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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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und Prvvinzialarchive so geordnet, daß ein Gelehrter dieselben mit sicherem
Erfolg benutzen konnte. Noch liegt auch in den großen'Städten vielleicht Wich¬
tiges ungekannt. Die Mehrzahl der Localhistoriker, auch sehr bekannte Namen
darunter, aber haben es sich bis auf unsere Jahrzehnte leicht gemacht, sie sind
bei den gedruckten Chroniken des sechzehnten Jahrhunderts und bei einer
Anzahl gedruckter und ungedruckter Urkunden, die ihnen zur Hand waren, stehen
geblieben. Es ist das große Verdienst des Gelehrtentreises, welcher sich um
Pertz und die Monument" gesammelt hat, sowie der Schule von Ranke, daß
das jetzt bei uns anders wird. Beide Richtungen, kritisches Quellenstudium und
geistvolles Verwerthen desselben, finden sich in einer Anzahl deutscher Historiker ver¬
eint, ihr Beispiel wirkt überall belebend und vertiefend auch auf die Localgeschichte.

Deshalb sind die zahlreichen Werke, welche grade jetzt in dem Gebiet der
deutschen Ortsgeschichte erscheinen, größtentheils zu betrachten als werthvolle
Vorarbeiten für zusammenhängende und umfassende Lvcalgeschichte, die Mehr¬
zahl derselben verbindet die beiden Vorzüge guter Geschichtsschreibung, gründ¬
liche Ausbeutung der besten Quellen und anschauliche Darstellung des alten
Lebens. Solchem Zweck soll auch das oben angezeigte Werk dienen.

Ein werthvolles und belehrendes Buch, gute Benutzung des Archivs, an¬
sprechende Erzählung und baut'enswerthe Auswahl der behandelten Gegenstände.
Das Wert erzählt in den sechs ersten Capiteln von den innern Kämpfen der
alten Stadt. Es sind dieselben Entwicklmlgstrankheiten, welche fast alle größern
Städte Deutschlands durchgemacht haben, nicht alle zu gleicher Zeit, nicht alle
mit derselben Energie. Zunächst die ersten Fehden um die Existenz mit den
Nachbarn und den politischen Factionen der Landschaft, dann die großen und
wiederholten Erhebungen der Zünfte gegen die ältesten Vollbürger, darauf die
Streitigkeiten mit dem steuerfreien, herrschlustigen und um sich greifenden Kle¬
rus, endlich die sociale Bewegung, welche unter dem Namen- des Bauernkrieges
die erste Phase der Reformation abschließt. -- Darauf folgt nach einem urkund¬
lichen Verzeichnis; der Frankfurter Bürgermeister eine vortreffliche Beschreibung
der Umgebung und des Innern der alten Stadt Frankfurt, dann nicht weniger
ausgiebig eine Abhandlung über die Frankfurter Messe im Mittelalter, über Geld¬
geschäfte, Handelsbanken und Schuldhaft. Darauf Darstellung der Frankfurter
Zünfte, Geschichte der Juden, zuletzt einige Bemerkungen über die mittelalterlichen
Personennamen. Im Anhang ist eine reiche Anzahl Beweisstellen aufgeführt.

Zu den anmuthigsten Eindrücken, welche der Leser bei einer so ehrlichen
und wahrheitsuchenden Arbeit über die alten Verhältnisse unserer Städte em¬
pfängt, gehört die originelle Physiognomie, welche eine Stadtgemeinde zuweilen
schon in sehr früher Zeit annimmt und durch Jahrhunderte bewahrt. Vieles
trägt dazu bei; Stammesart und Culturverhältnisse der Umgegend, besondere
Verkehrsbeziehungen zum Auslande, sowie eigenthümliche Industrie und Bil-


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und Prvvinzialarchive so geordnet, daß ein Gelehrter dieselben mit sicherem
Erfolg benutzen konnte. Noch liegt auch in den großen'Städten vielleicht Wich¬
tiges ungekannt. Die Mehrzahl der Localhistoriker, auch sehr bekannte Namen
darunter, aber haben es sich bis auf unsere Jahrzehnte leicht gemacht, sie sind
bei den gedruckten Chroniken des sechzehnten Jahrhunderts und bei einer
Anzahl gedruckter und ungedruckter Urkunden, die ihnen zur Hand waren, stehen
geblieben. Es ist das große Verdienst des Gelehrtentreises, welcher sich um
Pertz und die Monument« gesammelt hat, sowie der Schule von Ranke, daß
das jetzt bei uns anders wird. Beide Richtungen, kritisches Quellenstudium und
geistvolles Verwerthen desselben, finden sich in einer Anzahl deutscher Historiker ver¬
eint, ihr Beispiel wirkt überall belebend und vertiefend auch auf die Localgeschichte.

Deshalb sind die zahlreichen Werke, welche grade jetzt in dem Gebiet der
deutschen Ortsgeschichte erscheinen, größtentheils zu betrachten als werthvolle
Vorarbeiten für zusammenhängende und umfassende Lvcalgeschichte, die Mehr¬
zahl derselben verbindet die beiden Vorzüge guter Geschichtsschreibung, gründ¬
liche Ausbeutung der besten Quellen und anschauliche Darstellung des alten
Lebens. Solchem Zweck soll auch das oben angezeigte Werk dienen.

