Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.keinerlei Repräsentativverfassung zu geben. Die zugezogenen Räthe, Borelli, Karl Albert kämpfte einen schweren Kampf. Die ganze Nacht vom 6. auf Gleich darauf empfing er die Deputation des Stadtraths mit der Adresse Am folgenden Tag erschien in der officiellen Zeitung und auf Mauer- keinerlei Repräsentativverfassung zu geben. Die zugezogenen Räthe, Borelli, Karl Albert kämpfte einen schweren Kampf. Die ganze Nacht vom 6. auf Gleich darauf empfing er die Deputation des Stadtraths mit der Adresse Am folgenden Tag erschien in der officiellen Zeitung und auf Mauer- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114633"/> <p xml:id="ID_1293" prev="#ID_1292"> keinerlei Repräsentativverfassung zu geben. Die zugezogenen Räthe, Borelli,<lb/> Giovanelli, der Bischof von Angennes, suchten diese Bedenken zu erschüttern,<lb/> indem sie auf das liberale Beispiel des si, Vaters und die Verfassung König<lb/> Ferdinands hinwiesen. Kein christlicher Fürst, sagten sie, könne gegen irgend<lb/> jemand sich binden, seinen Völkern dasjenige zu versagen, was die göttliche<lb/> Vorsehung selbst im Lauf der Jahrhunderte zu ihrem Fortschritt bestimmt habe,<lb/> und was die Vorsehung für Italien wolle, sei durch die Handlungen des<lb/> Oberhauptes der Christenheit sattsam angedeutet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1294"> Karl Albert kämpfte einen schweren Kampf. Die ganze Nacht vom 6. auf<lb/> den 7. durchwachte er an seinem Schreibtisch, oder im Gemach auf- und ab¬<lb/> gehend, in tiefes Nachdenken versunken. Am Morgen hörte er die Messe, nahm<lb/> das Sacrament des Abendmahls und berief dann außer den Ministern den Gra¬<lb/> fen Latour, Vicepräsident des Staatsraths, die drei Sectionspräfidenten die¬<lb/> ses Raths, den Generalprocurator und die früheren Minister Graf Praiormo<lb/> und Gallina zu einer Conferenz. Der König eröffnete die Sitzung mit einer<lb/> langen Rede, worin er alle Verbesserungen aufzählte, die er während seiner<lb/> Regierung in den verschiedenen Zweigen der Staatsverwaltung dem Lande ge¬<lb/> währt, und zeigte dann, wie der unaufhaltsame Fortschritt der Civilisation<lb/> auch die weiteren politischen Freiheiten unaufschiebbar mache, welche jetzt sämmt¬<lb/> liche Völkerschaften Italiens von einem Ende der Halbinsel zum andern in An¬<lb/> spruch nehmen; er erkenne die Macht der öffentlichen Meinung an, die mehr<lb/> denn je zugleich von den Eingebungen der Religion unterstützt werde, und be¬<lb/> theuerte, er sei entschlossen, für das Wohl seiner Völker zu thun, was die<lb/> Versammlung für geeignet halte, wofern nur die beiden Principien außer Frage<lb/> ständen: 1) daß der katholische Cultus für immer die Staatsreligion bleibe<lb/> und 2) die Monarchie im Hause Savoyen erhalten werde. Hieran schloß sich<lb/> nun eine lange Berathung, in welcher sämmtliche Anwesende das Wort er¬<lb/> griffen. Merkwürdigerweise war Graf Latour, das Haupt der Reactionäre, der<lb/> beredteste Wortführer für die Verfassung, ihr eifrigster Gegner der vertraute<lb/> Secretär des Königs. Castagneto. Die Berathung dauerte von !