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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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die germanischen Herrscher nicht blos den römischen Einwohnern ihrer jungen
Königreiche gegenüber, sondern selbst gegenüber den Kriegern ihres eigenen
Stammes, ihre Stellung nicht wenig zu verbessern, wenn sie sich auf eine
römische Legitimation, sie mochte noch so weit herkommen, zu berufen vermoch¬
ten. In der That war auch der Verkehr zwischen Konstantinopel und den
Ländern des Westens während des 5. und 6. Jahrhunderts ein äußerst leb¬
hafter. Alle die Fäden, die von Rom aus über den Occident hingereicht hatten,
suchte man am byzantinischen Hofe in die Hand zu nehmen; und in Italien
oder Gallien interessirte man sich für die Pläne, die Intriguen und Gräuel
dieses Hofes kaum weniger als für die Begebenheiten der nächsten Nachbar¬
schaft.

Ja es war sogar, als sollte jener letzte Schimmer der römischen Weltherr¬
schaft, der über das Abendland hinreichte, noch einmal zu einem vollen und
hellen Glänze angefacht werden. Von Konstantinopel aus ward im Sinne des
alten römischen Kaisertums eine Reaction eingeleitet gegen alle Resultate der
Völkerwanderung; und mit advocatorischer Schlauheit wußte dabei der große
Juristenkmser Justinian aus jener Anerkennung, die der Hoheit des Kaiser¬
namens seitens der germanischen Herrscher des Abendlandes fortwährend zu
Theil geworden, Rechtstitel über Rechtstitel zu deduciren. um seine großen
Feldherrn gegen einen nach dem andern von diesen Herrschern zu vernichten¬
den Kampfe auszusenden. Es ist bekannt, wie rasch das Vandalenreich in
Afrika, wie gründlich nach hartnäckigeren Kampfe das ostgothische Volt,, in
Italien vernichtet und diese Länder wieder in römische Verwaltung genommen
wurden; aber auch bedeutende Küstenstriche des westgothischcn Spanien wurden
erobert und merkwürdige Versuche gemacht, die innern Wirren des Frankenreiches
in Gallien für die Absichten, mit denen man sich am Bosporus trug, auszu¬
beuten. Das mittelländische Meer war nahe daran, wieder zu einem römischen
-- oder sagen wir lieber zu einem byzantinischen -- See zu werden; alle Cul¬
turländer der alten Welt schienen bestimmt, in Konstantinopel ihren wirklichen
Herrn zu suchen. Die germanische Weit aber, noch vor Kurzem so ausgebreitet,
fand sich plötzlich um so bedenklicher eingeengt, da zu den Verlusten der Mittel¬
meerlande an die Oströmer nach der Verlust altgermanischen Landes an die
Avaren und an die gewaltigen, bis über Elbe und Böhmerwald vordringenden
Völkermassen der Slaven hinzukam.

Die Schwäche fast aller jener germanischen, auf römischem Boden gegrün¬
deten Reiche hatte sich an den Tag gelegt. Eines unter ihnen zeigte aber eine
robustere Constitution und überlebte die andern insgesammt; das Reich, wel¬
ches vom heutigen Belgien und dem mittleren Rhein aus, sich durch die Waf¬
fen der Franken über den größten Theil des nördlichen und von dort noch
weiter über das südliche Gallien ausbreitete. Zwei große Umstände überwogen alle


die germanischen Herrscher nicht blos den römischen Einwohnern ihrer jungen
Königreiche gegenüber, sondern selbst gegenüber den Kriegern ihres eigenen
Stammes, ihre Stellung nicht wenig zu verbessern, wenn sie sich auf eine
römische Legitimation, sie mochte noch so weit herkommen, zu berufen vermoch¬
ten. In der That war auch der Verkehr zwischen Konstantinopel und den
Ländern des Westens während des 5. und 6. Jahrhunderts ein äußerst leb¬
hafter. Alle die Fäden, die von Rom aus über den Occident hingereicht hatten,
suchte man am byzantinischen Hofe in die Hand zu nehmen; und in Italien
oder Gallien interessirte man sich für die Pläne, die Intriguen und Gräuel
dieses Hofes kaum weniger als für die Begebenheiten der nächsten Nachbar¬
schaft.

