Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

besagte, im Munde der Deutschredenden, das Wort tdimU^c (von t-tnuZa, das
Volk), woraus unser "Deutsch" entstanden ist. Als nun im Laufe der Karo-
lingerzeit der Verkehr mit dem Westen und Süden ein äußerst lebhafter gewor¬
den und zugleich die dortigen Sprachen von der lateinischen, die ihnen zu Grunde
lag, schon so weit abgekommen waren, daß man auch sie oft als lin^na, vulMi-i"
im Gegensähe zu der Sprache der Geistlichkeit charakterisirte, so kam man in
der (fast ausschließlich lateinischen) Literatur der Zeit mit dem Ausdrucke:
lingu-1 vulg'.-rris für die specielle Bezeichnung der deutschen Sprache nicht mehr
aus. Also nahm denn die Geistlichkeit dasjenige Wort, worunter man in
deutscher Zunge und auf deutschem Gebiete die Vulgärsprache -- und dort
natürlich immer die eigene -- verstand, zur Benennung dieser besonderen Vul¬
gärsprache in ihr Latein auf; aus dem deutschen iromen irppvUMvum ein
lateinisches nomen pi'yxrium machend, redete sie von einer r-knucliseg, liugrm
nicht blos im Gegensatze zu dem Latein, sondern auch zu der "römischen Vul¬
gärsprache (klug-rin, rcmmnti. vulMi'i8, wie man die Anfänge des heutigen Fran¬
zösisch zu nennen Pflegte), und Geistlichkeit*) und Volk gewöhnten sich, bei tiriu-
cli^eus, tlriuelisk, deutsch, nicht blos an die Laiensprache im Contrast zur kleri¬
kalen, sondern auch an die Landessprache im Contrast zu den Sprachen anderer
Länder zu denken. Natürlich aber, daß das Wort in dieser neuen Bedeutung
geraume Zeit auch nur auf dasjenige gemeinsame Besitzthum der Deutschen,
zu dessen Bezeichnung es emporgekommen war -- nur auf die Sprache, ange¬
wendet wurde; man wußte nichts von "deutschen Menschen", sondern nur von
"Menschen, welche die deutsche Sprache reden". Erst allmälig wurde es, zur
Vermeidung solcher Weitschweifigkeit, üblick, den deutschredenden Menschen selbst
als einen Deutschen zu bezeichnen; und erst einer ferneren Entwicklung bedürfte
es dann wieder, bis man bei der Benennung eines Menschen als eines "Deut¬
schen" noch an etwas Anderes als an seine Sprache dachte, bis die Sprache
nicht das Einzige war, worin die Deutschen als solche sich zusammenfanden
und auf einander angewiesen fühlten.

Damals aber, als man den Verduncr Vertrag abschloß, lag das noch in
weiter Ferne. Und so hatte man denn, nachdem die Kämpfe Ludwigs des
Frommen und seiner Söhne ohne Rücksicht auf deutsche oder französische Natio-
nalgefühle ausgefochten waren, auch bei der schließlichen Theilung nichts weniger
im Auge als solchen Gefühlen eine Genugthuung zu geben. Lediglich die un¬
willkürliche Folge der geographischen Verhältnisse war es, daß auf den Antheil



- ") Welche natürlich in alle" Dingen, über die zur Klarheit zu kommen ein etwas weiterer
Horizont erforderlich war, für Anschauungs- und Ausdrucksweise des Volks durchaus ma߬
gebend gedacht werden muß.

besagte, im Munde der Deutschredenden, das Wort tdimU^c (von t-tnuZa, das
Volk), woraus unser „Deutsch" entstanden ist. Als nun im Laufe der Karo-
lingerzeit der Verkehr mit dem Westen und Süden ein äußerst lebhafter gewor¬
den und zugleich die dortigen Sprachen von der lateinischen, die ihnen zu Grunde
lag, schon so weit abgekommen waren, daß man auch sie oft als lin^na, vulMi-i«
im Gegensähe zu der Sprache der Geistlichkeit charakterisirte, so kam man in
der (fast ausschließlich lateinischen) Literatur der Zeit mit dem Ausdrucke:
lingu-1 vulg'.-rris für die specielle Bezeichnung der deutschen Sprache nicht mehr
aus. Also nahm denn die Geistlichkeit dasjenige Wort, worunter man in
deutscher Zunge und auf deutschem Gebiete die Vulgärsprache — und dort
natürlich immer die eigene — verstand, zur Benennung dieser besonderen Vul¬
gärsprache in ihr Latein auf; aus dem deutschen iromen irppvUMvum ein
lateinisches nomen pi'yxrium machend, redete sie von einer r-knucliseg, liugrm
nicht blos im Gegensatze zu dem Latein, sondern auch zu der „römischen Vul¬
gärsprache (klug-rin, rcmmnti. vulMi'i8, wie man die Anfänge des heutigen Fran¬
zösisch zu nennen Pflegte), und Geistlichkeit*) und Volk gewöhnten sich, bei tiriu-
cli^eus, tlriuelisk, deutsch, nicht blos an die Laiensprache im Contrast zur kleri¬
kalen, sondern auch an die Landessprache im Contrast zu den Sprachen anderer
Länder zu denken. Natürlich aber, daß das Wort in dieser neuen Bedeutung
geraume Zeit auch nur auf dasjenige gemeinsame Besitzthum der Deutschen,
zu dessen Bezeichnung es emporgekommen war — nur auf die Sprache, ange¬
wendet wurde; man wußte nichts von „deutschen Menschen", sondern nur von
„Menschen, welche die deutsche Sprache reden". Erst allmälig wurde es, zur
Vermeidung solcher Weitschweifigkeit, üblick, den deutschredenden Menschen selbst
als einen Deutschen zu bezeichnen; und erst einer ferneren Entwicklung bedürfte
es dann wieder, bis man bei der Benennung eines Menschen als eines „Deut¬
schen" noch an etwas Anderes als an seine Sprache dachte, bis die Sprache
nicht das Einzige war, worin die Deutschen als solche sich zusammenfanden
und auf einander angewiesen fühlten.

