Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.und zum Untergang derselben beigetragen hat, so müssen sie uns nicht selten Seit der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts erhalten diese Geschichten Erst seit Lessing begann man hier und da auf eine andere Art von Quel¬ So ist es gekommen, daß auch in den Landschaften und Städten, in denen und zum Untergang derselben beigetragen hat, so müssen sie uns nicht selten Seit der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts erhalten diese Geschichten Erst seit Lessing begann man hier und da auf eine andere Art von Quel¬ So ist es gekommen, daß auch in den Landschaften und Städten, in denen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114636"/> <p xml:id="ID_1306" prev="#ID_1305"> und zum Untergang derselben beigetragen hat, so müssen sie uns nicht selten<lb/> an Stelle der Verlornen als älteste Geschichtserzählung dienen. Leider erweist<lb/> sich dieser abgeleitete Stoff für die Zeit des Mittelalters in der Regel als sehr<lb/> unzuverlässig. Er ist uns noch am liebsten, wo die Verfasser einfach abschreiben<lb/> und in der Weise ihrer Vorfahren erzählen/ Aber je höhere wissenschaftliche<lb/> Ansprüche sie selbst machen und je mehr sie nacb dem Muster der antiken Hi¬<lb/> storiker eine zusammenhängende Darstellung versuchen, etwa im Stil des Li-<lb/> vius oder Tacitus, desto bedenklicher wird die Willkür und Gewissenlosigkeit,<lb/> mit welcher sie die überlieferten Nachrichten färben, entstellen, verbinden und<lb/> die Lücken mit ihrer Erfindung ausfüllen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1307"> Seit der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts erhalten diese Geschichten<lb/> einen besonders gründlichen Schein, weil es Mode wird, einzelne Urkunden und<lb/> diplomatische Actenstücke mit ihrem Wortlaute einzurücken, die Benutzung älterer<lb/> Quellen wird dadurch nicht gründlicher, das Verständniß früherer Zeiten nicht<lb/> größer. Auch seit durch Leibnitz die Herausgabe alter Quellenschriften systema¬<lb/> tisch und in großem Sinne, wenn auch noch nicht mit den Hilfsmitteln<lb/> moderner Kritik, eingeführt wurde, kam dieser große Fortschritt der Städte¬<lb/> geschichte nicht sofort zu gut. Zwar das historische Interesse in der Nation<lb/> wurde allgemeiner, überall entstanden neue Stadtgeschichten, Kirchen- und Schul-<lb/> staaten, man las mehr in den Geschichtsschreibern des Mittelalters, man sam¬<lb/> melte auch häusiger Diplome und druckte dieselben ab, aber die eigene Zuthat<lb/> der gelehrten Lvcalhistoriker ist bis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahr¬<lb/> hunderts für das Mittelalter in der Regel immer noch wenig werth.</p><lb/> <p xml:id="ID_1308"> Erst seit Lessing begann man hier und da auf eine andere Art von Quel¬<lb/> len zurückzugehen, welche für uns bei weitem die wichtigste geworden ist, auf<lb/> die archivalen. Und wenn auch die Benutzung des ungeheuren Materials,<lb/> welches man in alten Stadtrechnungen, Rathsacten und Urkunden vorfand,<lb/> nicht sofort systematisch und vollständig bewältigt wurde, so sind doch einzelne<lb/> der damals geschriebenen Werke z. V. Klose's Geschichte von Breslau, für uns<lb/> auch als Quellen von hohem Werth, weil die Verschleppung und Verwüstung-<lb/> der Archive noch in der neuen Zeit uns viele Originaldocumente für immer<lb/> vernichtet hat. Auch in den letzten hundert Jahren ist der Fortschritt der loca-<lb/> len Geschichtsschreibung keineswegs ein schneller und stetiger gewesen. Vom<lb/> Ausdruck) der französischen Revolution bis nach den Freiheitskriegen war die<lb/> Zeit einer liebevollen Betrachtung vergangener Zustände selten günstig; auch<lb/> nach 1815 fehlte noch lange in den neuorganisirten Staaten Deutschlands Be¬<lb/> hagen und Wohlstand.