Ja es war sogar, als sollte jener letzte Schimmer der römischen Weltherr¬
schaft, der über das Abendland hinreichte, noch einmal zu einem vollen und
hellen Glänze angefacht werden. Von Konstantinopel aus ward im Sinne des
alten römischen Kaisertums eine Reaction eingeleitet gegen alle Resultate der
Völkerwanderung; und mit advocatorischer Schlauheit wußte dabei der große
Juristenkmser Justinian aus jener Anerkennung, die der Hoheit des Kaiser¬
namens seitens der germanischen Herrscher des Abendlandes fortwährend zu
Theil geworden, Rechtstitel über Rechtstitel zu deduciren. um seine großen
Feldherrn gegen einen nach dem andern von diesen Herrschern zu vernichten¬
den Kampfe auszusenden. Es ist bekannt, wie rasch das Vandalenreich in
Afrika, wie gründlich nach hartnäckigeren Kampfe das ostgothische Volt,, in
Italien vernichtet und diese Länder wieder in römische Verwaltung genommen
wurden; aber auch bedeutende Küstenstriche des westgothischcn Spanien wurden
erobert und merkwürdige Versuche gemacht, die innern Wirren des Frankenreiches
in Gallien für die Absichten, mit denen man sich am Bosporus trug, auszu¬
beuten. Das mittelländische Meer war nahe daran, wieder zu einem römischen
— oder sagen wir lieber zu einem byzantinischen — See zu werden; alle Cul¬
turländer der alten Welt schienen bestimmt, in Konstantinopel ihren wirklichen
Herrn zu suchen. Die germanische Weit aber, noch vor Kurzem so ausgebreitet,
fand sich plötzlich um so bedenklicher eingeengt, da zu den Verlusten der Mittel¬
meerlande an die Oströmer nach der Verlust altgermanischen Landes an die
Avaren und an die gewaltigen, bis über Elbe und Böhmerwald vordringenden
Völkermassen der Slaven hinzukam.

Die Schwäche fast aller jener germanischen, auf römischem Boden gegrün¬
deten Reiche hatte sich an den Tag gelegt. Eines unter ihnen zeigte aber eine
robustere Constitution und überlebte die andern insgesammt; das Reich, wel¬
ches vom heutigen Belgien und dem mittleren Rhein aus, sich durch die Waf¬
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weiter über das südliche Gallien ausbreitete. Zwei große Umstände überwogen alle


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[0333] die germanischen Herrscher nicht blos den römischen Einwohnern ihrer jungen Königreiche gegenüber, sondern selbst gegenüber den Kriegern ihres eigenen Stammes, ihre Stellung nicht wenig zu verbessern, wenn sie sich auf eine römische Legitimation, sie mochte noch so weit herkommen, zu berufen vermoch¬ ten. In der That war auch der Verkehr zwischen Konstantinopel und den Ländern des Westens während des 5. und 6. Jahrhunderts ein äußerst leb¬ hafter. Alle die Fäden, die von Rom aus über den Occident hingereicht hatten, suchte man am byzantinischen Hofe in die Hand zu nehmen; und in Italien oder Gallien interessirte man sich für die Pläne, die Intriguen und Gräuel dieses Hofes kaum weniger als für die Begebenheiten der nächsten Nachbar¬ schaft. Ja es war sogar, als sollte jener letzte Schimmer der römischen Weltherr¬ schaft, der über das Abendland hinreichte, noch einmal zu einem vollen und hellen Glänze angefacht werden. Von Konstantinopel aus ward im Sinne des alten römischen Kaisertums eine Reaction eingeleitet gegen alle Resultate der Völkerwanderung; und mit advocatorischer Schlauheit wußte dabei der große Juristenkmser Justinian aus jener Anerkennung, die der Hoheit des Kaiser¬ namens seitens der germanischen Herrscher des Abendlandes fortwährend zu Theil geworden, Rechtstitel über Rechtstitel zu deduciren. um seine großen Feldherrn gegen einen nach dem andern von diesen Herrschern zu vernichten¬ den Kampfe auszusenden. Es ist bekannt, wie rasch das Vandalenreich in Afrika, wie gründlich nach hartnäckigeren Kampfe das ostgothische Volt,, in Italien vernichtet und diese Länder wieder in römische Verwaltung genommen wurden; aber auch bedeutende Küstenstriche des westgothischcn Spanien wurden erobert und merkwürdige Versuche gemacht, die innern Wirren des Frankenreiches in Gallien für die Absichten, mit denen man sich am Bosporus trug, auszu¬ beuten. Das mittelländische Meer war nahe daran, wieder zu einem römischen — oder sagen wir lieber zu einem byzantinischen — See zu werden; alle Cul¬ turländer der alten Welt schienen bestimmt, in Konstantinopel ihren wirklichen Herrn zu suchen. Die germanische Weit aber, noch vor Kurzem so ausgebreitet, fand sich plötzlich um so bedenklicher eingeengt, da zu den Verlusten der Mittel¬ meerlande an die Oströmer nach der Verlust altgermanischen Landes an die Avaren und an die gewaltigen, bis über Elbe und Böhmerwald vordringenden Völkermassen der Slaven hinzukam. Die Schwäche fast aller jener germanischen, auf römischem Boden gegrün¬ deten Reiche hatte sich an den Tag gelegt. Eines unter ihnen zeigte aber eine robustere Constitution und überlebte die andern insgesammt; das Reich, wel¬ ches vom heutigen Belgien und dem mittleren Rhein aus, sich durch die Waf¬ fen der Franken über den größten Theil des nördlichen und von dort noch weiter über das südliche Gallien ausbreitete. Zwei große Umstände überwogen alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/333>, abgerufen am 11.02.2025.