> Uhr Mor¬<lb/> gens bis 4 Uhr Nachmittags. Endlich verabschiedete der König die Versamm¬<lb/> lung, ohne etwas von seinem Entschlüsse zu äußern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1295"> Gleich darauf empfing er die Deputation des Stadtraths mit der Adresse<lb/> um eine Verfassung. Er war freundlich, antwortete jedoch ausweichend: er<lb/> habe nie etwas verweigert und werde nie etwas verweigern, was vom Wohl<lb/> seiner Völker verlangt werde. Als inzwischen unter den Fenstern sich eine<lb/> Volksmenge angesammelt hatte, welche mit Geschrei ihre Ungeduld zu erkennen<lb/> gab, wandte er sich noch einmal zu den Bürgermeistern mit den Worten: „So<lb/> lange Sie jedoch hier sind wird nichts geschehen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1296" next="#ID_1297"> Am folgenden Tag erschien in der officiellen Zeitung und auf Mauer-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
keinerlei Repräsentativverfassung zu geben. Die zugezogenen Räthe, Borelli,
Giovanelli, der Bischof von Angennes, suchten diese Bedenken zu erschüttern,
indem sie auf das liberale Beispiel des si, Vaters und die Verfassung König
Ferdinands hinwiesen. Kein christlicher Fürst, sagten sie, könne gegen irgend
jemand sich binden, seinen Völkern dasjenige zu versagen, was die göttliche
Vorsehung selbst im Lauf der Jahrhunderte zu ihrem Fortschritt bestimmt habe,
und was die Vorsehung für Italien wolle, sei durch die Handlungen des
Oberhauptes der Christenheit sattsam angedeutet.
Karl Albert kämpfte einen schweren Kampf. Die ganze Nacht vom 6. auf
den 7. durchwachte er an seinem Schreibtisch, oder im Gemach auf- und ab¬
gehend, in tiefes Nachdenken versunken. Am Morgen hörte er die Messe, nahm
das Sacrament des Abendmahls und berief dann außer den Ministern den Gra¬
fen Latour, Vicepräsident des Staatsraths, die drei Sectionspräfidenten die¬
ses Raths, den Generalprocurator und die früheren Minister Graf Praiormo
und Gallina zu einer Conferenz. Der König eröffnete die Sitzung mit einer
langen Rede, worin er alle Verbesserungen aufzählte, die er während seiner
Regierung in den verschiedenen Zweigen der Staatsverwaltung dem Lande ge¬
währt, und zeigte dann, wie der unaufhaltsame Fortschritt der Civilisation
auch die weiteren politischen Freiheiten unaufschiebbar mache, welche jetzt sämmt¬
liche Völkerschaften Italiens von einem Ende der Halbinsel zum andern in An¬
spruch nehmen; er erkenne die Macht der öffentlichen Meinung an, die mehr
denn je zugleich von den Eingebungen der Religion unterstützt werde, und be¬
theuerte, er sei entschlossen, für das Wohl seiner Völker zu thun, was die
Versammlung für geeignet halte, wofern nur die beiden Principien außer Frage
ständen: 1) daß der katholische Cultus für immer die Staatsreligion bleibe
und 2) die Monarchie im Hause Savoyen erhalten werde. Hieran schloß sich
nun eine lange Berathung, in welcher sämmtliche Anwesende das Wort er¬
griffen. Merkwürdigerweise war Graf Latour, das Haupt der Reactionäre, der
beredteste Wortführer für die Verfassung, ihr eifrigster Gegner der vertraute
Secretär des Königs. Castagneto. Die Berathung dauerte von !> Uhr Mor¬
gens bis 4 Uhr Nachmittags. Endlich verabschiedete der König die Versamm¬
lung, ohne etwas von seinem Entschlüsse zu äußern.
Gleich darauf empfing er die Deputation des Stadtraths mit der Adresse
um eine Verfassung. Er war freundlich, antwortete jedoch ausweichend: er
habe nie etwas verweigert und werde nie etwas verweigern, was vom Wohl
seiner Völker verlangt werde. Als inzwischen unter den Fenstern sich eine
Volksmenge angesammelt hatte, welche mit Geschrei ihre Ungeduld zu erkennen
gab, wandte er sich noch einmal zu den Bürgermeistern mit den Worten: „So
lange Sie jedoch hier sind wird nichts geschehen."
Am folgenden Tag erschien in der officiellen Zeitung und auf Mauer-
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