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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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-G-eschichtsschreiber aus früheren Ja-Hrhunderten zuerst in dem einfachen Stil der
Chroniken berichtet haben, so fehlten -doch seit zweihundert Jahren auch die
Gelehrten nicht, welche höhere Ansprüche zu befriedigen strebten und eine 'sy¬
stematische und geordnete Geschichtserzählung hinterließen. Und besitzt nicht jede
größere Stadt mehr als einen Historiker der Neuzeit, deren Werte zum großen
Theil als fleißige Arbeiten wohlbekannt sind? Aber trotz solcher ununter¬
brochenen Behandlung der vergangenen Zeit ist das oben Gesagte eine Wahr¬
heit. Ja man muß das demüthigende Bekenntniß ablegen, daß wir trotz alter
Borarbeiten in den meisten größeren Städten noch heut überhaupt gar nicht
im Stande sind, eine Geschichte ihrer Vergangenheit zu schreiben, welche den
letzten Ansprüchen moderner Geschichtschreibung genügte.

Es ist wahr, den größern Städten hat auch in der schlechtesten Zeit das
Interesse an der eigenen Commune und ihrer Vergangenheit nicht gefehlt. Aber
erst in unserem Jahrhundert ist die wissenschaftliche Kritik der Quellen auf fest"
Grundsätze zurückgeführt worden, und erst die neueste Zeit hat Interesse und
Verständniß für viele neue Seiten des alten Bürgerlebens lebendig gemacht.

Unter den ältesten Geschichtsschreibern deutscher Städte sind uns die Chro¬
nisten des dreizehnten, vierzehnten und beginnenden fünfzehnten Jahrhunderts
vom höchsten Werth. Sie berichten Ereignisse und Zustände ihrer Vergangen¬
heit nach schriftlichen und mündlichen Traditionen, deren Genauigkeit wir aller¬
dings sorgfältig zu prüfen haben und in der Regel sehr mangelhaft finden.
Sie erzählen aber, was sie selbst erlebt haben, in der Regel einfach, klar, oft
ausführlich, zuweilen mit einer bewunderungswürdigen Frische und Anschaulich¬
keit. Da sie Jahr für Jahr zu verzeichnen Pflegen, was ihnen bemerkenswerth
erschien, so haben sie leicht Fortsetzer gefunden, die Handschriften ihrer Chronik
sind öfter abgeschrieben und von verschiedenen Schreibern weiter geführt, sie ent¬
halten demnach zuweilen eine durch mehre Jahrhunderte fortlaufende Erzäh¬
lung. Wie ungleich der historische Werth dieser Chroniken je nach Bildung,
Geschäftskenntniß, Parteistandpunt't des Schreibers und seiner Fortsetzer sein
mögen, sie gehören überall, wo sie uns erhalten sind, zu den Quellen ersten
Ranges für die Geschichte ihres Ortes. Aber die meisten derselben liegen in
alten Manuskripten verborgen, nicht leicht zugänglich, wenig benutzt. Erst die
Gegenwart hat den vollen Werth dieser ältesten Berichte gewürdigt, grade j-ehe
wird in Sammelwerken -- wir nennen nur die großen Quellenwerke für
Baiern und die Provinz Preußen -- die Herausgabe derselben betrieben.

Denn was bis in die Neuzeit in der Regel als erste Quelle der Local-
gescbichte galt, sind die gedruckten Chroniken und Geschichtserzählungen-des
sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts. Die Verfasser dieser Werke haben
jene ältern Aufzeichnungen allerdings benutzt, zuweilen reichlich und 'ausführlichj,
und da ihre Arbeit den Zeitgenossen oft frühere Aufzeichnungen unniu) gemacht


Grenzboten III. 18S2. . 4V

-G-eschichtsschreiber aus früheren Ja-Hrhunderten zuerst in dem einfachen Stil der
Chroniken berichtet haben, so fehlten -doch seit zweihundert Jahren auch die
Gelehrten nicht, welche höhere Ansprüche zu befriedigen strebten und eine 'sy¬
stematische und geordnete Geschichtserzählung hinterließen. Und besitzt nicht jede
größere Stadt mehr als einen Historiker der Neuzeit, deren Werte zum großen
Theil als fleißige Arbeiten wohlbekannt sind? Aber trotz solcher ununter¬
brochenen Behandlung der vergangenen Zeit ist das oben Gesagte eine Wahr¬
heit. Ja man muß das demüthigende Bekenntniß ablegen, daß wir trotz alter
Borarbeiten in den meisten größeren Städten noch heut überhaupt gar nicht
im Stande sind, eine Geschichte ihrer Vergangenheit zu schreiben, welche den
letzten Ansprüchen moderner Geschichtschreibung genügte.

Es ist wahr, den größern Städten hat auch in der schlechtesten Zeit das
Interesse an der eigenen Commune und ihrer Vergangenheit nicht gefehlt. Aber
erst in unserem Jahrhundert ist die wissenschaftliche Kritik der Quellen auf fest«
Grundsätze zurückgeführt worden, und erst die neueste Zeit hat Interesse und
Verständniß für viele neue Seiten des alten Bürgerlebens lebendig gemacht.

