Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.als ihren Oberherrn zu verehren. Je größer der Gegensatz dieser Anordnung Aber etwas Anderes ist es, sich der Resultate eines welthistorischen Ereig¬ als ihren Oberherrn zu verehren. Je größer der Gegensatz dieser Anordnung Aber etwas Anderes ist es, sich der Resultate eines welthistorischen Ereig¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114655"/> <p xml:id="ID_1358" prev="#ID_1357"> als ihren Oberherrn zu verehren. Je größer der Gegensatz dieser Anordnung<lb/> zu allem Herkommen, desto größer der Gewinn, wenn es gelang sie durchzu¬<lb/> führen; denn desto fester war dann der, zu dessen Gunsten man den alten<lb/> Brauch umstieß, durch Verpflichtung und Interesse auf unverbrüchliche Festhal<lb/> tung und eifrige Weiterführung der Ideen angewiesen, aus denen ihm eine<lb/> solche Bevorzugung erwuchs. Für Europa aber stand dann ein langlebiges<lb/> Reich der Mitte zu erwarten, mit engster Verbindung geistlicher und weltlicher<lb/> Gewalt an oberster Stelle, mit einem zunehmenden Assimilativnsproceß der<lb/> mannigfachen, in ihm vereinigten Elemente, mit einer wahrscheinlich sehr raschen<lb/> Entwickelung zu einer gewissen Culturblüthe, und darauffolgenden Jahrhun¬<lb/> derte dauernden Stillstande. Daß es nicht so gekommen, daß die' europäische<lb/> Bildung noch einmal untergetaucht ist in halbbarbarische Zustände, um dann<lb/> ihre mächtigste Förderung und eine ganz ungeahnte Fülle aus dem wetteifern¬<lb/> den Streben selbständiger, Nationen zu schöpfen, daß endlich in dem Selbst¬<lb/> bewußtsein eines jeden Jetztlebenden einen ganz wesentlichen Theil das Be¬<lb/> wußtsein der Nation ausmacht, welcher er angehört — dies Alles verdanken<lb/> wir der Theilung von Verdun und der durch sie besiegelten Vereitelung jener<lb/> weitreichenden, an das Kaiserthum angeknüpften Entwürfe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1359" next="#ID_1360"> Aber etwas Anderes ist es, sich der Resultate eines welthistorischen Ereig¬<lb/> nisses zu erfreuen, etwas Anderes, den Motiven nachzuforschen, welche bei Her¬<lb/> beiführung des Ereignisses im Spiele gewesen sind. Das Dümmlersche Werk<lb/> gibt in seinem ersten Buche eine ausführliche, mit gründlichster Einsicht ge¬<lb/> schriebene Geschichteter Parteiungen und Kämpfe, die Ludwig des Frommen<lb/> Regierung erfüllten und erst drei Jahre nach seinem Tode, in dem Verduner<lb/> Vertrage, ihren Abschluß fanden. Deutlich geht es auch aus dieser Darstellung<lb/> hervor: ein höherer geistiger Inhalt war nur in den Bestrebungen der Männer,<lb/> die der Theilung ant consequentesten widerstrebten. Wir wollen uns nicht auf<lb/> die Beweggründe und Handlungen der einzelnen im Vordergrunde erscheinenden<lb/> Personen einlassen — aus die Schwäche Ludwigs des Frommen für seine<lb/> zweite Gemahlin und den mit dieser erzeugten Karl (den Kahlen), zu dessen<lb/> Gunsten die ersten Störungen in das entworfene Primogcniturgesetz gebracht<lb/> wurden; auf die Schwankungen von Lothars echten Brüdern, die sich bald<lb/> gegen die übermäßige Bevorzugung des Stiefbruders durch den Vater, bald<lb/> gegen den Vorzug erhoben, den jenes Gesetz dem Lothar zusprach u. s. w.<lb/> Fragen wir aber, was denn vorzüglich dazu diente, das kämpfende Volk<lb/> gegen Lothar und gegen die wvhlmotivirten, im Interesse der Rcichseinheit<lb/> getroffenen Anordnungen einzunehmen? Zum Theil kam natürlich die Pflicht<lb/> des Gehorsams gegen den alten Kaiser in Betracht; daneben aber that die<lb/> Hauptsache die noch immer sich behauptende Gewohnheit der Massen, die<lb/> Herrschermacht im Wesentlichen doch als ein gemeines Familiengut und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0341]
