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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Macht darboten -- die nach so vielen Seiten hin wichtige Stellung des Erz-
bischofs Hincmar von Rheims --, die glänzenden Erfolge des großen Papstes
Nikolaus in den Ehchändeln Lothars des Zweiten wie im Streite mit der
morgenländischen Kirche -- erfahren die sorgfältigste, dem neuesten Stande der
Wissenschaft entsprechende und aus gründlichster, eigener Forschung herfließende
Behandlung. ,

Kommen wir nun zum Schluß noch einmal auf unsere Hauptfrage, die
nationale, zurück, Wie wenig man auch hei der Verduner Theilung durch einen
Gedanken an die Deutschen als solche "bestimmt worden war, die große Masse
derselben einem besonderen Könige zu untergeben -- daß sich diese große Masse
nun unter einem Könige beisammen befand, konnte doch nicht ohne Wirkung
bleiben, sie des Gemeinsamen, was von Natur unter ihr obwaltete, lebendiger
inne werden zu lassen. Gerade für die Deutschen aber haben wir jede derartige
Anregung um so höher anzuschlagen, je entschiedener bei einer länger" Dauer
des Gesammtreiches eben sie rücksichtlich einer solchen Möglichkeit, zu einem
nationalen Bewußtsein zu gelangen, sich gegen die übrigen Nationen im Nach¬
theil befanden. Was von höheren Culturelementen im Karolingerreiche officiell
gehegt und gefördert wurde, hatte seinen heimathlichen Boden in den Ländern
des ehemaligen Römerreiches.' in Italien und im heutigen Frankreich. Zu den
Deutschen aber wurde es durch die Vermittlung des Reiches nicht in solchem
Maße und solcher Art gebracht, daß, ähnlich wie dies bei den Angelsachsen
der britischen Insel der Fall war, der eigenen Sprache und dem eigenen, for¬
menden Sinne des Volkes dadurch ein kräftiger Anlaß geboten worden wäre,
sich in seiner Weise daran zu üben und ein höheres Bewußtsein seiner
selbst zu gewinnen. Wie das Reich gewissermaßen mit der Kirche zusammen¬
fiel, so war auch die Sprache der Kirche die Sprache des Reiches, wie der
Kaiser über allen Völkerschaften stand und als Kaiser keiner von ihnen ange¬
hörte, so auch die lateinische Sprache, in der die Gesetze und Erlasse, die Ur¬
kunden und officiellen Correspondenzen abgefaßt waren. Mit der Kirche und
der Wissenschaft wirkte der Staat zusammen, alle Höherstrcbenden für jeden
über das gemeine Leben hinausgehenden Gebrauch von der Volkssprache auf
eine fremde Sprache hinzuweisen. Natürlich aber, daß nun Gallien und Italien,
den deutschen Landen überlegen schon hinsichtlich des Bildungsmaterials, es
noch viel augenfälliger in bequemer und verbreiteter Handhabung dieser Kirchen-,
Literatur- und Neichssprache waren, der ja die dortigen Volkssprachen noch so
nahe standen. Also ein Uebergewicht des Westens und Südens über den Osten,
das sich auf das ganze höhere Geistesleben erstreckte; ein Einströmen des Frem¬
den in solcher Mannhaftigkeit und solcher Bestimmtheit nach Inhalt wie nach
Form, daß darüber den Deutschen jede liebevolle Ausprägung ihrer Eigen¬
thümlichkeit fast unmöglich wurde. Bedenken wir, welche schwere Arbeit der


Macht darboten — die nach so vielen Seiten hin wichtige Stellung des Erz-
bischofs Hincmar von Rheims —, die glänzenden Erfolge des großen Papstes
Nikolaus in den Ehchändeln Lothars des Zweiten wie im Streite mit der
morgenländischen Kirche — erfahren die sorgfältigste, dem neuesten Stande der
Wissenschaft entsprechende und aus gründlichster, eigener Forschung herfließende
Behandlung. ,