</p><lb/> <p xml:id="ID_1309" next="#ID_1310"> So ist es gekommen, daß auch in den Landschaften und Städten, in denen<lb/> sich ein reiches Quellenmaterial erhalten hat, dasselbe, man darf sagen zum<lb/> größten Theil, noch unbenutzt liegt. Noch sind bei weitem nicht alle Raths-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
und zum Untergang derselben beigetragen hat, so müssen sie uns nicht selten
an Stelle der Verlornen als älteste Geschichtserzählung dienen. Leider erweist
sich dieser abgeleitete Stoff für die Zeit des Mittelalters in der Regel als sehr
unzuverlässig. Er ist uns noch am liebsten, wo die Verfasser einfach abschreiben
und in der Weise ihrer Vorfahren erzählen/ Aber je höhere wissenschaftliche
Ansprüche sie selbst machen und je mehr sie nacb dem Muster der antiken Hi¬
storiker eine zusammenhängende Darstellung versuchen, etwa im Stil des Li-
vius oder Tacitus, desto bedenklicher wird die Willkür und Gewissenlosigkeit,
mit welcher sie die überlieferten Nachrichten färben, entstellen, verbinden und
die Lücken mit ihrer Erfindung ausfüllen.
Seit der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts erhalten diese Geschichten
einen besonders gründlichen Schein, weil es Mode wird, einzelne Urkunden und
diplomatische Actenstücke mit ihrem Wortlaute einzurücken, die Benutzung älterer
Quellen wird dadurch nicht gründlicher, das Verständniß früherer Zeiten nicht
größer. Auch seit durch Leibnitz die Herausgabe alter Quellenschriften systema¬
tisch und in großem Sinne, wenn auch noch nicht mit den Hilfsmitteln
moderner Kritik, eingeführt wurde, kam dieser große Fortschritt der Städte¬
geschichte nicht sofort zu gut. Zwar das historische Interesse in der Nation
wurde allgemeiner, überall entstanden neue Stadtgeschichten, Kirchen- und Schul-
staaten, man las mehr in den Geschichtsschreibern des Mittelalters, man sam¬
melte auch häusiger Diplome und druckte dieselben ab, aber die eigene Zuthat
der gelehrten Lvcalhistoriker ist bis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahr¬
hunderts für das Mittelalter in der Regel immer noch wenig werth.
Erst seit Lessing begann man hier und da auf eine andere Art von Quel¬
len zurückzugehen, welche für uns bei weitem die wichtigste geworden ist, auf
die archivalen. Und wenn auch die Benutzung des ungeheuren Materials,
welches man in alten Stadtrechnungen, Rathsacten und Urkunden vorfand,
nicht sofort systematisch und vollständig bewältigt wurde, so sind doch einzelne
der damals geschriebenen Werke z. V. Klose's Geschichte von Breslau, für uns
auch als Quellen von hohem Werth, weil die Verschleppung und Verwüstung-
der Archive noch in der neuen Zeit uns viele Originaldocumente für immer
vernichtet hat. Auch in den letzten hundert Jahren ist der Fortschritt der loca-
len Geschichtsschreibung keineswegs ein schneller und stetiger gewesen. Vom
Ausdruck) der französischen Revolution bis nach den Freiheitskriegen war die
Zeit einer liebevollen Betrachtung vergangener Zustände selten günstig; auch
nach 1815 fehlte noch lange in den neuorganisirten Staaten Deutschlands Be¬
hagen und Wohlstand.
So ist es gekommen, daß auch in den Landschaften und Städten, in denen
sich ein reiches Quellenmaterial erhalten hat, dasselbe, man darf sagen zum
größten Theil, noch unbenutzt liegt. Noch sind bei weitem nicht alle Raths-
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