufen,
eine Menge Erinnerungen des Karolingerreiches wieder aufzunehmen und an
sein Reich als an das erste der zu Verdun entstandenen Königreiche, das zu
Kraft und Macht zurückgekommen war, anzuknüpfen. Nachdem zu dem Erb¬
theile Ludwigs des Deutschen auch alles, was in der Verduner Thei¬
lung Lothar erhalten hatte, hinzugewonnen war, erwarb Otto die römische
Kaiserkrone. Die gemeinsame Behauptung dieser Kaiserkrone für den aus der
eigenen Gemeinschaft hervorgegangenen Herrscher bildete dann einen neuen
Vereinigungspunkt für die deutschen Stämme; mit dieser Krone zuerst em¬
pfing ihr König einen angemesseneren Titel neben dem alten, noch immer bei¬
behaltenen eines Frankenkönigs. Daß freilich dieser neue Titel ihn wieder ins
Schrankenlose hinauswies, -- daß es eben die römische Kaiserkrone war, um
welche das deutsche Volk sich schaarte. ist reich an Verhängnis; geworden für
die ganze Zukunft dieses Volkes. Immerhin aber, eine ganz andere Bedeu¬
tung für die deutsche Nation hatte diese Krone doch auf dem Haupte eines
Herrschers, der aus seiner Stellung an der Spitze der deutschen Stämme sein
Recht auf dieselbe herleitete, als auf dem Haupte Karl des Großen oder Lud¬
wig des Frommen, denen nur ein Bruchtheil der Deutschen zusammen mit
einem Bruchtheile der Romanen -- nur die Franken -- durch volkstümliche
Bande, die übrigen nur durch den Gedanken des allgemeinen Christenreiches
sich verbunden gefühlt hatten.

In seine fernere Geschichte aber nahm nun das deutsche Volk die Gegensätze
mit hinüber, unter, denen es zu einem Volke geworden war. Gegenüber den
Erinnerungen des Karolingerreiches und dem Anreiz der Kaiserkrone, durch
weiche die Waffen und die Gedanken von Herrscher und Volk über alle na¬
tionalen Grenzen hinausgetrieben! wurden, die Neigung der 'einzelnen Theile
der Nation, der einzelnen Stämme und Landschaften, sich ausschließlich geltend
zu machen und den Zusammenhang zwischen sich und dem Ganzen möglichst
zu lockern. Wesentlich diesen Antrieben und den mannigfachen Verhältnissen
in denen sie gegen einander und zusammenwirkten, verdankt unsere nationale
Geschichte ihre wichtigsten Grundzüge, unser nationaler Charakter seine glän¬
zendsten Vorzüge und seine beklagenswerthesten Schwächen.


^. 'A.


anerkannten, als das Thronrecht des alten, für sie nun erloschenen Karolinger¬
geschlechts, daß sie zuerst zusammengebracht hatte. Dem Sohne Heinrichs,
Otto dem Großen, war es dann möglich, die Zügel schon ungleich straffer zu¬
sammenzunehmen und nach allen Weitgegenden hin die Kraft der verbundenen
deutschen Stämme wirken zu lassen. Sofort aber fühlte er sich auch berufen,
eine Menge Erinnerungen des Karolingerreiches wieder aufzunehmen und an
sein Reich als an das erste der zu Verdun entstandenen Königreiche, das zu
Kraft und Macht zurückgekommen war, anzuknüpfen. Nachdem zu dem Erb¬
theile Ludwigs des Deutschen auch alles, was in der Verduner Thei¬
lung Lothar erhalten hatte, hinzugewonnen war, erwarb Otto die römische
Kaiserkrone. Die gemeinsame Behauptung dieser Kaiserkrone für den aus der
eigenen Gemeinschaft hervorgegangenen Herrscher bildete dann einen neuen
Vereinigungspunkt für die deutschen Stämme; mit dieser Krone zuerst em¬
pfing ihr König einen angemesseneren Titel neben dem alten, noch immer bei¬
behaltenen eines Frankenkönigs. Daß freilich dieser neue Titel ihn wieder ins
Schrankenlose hinauswies, — daß es eben die römische Kaiserkrone war, um
welche das deutsche Volk sich schaarte. ist reich an Verhängnis; geworden für
die ganze Zukunft dieses Volkes. Immerhin aber, eine ganz andere Bedeu¬
tung für die deutsche Nation hatte diese Krone doch auf dem Haupte eines
Herrschers, der aus seiner Stellung an der Spitze der deutschen Stämme sein
Recht auf dieselbe herleitete, als auf dem Haupte Karl des Großen oder Lud¬
wig des Frommen, denen nur ein Bruchtheil der Deutschen zusammen mit
einem Bruchtheile der Romanen — nur die Franken — durch volkstümliche
Bande, die übrigen nur durch den Gedanken des allgemeinen Christenreiches
sich verbunden gefühlt hatten.