Damals aber, als man den Verduncr Vertrag abschloß, lag das noch in
weiter Ferne. Und so hatte man denn, nachdem die Kämpfe Ludwigs des
Frommen und seiner Söhne ohne Rücksicht auf deutsche oder französische Natio-
nalgefühle ausgefochten waren, auch bei der schließlichen Theilung nichts weniger
im Auge als solchen Gefühlen eine Genugthuung zu geben. Lediglich die un¬
willkürliche Folge der geographischen Verhältnisse war es, daß auf den Antheil



- ") Welche natürlich in alle» Dingen, über die zur Klarheit zu kommen ein etwas weiterer
Horizont erforderlich war, für Anschauungs- und Ausdrucksweise des Volks durchaus ma߬
gebend gedacht werden muß.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114658"/>
          <p xml:id="ID_1364" prev="#ID_1363"> besagte, im Munde der Deutschredenden, das Wort tdimU^c (von t-tnuZa, das<lb/>
Volk), woraus unser &#x201E;Deutsch" entstanden ist. Als nun im Laufe der Karo-<lb/>
lingerzeit der Verkehr mit dem Westen und Süden ein äußerst lebhafter gewor¬<lb/>
den und zugleich die dortigen Sprachen von der lateinischen, die ihnen zu Grunde<lb/>
lag, schon so weit abgekommen waren, daß man auch sie oft als lin^na, vulMi-i«<lb/>
im Gegensähe zu der Sprache der Geistlichkeit charakterisirte, so kam man in<lb/>
der (fast ausschließlich lateinischen) Literatur der Zeit mit dem Ausdrucke:<lb/>
lingu-1 vulg'.-rris für die specielle Bezeichnung der deutschen Sprache nicht mehr<lb/>
aus. Also nahm denn die Geistlichkeit dasjenige Wort, worunter man in<lb/>
deutscher Zunge und auf deutschem Gebiete die Vulgärsprache &#x2014; und dort<lb/>
natürlich immer die eigene &#x2014; verstand, zur Benennung dieser besonderen Vul¬<lb/>
gärsprache in ihr Latein auf; aus dem deutschen iromen irppvUMvum ein<lb/>
lateinisches nomen pi'yxrium machend, redete sie von einer r-knucliseg, liugrm<lb/>
nicht blos im Gegensatze zu dem Latein, sondern auch zu der &#x201E;römischen Vul¬<lb/>
gärsprache (klug-rin, rcmmnti. vulMi'i8, wie man die Anfänge des heutigen Fran¬<lb/>
zösisch zu nennen Pflegte), und Geistlichkeit*) und Volk gewöhnten sich, bei tiriu-<lb/>
cli^eus, tlriuelisk, deutsch, nicht blos an die Laiensprache im Contrast zur kleri¬<lb/>
kalen, sondern auch an die Landessprache im Contrast zu den Sprachen anderer<lb/>
Länder zu denken. Natürlich aber, daß das Wort in dieser neuen Bedeutung<lb/>
geraume Zeit auch nur auf dasjenige gemeinsame Besitzthum der Deutschen,<lb/>
zu dessen Bezeichnung es emporgekommen war &#x2014; nur auf die Sprache, ange¬<lb/>
wendet wurde; man wußte nichts von &#x201E;deutschen Menschen", sondern nur von<lb/>
&#x201E;Menschen, welche die deutsche Sprache reden". Erst allmälig wurde es, zur<lb/>
Vermeidung solcher Weitschweifigkeit, üblick, den deutschredenden Menschen selbst<lb/>
als einen Deutschen zu bezeichnen; und erst einer ferneren Entwicklung bedürfte<lb/>
es dann wieder, bis man bei der Benennung eines Menschen als eines &#x201E;Deut¬<lb/>
schen" noch an etwas Anderes als an seine Sprache dachte, bis die Sprache<lb/>
nicht das Einzige war, worin die Deutschen als solche sich zusammenfanden<lb/>
und auf einander angewiesen fühlten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1365" next="#ID_1366"> Damals aber, als man den Verduncr Vertrag abschloß, lag das noch in<lb/>
weiter Ferne. Und so hatte man denn, nachdem die Kämpfe Ludwigs des<lb/>
Frommen und seiner Söhne ohne Rücksicht auf deutsche oder französische Natio-<lb/>