Unter den ältesten Geschichtsschreibern deutscher Städte sind uns die Chro¬
nisten des dreizehnten, vierzehnten und beginnenden fünfzehnten Jahrhunderts
vom höchsten Werth. Sie berichten Ereignisse und Zustände ihrer Vergangen¬
heit nach schriftlichen und mündlichen Traditionen, deren Genauigkeit wir aller¬
dings sorgfältig zu prüfen haben und in der Regel sehr mangelhaft finden.
Sie erzählen aber, was sie selbst erlebt haben, in der Regel einfach, klar, oft
ausführlich, zuweilen mit einer bewunderungswürdigen Frische und Anschaulich¬
keit. Da sie Jahr für Jahr zu verzeichnen Pflegen, was ihnen bemerkenswerth
erschien, so haben sie leicht Fortsetzer gefunden, die Handschriften ihrer Chronik
sind öfter abgeschrieben und von verschiedenen Schreibern weiter geführt, sie ent¬
halten demnach zuweilen eine durch mehre Jahrhunderte fortlaufende Erzäh¬
lung. Wie ungleich der historische Werth dieser Chroniken je nach Bildung,
Geschäftskenntniß, Parteistandpunt't des Schreibers und seiner Fortsetzer sein
mögen, sie gehören überall, wo sie uns erhalten sind, zu den Quellen ersten
Ranges für die Geschichte ihres Ortes. Aber die meisten derselben liegen in
alten Manuskripten verborgen, nicht leicht zugänglich, wenig benutzt. Erst die
Gegenwart hat den vollen Werth dieser ältesten Berichte gewürdigt, grade j-ehe
wird in Sammelwerken — wir nennen nur die großen Quellenwerke für
Baiern und die Provinz Preußen — die Herausgabe derselben betrieben.

Denn was bis in die Neuzeit in der Regel als erste Quelle der Local-
gescbichte galt, sind die gedruckten Chroniken und Geschichtserzählungen-des
sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts. Die Verfasser dieser Werke haben
jene ältern Aufzeichnungen allerdings benutzt, zuweilen reichlich und 'ausführlichj,
und da ihre Arbeit den Zeitgenossen oft frühere Aufzeichnungen unniu) gemacht


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[0321] -G-eschichtsschreiber aus früheren Ja-Hrhunderten zuerst in dem einfachen Stil der Chroniken berichtet haben, so fehlten -doch seit zweihundert Jahren auch die Gelehrten nicht, welche höhere Ansprüche zu befriedigen strebten und eine 'sy¬ stematische und geordnete Geschichtserzählung hinterließen. Und besitzt nicht jede größere Stadt mehr als einen Historiker der Neuzeit, deren Werte zum großen Theil als fleißige Arbeiten wohlbekannt sind? Aber trotz solcher ununter¬ brochenen Behandlung der vergangenen Zeit ist das oben Gesagte eine Wahr¬ heit. Ja man muß das demüthigende Bekenntniß ablegen, daß wir trotz alter Borarbeiten in den meisten größeren Städten noch heut überhaupt gar nicht im Stande sind, eine Geschichte ihrer Vergangenheit zu schreiben, welche den letzten Ansprüchen moderner Geschichtschreibung genügte. Es ist wahr, den größern Städten hat auch in der schlechtesten Zeit das Interesse an der eigenen Commune und ihrer Vergangenheit nicht gefehlt. Aber erst in unserem Jahrhundert ist die wissenschaftliche Kritik der Quellen auf fest« Grundsätze zurückgeführt worden, und erst die neueste Zeit hat Interesse und Verständniß für viele neue Seiten des alten Bürgerlebens lebendig gemacht. Unter den ältesten Geschichtsschreibern deutscher Städte sind uns die Chro¬ nisten des dreizehnten, vierzehnten und beginnenden fünfzehnten Jahrhunderts vom höchsten Werth. Sie berichten Ereignisse und Zustände ihrer Vergangen¬ heit nach schriftlichen und mündlichen Traditionen, deren Genauigkeit wir aller¬ dings sorgfältig zu prüfen haben und in der Regel sehr mangelhaft finden. Sie erzählen aber, was sie selbst erlebt haben, in der Regel einfach, klar, oft ausführlich, zuweilen mit einer bewunderungswürdigen Frische und Anschaulich¬ keit. Da sie Jahr für Jahr zu verzeichnen Pflegen, was ihnen bemerkenswerth erschien, so haben sie leicht Fortsetzer gefunden, die Handschriften ihrer Chronik sind öfter abgeschrieben und von verschiedenen Schreibern weiter geführt, sie ent¬ halten demnach zuweilen eine durch mehre Jahrhunderte fortlaufende Erzäh¬ lung. Wie ungleich der historische Werth dieser Chroniken je nach Bildung, Geschäftskenntniß, Parteistandpunt't des Schreibers und seiner Fortsetzer sein mögen, sie gehören überall, wo sie uns erhalten sind, zu den Quellen ersten Ranges für die Geschichte ihres Ortes. Aber die meisten derselben liegen in alten Manuskripten verborgen, nicht leicht zugänglich, wenig benutzt. Erst die Gegenwart hat den vollen Werth dieser ältesten Berichte gewürdigt, grade j-ehe wird in Sammelwerken — wir nennen nur die großen Quellenwerke für Baiern und die Provinz Preußen — die Herausgabe derselben betrieben. Denn was bis in die Neuzeit in der Regel als erste Quelle der Local- gescbichte galt, sind die gedruckten Chroniken und Geschichtserzählungen-des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts. Die Verfasser dieser Werke haben jene ältern Aufzeichnungen allerdings benutzt, zuweilen reichlich und 'ausführlichj, und da ihre Arbeit den Zeitgenossen oft frühere Aufzeichnungen unniu) gemacht Grenzboten III. 18S2. . 4V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/321>, abgerufen am 05.02.2025.