Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

großartigen Haß und die grimmige Ausdauer, mit welcher sie, von Arnims
Tagen bis zu Odoacer und Theoderich, hingearbeitet hätten auf den Sturz des
römischen Weltreichs. AIs beschließendes Bild dachte man sich dann wohl irgend
einen Völkerwanderungshclden über den Trümmern des niedergeworfenen Lügen¬
gebäudes, im Vollgefühle gesättigten Rachedurstes, befriedigten Nationalstolzes
und hergestellter Weltbefreiung auf sein deutsches Schwert blickend. Jetzt weiß
man recht wohl, daß diese deutschen Heerkönige weder Theaterhelden noch Ge-
schichtsphilosvphen genug waren, um an eine solche Rolle zu denken und sie
mit Glück durchzuführen. Namentlich weiß man aber, daß ihnen eines der
nothwendigsten Requisiten zu derselben fehlte: der Begriff eines deutschen Vol¬
kes, als dessen Mitglieder sie sich irgendwie solidarisch gegen das Römerreich
getrieben oder verpflichtet gefühlt hätten. Die Verwandtschaft aller der zahl¬
reichen germanischen Völkerschaften in Sprache, Götterglauben, Rechtsbrauch
und sonstiger Sitte war gewiß ebenso wenig ihnen selbst, wie den Römern
oder den Celten Galliens unbemerkt geblieben; und daß in einzelnen Fällen
ein Bündniß unter mehren von ihnen, eine Vereinigung ihrer Waffen nach
einer gemeinsamen Richtung durch eine solche Verwandtschaft erleichtert wurde,
mag man gern glauben. Daß aber das Bewußtsein dieser Verwandtschaft
irgendwie zu einem bestimmenden Grunde ihrer Handlungen geworden wäre,
daß sie sich berufen gefühlt hätten, überhaupt als Eine Masse gegen die Nicht-
germanen aufzutreten, ist entschieden in Abrede zu stellen. Die Dinge lagen
ungefähr, wie sie bei den Slaven gelegen haben bis in die neuere Zeit: Eine
Menge von Völkerschaften, in einer Anzahl bedeutender Eigenschaften einander
gleich oder ähnlich, aber durchaus nicht gewöhnt, hierin ein Motiv zu einer
gemeinschaftlichen Thätigkeit zu erblicken. Es war mehr eine Race, als ein
Volk, was von den Römern unter dem Namen der Germanen*) verstanden
wurde.

Und ihr Gefühl den Römern gegenüber? Nun freilich, wo die römischen
Heere mit dem deutlichen Vorsatze, sich als Herren daselbst einzurichten, und
mit tausend schroffen Kränkungen von Landessitte und Recht unter sie eindran¬
gen, da stieß wohl die starke und kräftige Natur "er zunächst bedrohten Völker¬
schaften, einen Hermann an der Spitze, fremdes Wesen und fremde Knechtschaft
energisch zurück. Als dann die Expansivkraft des römischen Reiches nach¬
gelassen hatte, sielen wohl zahlreiche deutsche Schaaren plündernd in die reichen
Grenzprvvinzen desselben ein, suchten wohl auch ohne Weiteres, vielleicht selbst
gedrängt durch andere Völkerschaften, einen gelegenen Landstrich sich als blei¬
benden Wohnsitz anzueignen. Aber keineswegs war dies doch die einzige Art,



") Daß die Deutschen selbst sich nicht Germanen gekannt, darf wohl als bekannt voraus¬
gesetzt werde".

großartigen Haß und die grimmige Ausdauer, mit welcher sie, von Arnims
Tagen bis zu Odoacer und Theoderich, hingearbeitet hätten auf den Sturz des
römischen Weltreichs. AIs beschließendes Bild dachte man sich dann wohl irgend
einen Völkerwanderungshclden über den Trümmern des niedergeworfenen Lügen¬
gebäudes, im Vollgefühle gesättigten Rachedurstes, befriedigten Nationalstolzes
und hergestellter Weltbefreiung auf sein deutsches Schwert blickend. Jetzt weiß
man recht wohl, daß diese deutschen Heerkönige weder Theaterhelden noch Ge-
schichtsphilosvphen genug waren, um an eine solche Rolle zu denken und sie
mit Glück durchzuführen. Namentlich weiß man aber, daß ihnen eines der
nothwendigsten Requisiten zu derselben fehlte: der Begriff eines deutschen Vol¬
kes, als dessen Mitglieder sie sich irgendwie solidarisch gegen das Römerreich
getrieben oder verpflichtet gefühlt hätten. Die Verwandtschaft aller der zahl¬
reichen germanischen Völkerschaften in Sprache, Götterglauben, Rechtsbrauch
und sonstiger Sitte war gewiß ebenso wenig ihnen selbst, wie den Römern
oder den Celten Galliens unbemerkt geblieben; und daß in einzelnen Fällen
ein Bündniß unter mehren von ihnen, eine Vereinigung ihrer Waffen nach
einer gemeinsamen Richtung durch eine solche Verwandtschaft erleichtert wurde,
mag man gern glauben. Daß aber das Bewußtsein dieser Verwandtschaft
irgendwie zu einem bestimmenden Grunde ihrer Handlungen geworden wäre,
daß sie sich berufen gefühlt hätten, überhaupt als Eine Masse gegen die Nicht-
germanen aufzutreten, ist entschieden in Abrede zu stellen. Die Dinge lagen
ungefähr, wie sie bei den Slaven gelegen haben bis in die neuere Zeit: Eine
Menge von Völkerschaften, in einer Anzahl bedeutender Eigenschaften einander
gleich oder ähnlich, aber durchaus nicht gewöhnt, hierin ein Motiv zu einer
gemeinschaftlichen Thätigkeit zu erblicken. Es war mehr eine Race, als ein
Volk, was von den Römern unter dem Namen der Germanen*) verstanden
wurde.