als ihren Oberherrn zu verehren. Je größer der Gegensatz dieser Anordnung
zu allem Herkommen, desto größer der Gewinn, wenn es gelang sie durchzu¬
führen; denn desto fester war dann der, zu dessen Gunsten man den alten
Brauch umstieß, durch Verpflichtung und Interesse auf unverbrüchliche Festhal
tung und eifrige Weiterführung der Ideen angewiesen, aus denen ihm eine
solche Bevorzugung erwuchs. Für Europa aber stand dann ein langlebiges
Reich der Mitte zu erwarten, mit engster Verbindung geistlicher und weltlicher
Gewalt an oberster Stelle, mit einem zunehmenden Assimilativnsproceß der
mannigfachen, in ihm vereinigten Elemente, mit einer wahrscheinlich sehr raschen
Entwickelung zu einer gewissen Culturblüthe, und darauffolgenden Jahrhun¬
derte dauernden Stillstande. Daß es nicht so gekommen, daß die' europäische
Bildung noch einmal untergetaucht ist in halbbarbarische Zustände, um dann
ihre mächtigste Förderung und eine ganz ungeahnte Fülle aus dem wetteifern¬
den Streben selbständiger, Nationen zu schöpfen, daß endlich in dem Selbst¬
bewußtsein eines jeden Jetztlebenden einen ganz wesentlichen Theil das Be¬
wußtsein der Nation ausmacht, welcher er angehört — dies Alles verdanken
wir der Theilung von Verdun und der durch sie besiegelten Vereitelung jener
weitreichenden, an das Kaiserthum angeknüpften Entwürfe.
Aber etwas Anderes ist es, sich der Resultate eines welthistorischen Ereig¬
nisses zu erfreuen, etwas Anderes, den Motiven nachzuforschen, welche bei Her¬
beiführung des Ereignisses im Spiele gewesen sind. Das Dümmlersche Werk
gibt in seinem ersten Buche eine ausführliche, mit gründlichster Einsicht ge¬
schriebene Geschichteter Parteiungen und Kämpfe, die Ludwig des Frommen
Regierung erfüllten und erst drei Jahre nach seinem Tode, in dem Verduner
Vertrage, ihren Abschluß fanden. Deutlich geht es auch aus dieser Darstellung
hervor: ein höherer geistiger Inhalt war nur in den Bestrebungen der Männer,
die der Theilung ant consequentesten widerstrebten. Wir wollen uns nicht auf
die Beweggründe und Handlungen der einzelnen im Vordergrunde erscheinenden
Personen einlassen — aus die Schwäche Ludwigs des Frommen für seine
zweite Gemahlin und den mit dieser erzeugten Karl (den Kahlen), zu dessen
Gunsten die ersten Störungen in das entworfene Primogcniturgesetz gebracht
wurden; auf die Schwankungen von Lothars echten Brüdern, die sich bald
gegen die übermäßige Bevorzugung des Stiefbruders durch den Vater, bald
gegen den Vorzug erhoben, den jenes Gesetz dem Lothar zusprach u. s. w.
Fragen wir aber, was denn vorzüglich dazu diente, das kämpfende Volk
gegen Lothar und gegen die wvhlmotivirten, im Interesse der Rcichseinheit
getroffenen Anordnungen einzunehmen? Zum Theil kam natürlich die Pflicht
des Gehorsams gegen den alten Kaiser in Betracht; daneben aber that die
Hauptsache die noch immer sich behauptende Gewohnheit der Massen, die
Herrschermacht im Wesentlichen doch als ein gemeines Familiengut und
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