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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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dung. welche sich daraus entwickeln. Wie verschieden ist die Haltung der Stadt,
wie mannigfach nüancirt das Wesen des- deutschen Bürgerthums in den bei¬
den großen Polen des schwäbischen Lebens, Ulm und Augsburg, in den frän¬
kischen Hauptstädten Nürnberg und Frankfurt, in den Rheinstädten Straßbm-g,
Mainz und Köln, in den großen Seeplätzen der Hansa, in den mitteldeutschen
Handelsstädten Erfurt und Magdeburg, und wieder in den großen Slaven¬
märkten Breslau und Tanzig, dann in der stattlichen Hauptstadt der Barer-
sürsten, endlich an Alpen und Donau, in Salzburg und Wien. Wer es wagen
wollte, mit sichrer Hand jeder einzelnen' die Quellen ihrer Kraft und die Be¬
sonderheiten ihres Lebens zu schildern, der würde das- lehrreichste und anziehendste
Lues schaffen, das. der Deutsche von seinem Geschichtsschreiber verlangen kann.

Frankfurt ist eine der Gemeinden, welche sehr früh ihr originelles Gepräge
erhalten und dasselbe bis in die neue Zeit bewahrt baben. Ohne Zweisel hat
mehr als Lage und Volksstämme der Unigegend die große Messe ihr das eigene
Gepräge gegeben. Eine Jahresmesse bestand dort schon in der Mitte des dreizehn¬
ten Jahrhunderts, i-in fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert war Frankfurt
einer der größten europäischen Märkte. Es war nach dem dreißigjährigen
Kriege nächst Hamburg wieder die Stadt, welche zuerst und am- schnellsten' auf¬
blühte. Die frühe Abhängigkeit von dem Verkehr mit Fremden gab der Stadt
em besonders gastliches und rücksichtsvolles Wesen, sorgfältig hielten Rath und
Bürgerschaft daraus, den fremden Geldbringern bequem zu sein , mehr als ein¬
mal wurde innerem Parteihadcr durch solche Rücksicht die Spitze abgebrochen,
Händel, welche an andern Orten sehr blutig verliefen, hatten mehre Mal ver¬
hältnißmäßig milden Ausgang. Sehr früh erhält dort der Geldverkehr eine
systematische Ausbildung, und während noch die Kirche des Mittelalters Zins¬
geschäfte für unchristlichen Wucher erklärte, ohne ihnen freilich selbst zu entsagen,
wurde in Frankfurt mehr als eine städtische und Privatbank eingerichtet. Die¬
sem Hauptinteresse bequemte sich auch die Politik, sogar der Glaubenseifer des
Ortes. Die regierende Partei stand in aller Zeit besonders treu zu den' Kaisern,
sie wußte durch Geld und Gefügigkeit sich ihnen- werth zu erhalten, auch wo
ihr Gehorsam einmal nicht! willig war. Und die Frankfurter sind schon im
vierzehnten Jahrhundert geschäftserfahrnc, gewandte Kaufleute, welche sich in
den Lauf der Welt schickten, auch unangenehme Angelegenheiten schlecht und
recht abmachten, welche bei einer wohltemperirten Loyalität ihre Rechnung
fanden und sehr gut verstanden, mit Fürsten und Herren zu verkehren. Dabei
aber haben sie auch in der schlechtesten Zeit warm an ihrer Stadt gehangen,
ih-re Patrizier haben selten Härte und unerträgliche Parteilichkeit gezeigt und
selten das Vertrauen ihrer Mitbürger verloren. Si5 haben auch dem Juden
langer Toleranz und Schonung bewiesen als die meisten- großen Städte Süd-
wutsctMnds. Und als noch irr Anfang des siebzehnten Jahrhunderts im Volte


dung. welche sich daraus entwickeln. Wie verschieden ist die Haltung der Stadt,
wie mannigfach nüancirt das Wesen des- deutschen Bürgerthums in den bei¬
den großen Polen des schwäbischen Lebens, Ulm und Augsburg, in den frän¬
kischen Hauptstädten Nürnberg und Frankfurt, in den Rheinstädten Straßbm-g,
Mainz und Köln, in den großen Seeplätzen der Hansa, in den mitteldeutschen
Handelsstädten Erfurt und Magdeburg, und wieder in den großen Slaven¬
märkten Breslau und Tanzig, dann in der stattlichen Hauptstadt der Barer-
sürsten, endlich an Alpen und Donau, in Salzburg und Wien. Wer es wagen
wollte, mit sichrer Hand jeder einzelnen' die Quellen ihrer Kraft und die Be¬
sonderheiten ihres Lebens zu schildern, der würde das- lehrreichste und anziehendste
Lues schaffen, das. der Deutsche von seinem Geschichtsschreiber verlangen kann.