In seine fernere Geschichte aber nahm nun das deutsche Volk die Gegensätze
mit hinüber, unter, denen es zu einem Volke geworden war. Gegenüber den
Erinnerungen des Karolingerreiches und dem Anreiz der Kaiserkrone, durch
weiche die Waffen und die Gedanken von Herrscher und Volk über alle na¬
tionalen Grenzen hinausgetrieben! wurden, die Neigung der 'einzelnen Theile
der Nation, der einzelnen Stämme und Landschaften, sich ausschließlich geltend
zu machen und den Zusammenhang zwischen sich und dem Ganzen möglichst
zu lockern. Wesentlich diesen Antrieben und den mannigfachen Verhältnissen
in denen sie gegen einander und zusammenwirkten, verdankt unsere nationale
Geschichte ihre wichtigsten Grundzüge, unser nationaler Charakter seine glän¬
zendsten Vorzüge und seine beklagenswerthesten Schwächen.


^. 'A.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114665"/>
          <p xml:id="ID_1380" prev="#ID_1379"> anerkannten, als das Thronrecht des alten, für sie nun erloschenen Karolinger¬<lb/>
geschlechts, daß sie zuerst zusammengebracht hatte. Dem Sohne Heinrichs,<lb/>
Otto dem Großen, war es dann möglich, die Zügel schon ungleich straffer zu¬<lb/>
sammenzunehmen und nach allen Weitgegenden hin die Kraft der verbundenen<lb/>
deutschen Stämme wirken zu lassen. Sofort aber fühlte er sich auch berufen,<lb/>
eine Menge Erinnerungen des Karolingerreiches wieder aufzunehmen und an<lb/>
sein Reich als an das erste der zu Verdun entstandenen Königreiche, das zu<lb/>
Kraft und Macht zurückgekommen war, anzuknüpfen. Nachdem zu dem Erb¬<lb/>
theile Ludwigs des Deutschen auch alles, was in der Verduner Thei¬<lb/>
lung Lothar erhalten hatte, hinzugewonnen war, erwarb Otto die römische<lb/>
Kaiserkrone. Die gemeinsame Behauptung dieser Kaiserkrone für den aus der<lb/>
eigenen Gemeinschaft hervorgegangenen Herrscher bildete dann einen neuen<lb/>
Vereinigungspunkt für die deutschen Stämme; mit dieser Krone zuerst em¬<lb/>
pfing ihr König einen angemesseneren Titel neben dem alten, noch immer bei¬<lb/>
behaltenen eines Frankenkönigs. Daß freilich dieser neue Titel ihn wieder ins<lb/>
Schrankenlose hinauswies, &#x2014; daß es eben die römische Kaiserkrone war, um<lb/>
welche das deutsche Volk sich schaarte. ist reich an Verhängnis; geworden für<lb/>
die ganze Zukunft dieses Volkes. Immerhin aber, eine ganz andere Bedeu¬<lb/>
tung für die deutsche Nation hatte diese Krone doch auf dem Haupte eines<lb/>
Herrschers, der aus seiner Stellung an der Spitze der deutschen Stämme sein<lb/>
Recht auf dieselbe herleitete, als auf dem Haupte Karl des Großen oder Lud¬<lb/>
wig des Frommen, denen nur ein Bruchtheil der Deutschen zusammen mit<lb/>
einem Bruchtheile der Romanen &#x2014; nur die Franken &#x2014; durch volkstümliche<lb/>
Bande, die übrigen nur durch den Gedanken des allgemeinen Christenreiches<lb/>
sich verbunden gefühlt hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1381"> In seine fernere Geschichte aber nahm nun das deutsche Volk die Gegensätze<lb/>
mit hinüber, unter, denen es zu einem Volke geworden war. Gegenüber den<lb/>
Erinnerungen des Karolingerreiches und dem Anreiz der Kaiserkrone, durch<lb/>
weiche die Waffen und die Gedanken von Herrscher und Volk über alle na¬<lb/>
tionalen Grenzen hinausgetrieben! wurden, die Neigung der 'einzelnen Theile<lb/>