Ein werthvolles und belehrendes Buch, gute Benutzung des Archivs, an¬
sprechende Erzählung und baut'enswerthe Auswahl der behandelten Gegenstände.
Das Wert erzählt in den sechs ersten Capiteln von den innern Kämpfen der
alten Stadt. Es sind dieselben Entwicklmlgstrankheiten, welche fast alle größern
Städte Deutschlands durchgemacht haben, nicht alle zu gleicher Zeit, nicht alle
mit derselben Energie. Zunächst die ersten Fehden um die Existenz mit den
Nachbarn und den politischen Factionen der Landschaft, dann die großen und
wiederholten Erhebungen der Zünfte gegen die ältesten Vollbürger, darauf die
Streitigkeiten mit dem steuerfreien, herrschlustigen und um sich greifenden Kle¬
rus, endlich die sociale Bewegung, welche unter dem Namen- des Bauernkrieges
die erste Phase der Reformation abschließt. — Darauf folgt nach einem urkund¬
lichen Verzeichnis; der Frankfurter Bürgermeister eine vortreffliche Beschreibung
der Umgebung und des Innern der alten Stadt Frankfurt, dann nicht weniger
ausgiebig eine Abhandlung über die Frankfurter Messe im Mittelalter, über Geld¬
geschäfte, Handelsbanken und Schuldhaft. Darauf Darstellung der Frankfurter
Zünfte, Geschichte der Juden, zuletzt einige Bemerkungen über die mittelalterlichen
Personennamen. Im Anhang ist eine reiche Anzahl Beweisstellen aufgeführt.

Zu den anmuthigsten Eindrücken, welche der Leser bei einer so ehrlichen
und wahrheitsuchenden Arbeit über die alten Verhältnisse unserer Städte em¬
pfängt, gehört die originelle Physiognomie, welche eine Stadtgemeinde zuweilen
schon in sehr früher Zeit annimmt und durch Jahrhunderte bewahrt. Vieles
trägt dazu bei; Stammesart und Culturverhältnisse der Umgegend, besondere
Verkehrsbeziehungen zum Auslande, sowie eigenthümliche Industrie und Bil-


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[0323] und Prvvinzialarchive so geordnet, daß ein Gelehrter dieselben mit sicherem Erfolg benutzen konnte. Noch liegt auch in den großen'Städten vielleicht Wich¬ tiges ungekannt. Die Mehrzahl der Localhistoriker, auch sehr bekannte Namen darunter, aber haben es sich bis auf unsere Jahrzehnte leicht gemacht, sie sind bei den gedruckten Chroniken des sechzehnten Jahrhunderts und bei einer Anzahl gedruckter und ungedruckter Urkunden, die ihnen zur Hand waren, stehen geblieben. Es ist das große Verdienst des Gelehrtentreises, welcher sich um Pertz und die Monument« gesammelt hat, sowie der Schule von Ranke, daß das jetzt bei uns anders wird. Beide Richtungen, kritisches Quellenstudium und geistvolles Verwerthen desselben, finden sich in einer Anzahl deutscher Historiker ver¬ eint, ihr Beispiel wirkt überall belebend und vertiefend auch auf die Localgeschichte. Deshalb sind die zahlreichen Werke, welche grade jetzt in dem Gebiet der deutschen Ortsgeschichte erscheinen, größtentheils zu betrachten als werthvolle Vorarbeiten für zusammenhängende und umfassende Lvcalgeschichte, die Mehr¬ zahl derselben verbindet die beiden Vorzüge guter Geschichtsschreibung, gründ¬ liche Ausbeutung der besten Quellen und anschauliche Darstellung des alten Lebens. Solchem Zweck soll auch das oben angezeigte Werk dienen. Ein werthvolles und belehrendes Buch, gute Benutzung des Archivs, an¬ sprechende Erzählung und baut'enswerthe Auswahl der behandelten Gegenstände. Das Wert erzählt in den sechs ersten Capiteln von den innern Kämpfen der alten Stadt. Es sind dieselben Entwicklmlgstrankheiten, welche fast alle größern Städte Deutschlands durchgemacht haben, nicht alle zu gleicher Zeit, nicht alle mit derselben Energie. Zunächst die ersten Fehden um die Existenz mit den Nachbarn und den politischen Factionen der Landschaft, dann die großen und wiederholten Erhebungen der Zünfte gegen die ältesten Vollbürger, darauf die Streitigkeiten mit dem steuerfreien, herrschlustigen und um sich greifenden Kle¬ rus, endlich die sociale Bewegung, welche unter dem Namen- des Bauernkrieges die erste Phase der Reformation abschließt. — Darauf folgt nach einem urkund¬ lichen Verzeichnis; der Frankfurter Bürgermeister eine vortreffliche Beschreibung der Umgebung und des Innern der alten Stadt Frankfurt, dann nicht weniger ausgiebig eine Abhandlung über die Frankfurter Messe im Mittelalter, über Geld¬ geschäfte, Handelsbanken und Schuldhaft. Darauf Darstellung der Frankfurter Zünfte, Geschichte der Juden, zuletzt einige Bemerkungen über die mittelalterlichen Personennamen. Im Anhang ist eine reiche Anzahl Beweisstellen aufgeführt. Zu den anmuthigsten Eindrücken, welche der Leser bei einer so ehrlichen und wahrheitsuchenden Arbeit über die alten Verhältnisse unserer Städte em¬ pfängt, gehört die originelle Physiognomie, welche eine Stadtgemeinde zuweilen schon in sehr früher Zeit annimmt und durch Jahrhunderte bewahrt. Vieles trägt dazu bei; Stammesart und Culturverhältnisse der Umgegend, besondere Verkehrsbeziehungen zum Auslande, sowie eigenthümliche Industrie und Bil- 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/323>, abgerufen am 11.02.2025.