Und ihr Gefühl den Römern gegenüber? Nun freilich, wo die römischen
Heere mit dem deutlichen Vorsatze, sich als Herren daselbst einzurichten, und
mit tausend schroffen Kränkungen von Landessitte und Recht unter sie eindran¬
gen, da stieß wohl die starke und kräftige Natur "er zunächst bedrohten Völker¬
schaften, einen Hermann an der Spitze, fremdes Wesen und fremde Knechtschaft
energisch zurück. Als dann die Expansivkraft des römischen Reiches nach¬
gelassen hatte, sielen wohl zahlreiche deutsche Schaaren plündernd in die reichen
Grenzprvvinzen desselben ein, suchten wohl auch ohne Weiteres, vielleicht selbst
gedrängt durch andere Völkerschaften, einen gelegenen Landstrich sich als blei¬
benden Wohnsitz anzueignen. Aber keineswegs war dies doch die einzige Art,



") Daß die Deutschen selbst sich nicht Germanen gekannt, darf wohl als bekannt voraus¬
gesetzt werde».
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114644"/>
          <p xml:id="ID_1332" prev="#ID_1331"> großartigen Haß und die grimmige Ausdauer, mit welcher sie, von Arnims<lb/>
Tagen bis zu Odoacer und Theoderich, hingearbeitet hätten auf den Sturz des<lb/>
römischen Weltreichs. AIs beschließendes Bild dachte man sich dann wohl irgend<lb/>
einen Völkerwanderungshclden über den Trümmern des niedergeworfenen Lügen¬<lb/>
gebäudes, im Vollgefühle gesättigten Rachedurstes, befriedigten Nationalstolzes<lb/>
und hergestellter Weltbefreiung auf sein deutsches Schwert blickend. Jetzt weiß<lb/>
man recht wohl, daß diese deutschen Heerkönige weder Theaterhelden noch Ge-<lb/>
schichtsphilosvphen genug waren, um an eine solche Rolle zu denken und sie<lb/>
mit Glück durchzuführen. Namentlich weiß man aber, daß ihnen eines der<lb/>
nothwendigsten Requisiten zu derselben fehlte: der Begriff eines deutschen Vol¬<lb/>
kes, als dessen Mitglieder sie sich irgendwie solidarisch gegen das Römerreich<lb/>
getrieben oder verpflichtet gefühlt hätten. Die Verwandtschaft aller der zahl¬<lb/>
reichen germanischen Völkerschaften in Sprache, Götterglauben, Rechtsbrauch<lb/>
und sonstiger Sitte war gewiß ebenso wenig ihnen selbst, wie den Römern<lb/>
oder den Celten Galliens unbemerkt geblieben; und daß in einzelnen Fällen<lb/>
ein Bündniß unter mehren von ihnen, eine Vereinigung ihrer Waffen nach<lb/>
einer gemeinsamen Richtung durch eine solche Verwandtschaft erleichtert wurde,<lb/>
mag man gern glauben. Daß aber das Bewußtsein dieser Verwandtschaft<lb/>
irgendwie zu einem bestimmenden Grunde ihrer Handlungen geworden wäre,<lb/>
daß sie sich berufen gefühlt hätten, überhaupt als Eine Masse gegen die Nicht-<lb/>
germanen aufzutreten, ist entschieden in Abrede zu stellen. Die Dinge lagen<lb/>
ungefähr, wie sie bei den Slaven gelegen haben bis in die neuere Zeit: Eine<lb/>
Menge von Völkerschaften, in einer Anzahl bedeutender Eigenschaften einander<lb/>
gleich oder ähnlich, aber durchaus nicht gewöhnt, hierin ein Motiv zu einer<lb/>
gemeinschaftlichen Thätigkeit zu erblicken. Es war mehr eine Race, als ein<lb/>
Volk, was von den Römern unter dem Namen der Germanen*) verstanden<lb/>
wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1333" next="#ID_1334"> Und ihr Gefühl den Römern gegenüber? Nun freilich, wo die römischen<lb/>
Heere mit dem deutlichen Vorsatze, sich als Herren daselbst einzurichten, und<lb/>
mit tausend schroffen Kränkungen von Landessitte und Recht unter sie eindran¬<lb/>
gen, da stieß wohl die starke und kräftige Natur "er zunächst bedrohten Völker¬<lb/>
schaften, einen Hermann an der Spitze, fremdes Wesen und fremde Knechtschaft<lb/>
