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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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demnach die Theilung des Reiches unter mehre Söhne als das Rechtmäßige
und Natürliche anzusehn. Nachdem der alte Kaiser gestorben, trat dieser Gegen¬
satz in seiner ganzen Reinheit hervor. Sofort vereinigte sich der jüngere
Sohn*) erster Ehe auf das festeste mit dem oft angefeindeten Stiefbruder, um
gemeinschaftlich mit ihm gegen Lothar und die Einheitsidee die alte Rechts-
gewohnheit der Theilung geltend zu machen. Dem großen Gedanken, den
Lothars Freunde anriefen, stand kein anderer, ebenbürtiger Gedanke gegenüber,
sondern im Wesentlichen die Unfähigkeit der Zeit, sich von der niederen, wenn
wir so sagen dürfen, patrimonialen Anschauungsweise über die Natur des Reiches"
zu einer höheren, staatlicheren zu erheben. Nicht mit Unrecht mochten daher
auch in solcher Beziehung die Lotharianer die schließliche Theilung als ein
klägliches Zurückfallen von der Höhe ansehen, auf welche man seit dem Ende
der Merovingerzeiten so mühsam emporgeklommen war. Die edelsten und ein¬
sichtsvollsten Geister jener Tage erblickten in dieser Theilung nur einen Grund
des tiefsten Schmerzes und lautesten Jammers; suchten sie aber nach einem
Troste für den Verlust ihrer schönsten Ideale, so fanden sie ihn doch am wenig¬
sten in der Betrachtung, daß das eine oder andere der neu entstandenen Reiche
eine Nation in sich abschließe, vor übermäßiger Berührung mit fremden be¬
wahre und zur freieren Verfolgung ihrer eigenen Bestrebungen befähige.

Nicht zwar als hätten volksthümliche Neigungen und Abneigungen wäh¬
rend der Kämpfe aller Gelegenheit, eine Rolle zu spielen, entbehrt; nur waren
dieselben von ganz anderer Art als an welche wir heutzutage bei der Erinne¬
rung an den Verduner Vertrag zu denken Pflegen. Man wollte bemerken und
es fehlt auch nicht an Erklärungsgründen dazu, daß unter den eigentlichen
Franken die Sache Lothars und der Reichscinheit vorzügliche Sympathien fand;
eben der Gegensatz gegen das Herrschervolk der Franken hätte dann die andern
Völkerschaften dem alten Kaiser oder den jüngern Brüdern günstig gestimmt.
Von irgend einem Auseinandertreten nach "Deutsch" und "Französisch" konnte
aber dabei um so weniger die Rede sein als diejenigen, zu denen sich die
Uebrigen im Gegensatze fühlten --- die Franken in ihrer Ausdehnung von der
Seine bis zu den oberen Maingegenden beiderlei Menschen in sich vereinigt dar¬
stellten, ohne sich dadurch in ihrem Bewußtsein als der Eine herrschende Stamm
sonderlich gestört zu fühlen. Ebenso wenig vereinigte denn auch begreiflicherweise
ein deutsches Bewußtsein den Alemannen in besondrer Weise mit dem Thüringer,
ein französisches de,n Burgunder mit dem Aquitanier, sondern eine jede dieser
Völkerschaften wußte nur von sich und hing nur ihrem ganz particulären
Stammesgefühle nach, wenn sie sich etwa gern gegen die übermüthigen Franken
ins Feld führen ließ.



*) Der eine von den drei Sohn?" erster Ehe, Pipin, war kurz vor dem Aelter gestorben,

demnach die Theilung des Reiches unter mehre Söhne als das Rechtmäßige
und Natürliche anzusehn. Nachdem der alte Kaiser gestorben, trat dieser Gegen¬
satz in seiner ganzen Reinheit hervor. Sofort vereinigte sich der jüngere
Sohn*) erster Ehe auf das festeste mit dem oft angefeindeten Stiefbruder, um
gemeinschaftlich mit ihm gegen Lothar und die Einheitsidee die alte Rechts-
gewohnheit der Theilung geltend zu machen. Dem großen Gedanken, den
Lothars Freunde anriefen, stand kein anderer, ebenbürtiger Gedanke gegenüber,
sondern im Wesentlichen die Unfähigkeit der Zeit, sich von der niederen, wenn
wir so sagen dürfen, patrimonialen Anschauungsweise über die Natur des Reiches"
zu einer höheren, staatlicheren zu erheben. Nicht mit Unrecht mochten daher
auch in solcher Beziehung die Lotharianer die schließliche Theilung als ein
klägliches Zurückfallen von der Höhe ansehen, auf welche man seit dem Ende
der Merovingerzeiten so mühsam emporgeklommen war. Die edelsten und ein¬
sichtsvollsten Geister jener Tage erblickten in dieser Theilung nur einen Grund
des tiefsten Schmerzes und lautesten Jammers; suchten sie aber nach einem
Troste für den Verlust ihrer schönsten Ideale, so fanden sie ihn doch am wenig¬
sten in der Betrachtung, daß das eine oder andere der neu entstandenen Reiche
eine Nation in sich abschließe, vor übermäßiger Berührung mit fremden be¬
wahre und zur freieren Verfolgung ihrer eigenen Bestrebungen befähige.