Frankfurt ist eine der Gemeinden, welche sehr früh ihr originelles Gepräge
erhalten und dasselbe bis in die neue Zeit bewahrt baben. Ohne Zweisel hat
mehr als Lage und Volksstämme der Unigegend die große Messe ihr das eigene
Gepräge gegeben. Eine Jahresmesse bestand dort schon in der Mitte des dreizehn¬
ten Jahrhunderts, i-in fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert war Frankfurt
einer der größten europäischen Märkte. Es war nach dem dreißigjährigen
Kriege nächst Hamburg wieder die Stadt, welche zuerst und am- schnellsten' auf¬
blühte. Die frühe Abhängigkeit von dem Verkehr mit Fremden gab der Stadt
em besonders gastliches und rücksichtsvolles Wesen, sorgfältig hielten Rath und
Bürgerschaft daraus, den fremden Geldbringern bequem zu sein , mehr als ein¬
mal wurde innerem Parteihadcr durch solche Rücksicht die Spitze abgebrochen,
Händel, welche an andern Orten sehr blutig verliefen, hatten mehre Mal ver¬
hältnißmäßig milden Ausgang. Sehr früh erhält dort der Geldverkehr eine
systematische Ausbildung, und während noch die Kirche des Mittelalters Zins¬
geschäfte für unchristlichen Wucher erklärte, ohne ihnen freilich selbst zu entsagen,
wurde in Frankfurt mehr als eine städtische und Privatbank eingerichtet. Die¬
sem Hauptinteresse bequemte sich auch die Politik, sogar der Glaubenseifer des
Ortes. Die regierende Partei stand in aller Zeit besonders treu zu den' Kaisern,
sie wußte durch Geld und Gefügigkeit sich ihnen- werth zu erhalten, auch wo
ihr Gehorsam einmal nicht! willig war. Und die Frankfurter sind schon im
vierzehnten Jahrhundert geschäftserfahrnc, gewandte Kaufleute, welche sich in
den Lauf der Welt schickten, auch unangenehme Angelegenheiten schlecht und
recht abmachten, welche bei einer wohltemperirten Loyalität ihre Rechnung
fanden und sehr gut verstanden, mit Fürsten und Herren zu verkehren. Dabei
aber haben sie auch in der schlechtesten Zeit warm an ihrer Stadt gehangen,
ih-re Patrizier haben selten Härte und unerträgliche Parteilichkeit gezeigt und
selten das Vertrauen ihrer Mitbürger verloren. Si5 haben auch dem Juden
langer Toleranz und Schonung bewiesen als die meisten- großen Städte Süd-
wutsctMnds. Und als noch irr Anfang des siebzehnten Jahrhunderts im Volte


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[0324] dung. welche sich daraus entwickeln. Wie verschieden ist die Haltung der Stadt, wie mannigfach nüancirt das Wesen des- deutschen Bürgerthums in den bei¬ den großen Polen des schwäbischen Lebens, Ulm und Augsburg, in den frän¬ kischen Hauptstädten Nürnberg und Frankfurt, in den Rheinstädten Straßbm-g, Mainz und Köln, in den großen Seeplätzen der Hansa, in den mitteldeutschen Handelsstädten Erfurt und Magdeburg, und wieder in den großen Slaven¬ märkten Breslau und Tanzig, dann in der stattlichen Hauptstadt der Barer- sürsten, endlich an Alpen und Donau, in Salzburg und Wien. Wer es wagen wollte, mit sichrer Hand jeder einzelnen' die Quellen ihrer Kraft und die Be¬ sonderheiten ihres Lebens zu schildern, der würde das- lehrreichste und anziehendste Lues schaffen, das. der Deutsche von seinem Geschichtsschreiber verlangen kann. Frankfurt ist eine der Gemeinden, welche sehr früh ihr originelles Gepräge erhalten und dasselbe bis in die neue Zeit bewahrt baben. Ohne Zweisel hat mehr als Lage und Volksstämme der Unigegend die große Messe ihr das eigene Gepräge gegeben. Eine Jahresmesse bestand dort schon in der Mitte des dreizehn¬ ten Jahrhunderts, i-in fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert war Frankfurt einer der größten europäischen Märkte. Es war nach dem dreißigjährigen Kriege nächst Hamburg wieder die Stadt, welche zuerst und am- schnellsten' auf¬ blühte. Die frühe Abhängigkeit von dem Verkehr mit Fremden gab der Stadt em besonders gastliches und rücksichtsvolles Wesen, sorgfältig hielten Rath und Bürgerschaft daraus, den fremden Geldbringern bequem zu sein , mehr als ein¬ mal wurde innerem Parteihadcr durch solche Rücksicht die Spitze abgebrochen, Händel, welche an andern Orten sehr blutig verliefen, hatten mehre Mal ver¬ hältnißmäßig milden Ausgang. Sehr früh erhält dort der Geldverkehr eine systematische Ausbildung, und während noch die Kirche des Mittelalters Zins¬ geschäfte für unchristlichen Wucher erklärte, ohne ihnen freilich selbst zu entsagen, wurde in Frankfurt mehr als eine städtische und Privatbank eingerichtet. Die¬ sem Hauptinteresse bequemte sich auch die Politik, sogar der Glaubenseifer des Ortes. Die regierende Partei stand in aller Zeit besonders treu zu den' Kaisern, sie wußte durch Geld und Gefügigkeit sich ihnen- werth zu erhalten, auch wo ihr Gehorsam einmal nicht! willig war. Und die Frankfurter sind schon im vierzehnten Jahrhundert geschäftserfahrnc, gewandte Kaufleute, welche sich in den Lauf der Welt schickten, auch unangenehme Angelegenheiten schlecht und recht abmachten, welche bei einer wohltemperirten Loyalität ihre Rechnung fanden und sehr gut verstanden, mit Fürsten und Herren zu verkehren. Dabei aber haben sie auch in der schlechtesten Zeit warm an ihrer Stadt gehangen, ih-re Patrizier haben selten Härte und unerträgliche Parteilichkeit gezeigt und selten das Vertrauen ihrer Mitbürger verloren. Si5 haben auch dem Juden langer Toleranz und Schonung bewiesen als die meisten- großen Städte Süd- wutsctMnds. Und als noch irr Anfang des siebzehnten Jahrhunderts im Volte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/324>, abgerufen am 06.02.2025.