energisch zurück. Als dann die Expansivkraft des römischen Reiches nach¬<lb/>
gelassen hatte, sielen wohl zahlreiche deutsche Schaaren plündernd in die reichen<lb/>
Grenzprvvinzen desselben ein, suchten wohl auch ohne Weiteres, vielleicht selbst<lb/>
gedrängt durch andere Völkerschaften, einen gelegenen Landstrich sich als blei¬<lb/>
benden Wohnsitz anzueignen.  Aber keineswegs war dies doch die einzige Art,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_18" place="foot"> ") Daß die Deutschen selbst sich nicht Germanen gekannt, darf wohl als bekannt voraus¬<lb/>
gesetzt werde».</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0330] großartigen Haß und die grimmige Ausdauer, mit welcher sie, von Arnims Tagen bis zu Odoacer und Theoderich, hingearbeitet hätten auf den Sturz des römischen Weltreichs. AIs beschließendes Bild dachte man sich dann wohl irgend einen Völkerwanderungshclden über den Trümmern des niedergeworfenen Lügen¬ gebäudes, im Vollgefühle gesättigten Rachedurstes, befriedigten Nationalstolzes und hergestellter Weltbefreiung auf sein deutsches Schwert blickend. Jetzt weiß man recht wohl, daß diese deutschen Heerkönige weder Theaterhelden noch Ge- schichtsphilosvphen genug waren, um an eine solche Rolle zu denken und sie mit Glück durchzuführen. Namentlich weiß man aber, daß ihnen eines der nothwendigsten Requisiten zu derselben fehlte: der Begriff eines deutschen Vol¬ kes, als dessen Mitglieder sie sich irgendwie solidarisch gegen das Römerreich getrieben oder verpflichtet gefühlt hätten. Die Verwandtschaft aller der zahl¬ reichen germanischen Völkerschaften in Sprache, Götterglauben, Rechtsbrauch und sonstiger Sitte war gewiß ebenso wenig ihnen selbst, wie den Römern oder den Celten Galliens unbemerkt geblieben; und daß in einzelnen Fällen ein Bündniß unter mehren von ihnen, eine Vereinigung ihrer Waffen nach einer gemeinsamen Richtung durch eine solche Verwandtschaft erleichtert wurde, mag man gern glauben. Daß aber das Bewußtsein dieser Verwandtschaft irgendwie zu einem bestimmenden Grunde ihrer Handlungen geworden wäre, daß sie sich berufen gefühlt hätten, überhaupt als Eine Masse gegen die Nicht- germanen aufzutreten, ist entschieden in Abrede zu stellen. Die Dinge lagen ungefähr, wie sie bei den Slaven gelegen haben bis in die neuere Zeit: Eine Menge von Völkerschaften, in einer Anzahl bedeutender Eigenschaften einander gleich oder ähnlich, aber durchaus nicht gewöhnt, hierin ein Motiv zu einer gemeinschaftlichen Thätigkeit zu erblicken. Es war mehr eine Race, als ein Volk, was von den Römern unter dem Namen der Germanen*) verstanden wurde. Und ihr Gefühl den Römern gegenüber? Nun freilich, wo die römischen Heere mit dem deutlichen Vorsatze, sich als Herren daselbst einzurichten, und mit tausend schroffen Kränkungen von Landessitte und Recht unter sie eindran¬ gen, da stieß wohl die starke und kräftige Natur "er zunächst bedrohten Völker¬ schaften, einen Hermann an der Spitze, fremdes Wesen und fremde Knechtschaft energisch zurück. Als dann die Expansivkraft des römischen Reiches nach¬ gelassen hatte, sielen wohl zahlreiche deutsche Schaaren plündernd in die reichen Grenzprvvinzen desselben ein, suchten wohl auch ohne Weiteres, vielleicht selbst gedrängt durch andere Völkerschaften, einen gelegenen Landstrich sich als blei¬ benden Wohnsitz anzueignen. Aber keineswegs war dies doch die einzige Art, ") Daß die Deutschen selbst sich nicht Germanen gekannt, darf wohl als bekannt voraus¬ gesetzt werde».

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/330
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/330>, abgerufen am 05.02.2025.