nalgefühle ausgefochten waren, auch bei der schließlichen Theilung nichts weniger<lb/>
im Auge als solchen Gefühlen eine Genugthuung zu geben. Lediglich die un¬<lb/>
willkürliche Folge der geographischen Verhältnisse war es, daß auf den Antheil</p><lb/>
          <note xml:id="FID_20" place="foot"> - ") Welche natürlich in alle» Dingen, über die zur Klarheit zu kommen ein etwas weiterer<lb/>
Horizont erforderlich war, für Anschauungs- und Ausdrucksweise des Volks durchaus ma߬<lb/>
gebend gedacht werden muß.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] besagte, im Munde der Deutschredenden, das Wort tdimU^c (von t-tnuZa, das Volk), woraus unser „Deutsch" entstanden ist. Als nun im Laufe der Karo- lingerzeit der Verkehr mit dem Westen und Süden ein äußerst lebhafter gewor¬ den und zugleich die dortigen Sprachen von der lateinischen, die ihnen zu Grunde lag, schon so weit abgekommen waren, daß man auch sie oft als lin^na, vulMi-i« im Gegensähe zu der Sprache der Geistlichkeit charakterisirte, so kam man in der (fast ausschließlich lateinischen) Literatur der Zeit mit dem Ausdrucke: lingu-1 vulg'.-rris für die specielle Bezeichnung der deutschen Sprache nicht mehr aus. Also nahm denn die Geistlichkeit dasjenige Wort, worunter man in deutscher Zunge und auf deutschem Gebiete die Vulgärsprache — und dort natürlich immer die eigene — verstand, zur Benennung dieser besonderen Vul¬ gärsprache in ihr Latein auf; aus dem deutschen iromen irppvUMvum ein lateinisches nomen pi'yxrium machend, redete sie von einer r-knucliseg, liugrm nicht blos im Gegensatze zu dem Latein, sondern auch zu der „römischen Vul¬ gärsprache (klug-rin, rcmmnti. vulMi'i8, wie man die Anfänge des heutigen Fran¬ zösisch zu nennen Pflegte), und Geistlichkeit*) und Volk gewöhnten sich, bei tiriu- cli^eus, tlriuelisk, deutsch, nicht blos an die Laiensprache im Contrast zur kleri¬ kalen, sondern auch an die Landessprache im Contrast zu den Sprachen anderer Länder zu denken. Natürlich aber, daß das Wort in dieser neuen Bedeutung geraume Zeit auch nur auf dasjenige gemeinsame Besitzthum der Deutschen, zu dessen Bezeichnung es emporgekommen war — nur auf die Sprache, ange¬ wendet wurde; man wußte nichts von „deutschen Menschen", sondern nur von „Menschen, welche die deutsche Sprache reden". Erst allmälig wurde es, zur Vermeidung solcher Weitschweifigkeit, üblick, den deutschredenden Menschen selbst als einen Deutschen zu bezeichnen; und erst einer ferneren Entwicklung bedürfte es dann wieder, bis man bei der Benennung eines Menschen als eines „Deut¬ schen" noch an etwas Anderes als an seine Sprache dachte, bis die Sprache nicht das Einzige war, worin die Deutschen als solche sich zusammenfanden und auf einander angewiesen fühlten. Damals aber, als man den Verduncr Vertrag abschloß, lag das noch in weiter Ferne. Und so hatte man denn, nachdem die Kämpfe Ludwigs des Frommen und seiner Söhne ohne Rücksicht auf deutsche oder französische Natio- nalgefühle ausgefochten waren, auch bei der schließlichen Theilung nichts weniger im Auge als solchen Gefühlen eine Genugthuung zu geben. Lediglich die un¬ willkürliche Folge der geographischen Verhältnisse war es, daß auf den Antheil - ") Welche natürlich in alle» Dingen, über die zur Klarheit zu kommen ein etwas weiterer Horizont erforderlich war, für Anschauungs- und Ausdrucksweise des Volks durchaus ma߬ gebend gedacht werden muß.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/344>, abgerufen am 26.08.2024.