der Nation, der einzelnen Stämme und Landschaften, sich ausschließlich geltend<lb/>
zu machen und den Zusammenhang zwischen sich und dem Ganzen möglichst<lb/>
zu lockern. Wesentlich diesen Antrieben und den mannigfachen Verhältnissen<lb/>
in denen sie gegen einander und zusammenwirkten, verdankt unsere nationale<lb/>
Geschichte ihre wichtigsten Grundzüge, unser nationaler Charakter seine glän¬<lb/>
zendsten Vorzüge und seine beklagenswerthesten Schwächen.</p><lb/>
          <note type="byline"> ^. 'A.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] anerkannten, als das Thronrecht des alten, für sie nun erloschenen Karolinger¬ geschlechts, daß sie zuerst zusammengebracht hatte. Dem Sohne Heinrichs, Otto dem Großen, war es dann möglich, die Zügel schon ungleich straffer zu¬ sammenzunehmen und nach allen Weitgegenden hin die Kraft der verbundenen deutschen Stämme wirken zu lassen. Sofort aber fühlte er sich auch berufen, eine Menge Erinnerungen des Karolingerreiches wieder aufzunehmen und an sein Reich als an das erste der zu Verdun entstandenen Königreiche, das zu Kraft und Macht zurückgekommen war, anzuknüpfen. Nachdem zu dem Erb¬ theile Ludwigs des Deutschen auch alles, was in der Verduner Thei¬ lung Lothar erhalten hatte, hinzugewonnen war, erwarb Otto die römische Kaiserkrone. Die gemeinsame Behauptung dieser Kaiserkrone für den aus der eigenen Gemeinschaft hervorgegangenen Herrscher bildete dann einen neuen Vereinigungspunkt für die deutschen Stämme; mit dieser Krone zuerst em¬ pfing ihr König einen angemesseneren Titel neben dem alten, noch immer bei¬ behaltenen eines Frankenkönigs. Daß freilich dieser neue Titel ihn wieder ins Schrankenlose hinauswies, — daß es eben die römische Kaiserkrone war, um welche das deutsche Volk sich schaarte. ist reich an Verhängnis; geworden für die ganze Zukunft dieses Volkes. Immerhin aber, eine ganz andere Bedeu¬ tung für die deutsche Nation hatte diese Krone doch auf dem Haupte eines Herrschers, der aus seiner Stellung an der Spitze der deutschen Stämme sein Recht auf dieselbe herleitete, als auf dem Haupte Karl des Großen oder Lud¬ wig des Frommen, denen nur ein Bruchtheil der Deutschen zusammen mit einem Bruchtheile der Romanen — nur die Franken — durch volkstümliche Bande, die übrigen nur durch den Gedanken des allgemeinen Christenreiches sich verbunden gefühlt hatten. In seine fernere Geschichte aber nahm nun das deutsche Volk die Gegensätze mit hinüber, unter, denen es zu einem Volke geworden war. Gegenüber den Erinnerungen des Karolingerreiches und dem Anreiz der Kaiserkrone, durch weiche die Waffen und die Gedanken von Herrscher und Volk über alle na¬ tionalen Grenzen hinausgetrieben! wurden, die Neigung der 'einzelnen Theile der Nation, der einzelnen Stämme und Landschaften, sich ausschließlich geltend zu machen und den Zusammenhang zwischen sich und dem Ganzen möglichst zu lockern. Wesentlich diesen Antrieben und den mannigfachen Verhältnissen in denen sie gegen einander und zusammenwirkten, verdankt unsere nationale Geschichte ihre wichtigsten Grundzüge, unser nationaler Charakter seine glän¬ zendsten Vorzüge und seine beklagenswerthesten Schwächen. ^. 'A.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/351>, abgerufen am 25.08.2024.