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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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oder daß sonst ein Umstand seine Stimmung trübte, -- genug -- der König
fuhr zum allgemeinen Erstaunen im geschlossenen Wagen und' in größter Eile
durch die sestgeschmückten Straßen, ohne sich an dem auf dem Victor-Emanuels-
platz errichteten Triumphbogen aufzuhalten, wo die Behörden und Deputatio¬
nen sich zu seiner Beglückwünschung aufgestellt hatten.

Während aber das Volk in Freudenbezeugungen schwelgte, waren die
Vaterlandsfreunde bereits eifrig an der Arbeit, die neuen Freiheiten fruchtbar
zu machen, sie zu befestigen und zu entwickeln. Gleich nach der Bekannt¬
machung vom 30. October schrieb Balbo an den Privatsekretär des Königs in
Ausdrücken einer enthusiastischen Dankbarkeit, betonte aber zugleich, daß der
König sein Werk vollenden müsse durch eine vollständige Amnestie (welche schon
die Genueser" von ihm verlangt hatten) und Abschaffung der unerträglichen
Polizeigerichte. Auch öffentlich setzte er in einem Artikel die Bedeutung der
neuen Reformen auseinander, welche zugleich ein Mittel zu weiteren Fort¬
schritten seien. Dagegen war er schmerzlich überrascht, alls ihn der König zu
einem^ der Räthe der Obcrrevisionscommission ernannte, welche an die Stelle
der aufgelösten Censurbehörde getreten war. Präsident derselben war Graf
Sclopis, dessen erstes Rundschreiben an seine untergebenen Behörden von einem
wahrhaft liberalen Geist eingegeben war und eine gedeihliche Entwicklung der
Presse hoffen ließ; auch die anderen Räthe waren Namen von gutem Klang.
Gleichwohl war Balbo ganz niedergeschlagen, daß er, der heftigste Feind der
Censur, nun selbst Censor geworden, und mit Thränen in den Augen rief.er
ans: Zur grausamsten Verkennung und Vernachlässigung auch noch diese Be¬
leidigung ! Er sah sich in seiner Hoffnung, auf einem hohen Verwaltungsposten
dem Vaterland nützlich zu sein, abermals getäuscht, und mit seinem oft aus¬
gesprochenen Grundsatz: besser handeln als schreiben, war er gleichwohl auch
jetzt genöthigt, einzig durch die Feder zu wirken.

Zunächst wollte er die drei letzten politischen Briefe herausgeben, das wird,
sagte er, die würdigste Rache für mich sein. Doch blieb es, wie so oft bei
Balbo's schriftstellerischen Unternehmungen, bei der bloßen Absicht. Dagegen
schrieb er an den König einen Brief, worin er ihm die Nothwendigkeit einer
Verfassung und den fertigen Plan einer solchen vorlegte, einen Brief, den der
König, wie früher erwähnt, mit seinen religiösen Bedenken beantwortete. Einen
höchst glücklichen Griff aber that Balbo, als er jetzt die während seines Aufent¬
halts in Spanien 1817--1813 entstandenen militärischen Studien herausgab,
eine Arbeit, die in diesem Augenblick als ein Fingerzeig für einen künftigen
Unabhängigkeitskrieg erscheinen mußte, und auch in diesem Sinn verstanden
wurde, und eine Reihe militärischer Discussionen eröffnete, an welchen sich
u. a. Massimo d'Azeglio und Giacinto Cvllegno betheiligten.

Inzwischen.hatten die der Presse zugestandenen Erleichterungen der Jour-


oder daß sonst ein Umstand seine Stimmung trübte, — genug — der König
fuhr zum allgemeinen Erstaunen im geschlossenen Wagen und' in größter Eile
durch die sestgeschmückten Straßen, ohne sich an dem auf dem Victor-Emanuels-
platz errichteten Triumphbogen aufzuhalten, wo die Behörden und Deputatio¬
nen sich zu seiner Beglückwünschung aufgestellt hatten.

Während aber das Volk in Freudenbezeugungen schwelgte, waren die
Vaterlandsfreunde bereits eifrig an der Arbeit, die neuen Freiheiten fruchtbar
zu machen, sie zu befestigen und zu entwickeln. Gleich nach der Bekannt¬
machung vom 30. October schrieb Balbo an den Privatsekretär des Königs in
Ausdrücken einer enthusiastischen Dankbarkeit, betonte aber zugleich, daß der
König sein Werk vollenden müsse durch eine vollständige Amnestie (welche schon
die Genueser« von ihm verlangt hatten) und Abschaffung der unerträglichen
Polizeigerichte. Auch öffentlich setzte er in einem Artikel die Bedeutung der
neuen Reformen auseinander, welche zugleich ein Mittel zu weiteren Fort¬
schritten seien. Dagegen war er schmerzlich überrascht, alls ihn der König zu
einem^ der Räthe der Obcrrevisionscommission ernannte, welche an die Stelle
der aufgelösten Censurbehörde getreten war. Präsident derselben war Graf
Sclopis, dessen erstes Rundschreiben an seine untergebenen Behörden von einem
wahrhaft liberalen Geist eingegeben war und eine gedeihliche Entwicklung der
Presse hoffen ließ; auch die anderen Räthe waren Namen von gutem Klang.
Gleichwohl war Balbo ganz niedergeschlagen, daß er, der heftigste Feind der
Censur, nun selbst Censor geworden, und mit Thränen in den Augen rief.er
ans: Zur grausamsten Verkennung und Vernachlässigung auch noch diese Be¬
leidigung ! Er sah sich in seiner Hoffnung, auf einem hohen Verwaltungsposten
dem Vaterland nützlich zu sein, abermals getäuscht, und mit seinem oft aus¬
gesprochenen Grundsatz: besser handeln als schreiben, war er gleichwohl auch
jetzt genöthigt, einzig durch die Feder zu wirken.

Zunächst wollte er die drei letzten politischen Briefe herausgeben, das wird,
sagte er, die würdigste Rache für mich sein. Doch blieb es, wie so oft bei
Balbo's schriftstellerischen Unternehmungen, bei der bloßen Absicht. Dagegen
schrieb er an den König einen Brief, worin er ihm die Nothwendigkeit einer
Verfassung und den fertigen Plan einer solchen vorlegte, einen Brief, den der
König, wie früher erwähnt, mit seinen religiösen Bedenken beantwortete. Einen
höchst glücklichen Griff aber that Balbo, als er jetzt die während seines Aufent¬
halts in Spanien 1817—1813 entstandenen militärischen Studien herausgab,
eine Arbeit, die in diesem Augenblick als ein Fingerzeig für einen künftigen
Unabhängigkeitskrieg erscheinen mußte, und auch in diesem Sinn verstanden
wurde, und eine Reihe militärischer Discussionen eröffnete, an welchen sich
u. a. Massimo d'Azeglio und Giacinto Cvllegno betheiligten.

Inzwischen.hatten die der Presse zugestandenen Erleichterungen der Jour-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/312>, abgerufen am 06.02.2025.