Nicht zwar als hätten volksthümliche Neigungen und Abneigungen wäh¬
rend der Kämpfe aller Gelegenheit, eine Rolle zu spielen, entbehrt; nur waren
dieselben von ganz anderer Art als an welche wir heutzutage bei der Erinne¬
rung an den Verduner Vertrag zu denken Pflegen. Man wollte bemerken und
es fehlt auch nicht an Erklärungsgründen dazu, daß unter den eigentlichen
Franken die Sache Lothars und der Reichscinheit vorzügliche Sympathien fand;
eben der Gegensatz gegen das Herrschervolk der Franken hätte dann die andern
Völkerschaften dem alten Kaiser oder den jüngern Brüdern günstig gestimmt.
Von irgend einem Auseinandertreten nach „Deutsch" und „Französisch" konnte
aber dabei um so weniger die Rede sein als diejenigen, zu denen sich die
Uebrigen im Gegensatze fühlten —- die Franken in ihrer Ausdehnung von der
Seine bis zu den oberen Maingegenden beiderlei Menschen in sich vereinigt dar¬
stellten, ohne sich dadurch in ihrem Bewußtsein als der Eine herrschende Stamm
sonderlich gestört zu fühlen. Ebenso wenig vereinigte denn auch begreiflicherweise
ein deutsches Bewußtsein den Alemannen in besondrer Weise mit dem Thüringer,
ein französisches de,n Burgunder mit dem Aquitanier, sondern eine jede dieser
Völkerschaften wußte nur von sich und hing nur ihrem ganz particulären
Stammesgefühle nach, wenn sie sich etwa gern gegen die übermüthigen Franken
ins Feld führen ließ.



*) Der eine von den drei Sohn?» erster Ehe, Pipin, war kurz vor dem Aelter gestorben,
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[0342] demnach die Theilung des Reiches unter mehre Söhne als das Rechtmäßige und Natürliche anzusehn. Nachdem der alte Kaiser gestorben, trat dieser Gegen¬ satz in seiner ganzen Reinheit hervor. Sofort vereinigte sich der jüngere Sohn*) erster Ehe auf das festeste mit dem oft angefeindeten Stiefbruder, um gemeinschaftlich mit ihm gegen Lothar und die Einheitsidee die alte Rechts- gewohnheit der Theilung geltend zu machen. Dem großen Gedanken, den Lothars Freunde anriefen, stand kein anderer, ebenbürtiger Gedanke gegenüber, sondern im Wesentlichen die Unfähigkeit der Zeit, sich von der niederen, wenn wir so sagen dürfen, patrimonialen Anschauungsweise über die Natur des Reiches" zu einer höheren, staatlicheren zu erheben. Nicht mit Unrecht mochten daher auch in solcher Beziehung die Lotharianer die schließliche Theilung als ein klägliches Zurückfallen von der Höhe ansehen, auf welche man seit dem Ende der Merovingerzeiten so mühsam emporgeklommen war. Die edelsten und ein¬ sichtsvollsten Geister jener Tage erblickten in dieser Theilung nur einen Grund des tiefsten Schmerzes und lautesten Jammers; suchten sie aber nach einem Troste für den Verlust ihrer schönsten Ideale, so fanden sie ihn doch am wenig¬ sten in der Betrachtung, daß das eine oder andere der neu entstandenen Reiche eine Nation in sich abschließe, vor übermäßiger Berührung mit fremden be¬ wahre und zur freieren Verfolgung ihrer eigenen Bestrebungen befähige. Nicht zwar als hätten volksthümliche Neigungen und Abneigungen wäh¬ rend der Kämpfe aller Gelegenheit, eine Rolle zu spielen, entbehrt; nur waren dieselben von ganz anderer Art als an welche wir heutzutage bei der Erinne¬ rung an den Verduner Vertrag zu denken Pflegen. Man wollte bemerken und es fehlt auch nicht an Erklärungsgründen dazu, daß unter den eigentlichen Franken die Sache Lothars und der Reichscinheit vorzügliche Sympathien fand; eben der Gegensatz gegen das Herrschervolk der Franken hätte dann die andern Völkerschaften dem alten Kaiser oder den jüngern Brüdern günstig gestimmt. Von irgend einem Auseinandertreten nach „Deutsch" und „Französisch" konnte aber dabei um so weniger die Rede sein als diejenigen, zu denen sich die Uebrigen im Gegensatze fühlten —- die Franken in ihrer Ausdehnung von der Seine bis zu den oberen Maingegenden beiderlei Menschen in sich vereinigt dar¬ stellten, ohne sich dadurch in ihrem Bewußtsein als der Eine herrschende Stamm sonderlich gestört zu fühlen. Ebenso wenig vereinigte denn auch begreiflicherweise ein deutsches Bewußtsein den Alemannen in besondrer Weise mit dem Thüringer, ein französisches de,n Burgunder mit dem Aquitanier, sondern eine jede dieser Völkerschaften wußte nur von sich und hing nur ihrem ganz particulären Stammesgefühle nach, wenn sie sich etwa gern gegen die übermüthigen Franken ins Feld führen ließ. *) Der eine von den drei Sohn?» erster Ehe, Pipin, war kurz vor dem Aelter gestorben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/342>, abgerufen am 26.08.2024.