Kommen wir nun zum Schluß noch einmal auf unsere Hauptfrage, die
nationale, zurück, Wie wenig man auch hei der Verduner Theilung durch einen
Gedanken an die Deutschen als solche "bestimmt worden war, die große Masse
derselben einem besonderen Könige zu untergeben — daß sich diese große Masse
nun unter einem Könige beisammen befand, konnte doch nicht ohne Wirkung
bleiben, sie des Gemeinsamen, was von Natur unter ihr obwaltete, lebendiger
inne werden zu lassen. Gerade für die Deutschen aber haben wir jede derartige
Anregung um so höher anzuschlagen, je entschiedener bei einer länger» Dauer
des Gesammtreiches eben sie rücksichtlich einer solchen Möglichkeit, zu einem
nationalen Bewußtsein zu gelangen, sich gegen die übrigen Nationen im Nach¬
theil befanden. Was von höheren Culturelementen im Karolingerreiche officiell
gehegt und gefördert wurde, hatte seinen heimathlichen Boden in den Ländern
des ehemaligen Römerreiches.' in Italien und im heutigen Frankreich. Zu den
Deutschen aber wurde es durch die Vermittlung des Reiches nicht in solchem
Maße und solcher Art gebracht, daß, ähnlich wie dies bei den Angelsachsen
der britischen Insel der Fall war, der eigenen Sprache und dem eigenen, for¬
menden Sinne des Volkes dadurch ein kräftiger Anlaß geboten worden wäre,
sich in seiner Weise daran zu üben und ein höheres Bewußtsein seiner
selbst zu gewinnen. Wie das Reich gewissermaßen mit der Kirche zusammen¬
fiel, so war auch die Sprache der Kirche die Sprache des Reiches, wie der
Kaiser über allen Völkerschaften stand und als Kaiser keiner von ihnen ange¬
hörte, so auch die lateinische Sprache, in der die Gesetze und Erlasse, die Ur¬
kunden und officiellen Correspondenzen abgefaßt waren. Mit der Kirche und
der Wissenschaft wirkte der Staat zusammen, alle Höherstrcbenden für jeden
über das gemeine Leben hinausgehenden Gebrauch von der Volkssprache auf
eine fremde Sprache hinzuweisen. Natürlich aber, daß nun Gallien und Italien,
den deutschen Landen überlegen schon hinsichtlich des Bildungsmaterials, es
noch viel augenfälliger in bequemer und verbreiteter Handhabung dieser Kirchen-,
Literatur- und Neichssprache waren, der ja die dortigen Volkssprachen noch so
nahe standen. Also ein Uebergewicht des Westens und Südens über den Osten,
das sich auf das ganze höhere Geistesleben erstreckte; ein Einströmen des Frem¬
den in solcher Mannhaftigkeit und solcher Bestimmtheit nach Inhalt wie nach
Form, daß darüber den Deutschen jede liebevolle Ausprägung ihrer Eigen¬
thümlichkeit fast unmöglich wurde. Bedenken wir, welche schwere Arbeit der


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[0348] Macht darboten — die nach so vielen Seiten hin wichtige Stellung des Erz- bischofs Hincmar von Rheims —, die glänzenden Erfolge des großen Papstes Nikolaus in den Ehchändeln Lothars des Zweiten wie im Streite mit der morgenländischen Kirche — erfahren die sorgfältigste, dem neuesten Stande der Wissenschaft entsprechende und aus gründlichster, eigener Forschung herfließende Behandlung. , Kommen wir nun zum Schluß noch einmal auf unsere Hauptfrage, die nationale, zurück, Wie wenig man auch hei der Verduner Theilung durch einen Gedanken an die Deutschen als solche "bestimmt worden war, die große Masse derselben einem besonderen Könige zu untergeben — daß sich diese große Masse nun unter einem Könige beisammen befand, konnte doch nicht ohne Wirkung bleiben, sie des Gemeinsamen, was von Natur unter ihr obwaltete, lebendiger inne werden zu lassen. Gerade für die Deutschen aber haben wir jede derartige Anregung um so höher anzuschlagen, je entschiedener bei einer länger» Dauer des Gesammtreiches eben sie rücksichtlich einer solchen Möglichkeit, zu einem nationalen Bewußtsein zu gelangen, sich gegen die übrigen Nationen im Nach¬ theil befanden. Was von höheren Culturelementen im Karolingerreiche officiell gehegt und gefördert wurde, hatte seinen heimathlichen Boden in den Ländern des ehemaligen Römerreiches.' in Italien und im heutigen Frankreich. Zu den Deutschen aber wurde es durch die Vermittlung des Reiches nicht in solchem Maße und solcher Art gebracht, daß, ähnlich wie dies bei den Angelsachsen der britischen Insel der Fall war, der eigenen Sprache und dem eigenen, for¬ menden Sinne des Volkes dadurch ein kräftiger Anlaß geboten worden wäre, sich in seiner Weise daran zu üben und ein höheres Bewußtsein seiner selbst zu gewinnen. Wie das Reich gewissermaßen mit der Kirche zusammen¬ fiel, so war auch die Sprache der Kirche die Sprache des Reiches, wie der Kaiser über allen Völkerschaften stand und als Kaiser keiner von ihnen ange¬ hörte, so auch die lateinische Sprache, in der die Gesetze und Erlasse, die Ur¬ kunden und officiellen Correspondenzen abgefaßt waren. Mit der Kirche und der Wissenschaft wirkte der Staat zusammen, alle Höherstrcbenden für jeden über das gemeine Leben hinausgehenden Gebrauch von der Volkssprache auf eine fremde Sprache hinzuweisen. Natürlich aber, daß nun Gallien und Italien, den deutschen Landen überlegen schon hinsichtlich des Bildungsmaterials, es noch viel augenfälliger in bequemer und verbreiteter Handhabung dieser Kirchen-, Literatur- und Neichssprache waren, der ja die dortigen Volkssprachen noch so nahe standen. Also ein Uebergewicht des Westens und Südens über den Osten, das sich auf das ganze höhere Geistesleben erstreckte; ein Einströmen des Frem¬ den in solcher Mannhaftigkeit und solcher Bestimmtheit nach Inhalt wie nach Form, daß darüber den Deutschen jede liebevolle Ausprägung ihrer Eigen¬ thümlichkeit fast unmöglich wurde. Bedenken wir, welche schwere Arbeit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/348>, abgerufen am 26.08.2024.