Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dies als eine gewaltige Kühnheit, die ebenso viel Angst oder gar Spott, als
Jubel erregte. An der Spitze der ganzen Bewegung erblickte man einen
hochgewachsenen schönen Mann, voll angeborner Würde und zugleich zuvor¬
kommendster Freundlichkeit. Als Präsident des Festes erschien er gemessenen
Schritts, wie es seine Art war, bald hier, bald dort, wo die Anordnung der
einzelnen Gruppen seine Hand erforderte. Es war der Marchese Robert d'Azeg-
liv, dem Volte längst ebenso beliebt, wie von einem Theil seiner Standes-
genossen verspottet, als Gründer einer Freischule für Mädchen aus dem Volte,
die man oft mit ihrem Wohlthäter an der Spitze in langem Zuge jenseits des
Po spazieren gehen sah. Seit diesen festlichen Tagen nun galt er als der aus¬
gemachte Anführer des Volks, das ihn mit Anspielung auf den Volkshelden ur
Rom den Marchese Ciceruacchio nannte. Mit ihm wetteiferte um die erste Stelle
in der Volksgunst Lorenzo Valerie, ohne mit seinen derberen Formen und pa¬
thetischen Vvttsreden gleichen Erfolg zu haben. Valerio gefiel sich mit Osten¬
tation in der Rolle eines Voltstribuns und führte beständig den Namen Ca¬
sus Gracchus im Munde, was ihm aber von Seite des VvltSwitzeS nur den
Spottnamen Eajo Gracchia (Krähe) zuzog.

Die Reaction hatte zwar auch diesmal -- vornehmlich durch die Königin --
alles aufgeboten, den König noch im letzten Augenblick zurückzuhalten, und
sein Erscheinen war dadurch wirtlich verzögert worden, aber er wurde mit so
ausschweifendem Jubel empfangen und mit Blumen und Kränzen überschüttet,
daß ihm die ungewohnte Erregung Thränen der Freude entlockte. Ebenso war
die Reise nach Genua ein fortwährender Triumphzug und der Aufenthalt in
dieser Stobt ein ununterbrochenes Verbrüderuugsfest des Monarchen mit seinem
Volt. Bald wie ein Heiliger verehrt, bald wie ein Vater von seinen Kindern
geliebt, schien sich Karl Albert ganz diesen Aeußerungen einer bisher nicht ge¬
kannten Vertraulichkeit hinzugeben.

Nur ein bitterer Tropfen mischte sich in diesen berauschenden Freudetrank.
Der König, der sich nie öffentlich zeigen konnte, ohne von jubelnden Volks-
Massen begleitet zu sein, begab sich eines Sonntags in die Messe, wiederum leb¬
hast vom Volt umdrängt und begrüßt. Aber Karl Albert lenkt diesmal seine
Schritte nach der Jesuitenkirche. Wie aus ein gegebenes Zeichen bleibt das
Volk stehen, der König betritt allein die verfehmte Schwelle und als er nach
vollbrachter Function heraustritt, steht das Volt stumm und mißvergnügt, bis
es dann in ein lautes Geschrei ausbricht: "Weg mit den Jesuiten! Nieder mit
Loyola!" -- eine Demonstration, welche den König bitter schmerzte.
'

Bei seiner Rückkunft nachTurin am 5. December sollte ihm abermals
eine große Ovation bereitet werden. Ader sei es, daß er von einem Complott
hörte, dessen Verschworene Leute gedungen hatten, die bei dieser Gelegenheit
abwechselnd: "Es lebe die Republik! Nieder mit den Reformen!" rufen sollten,


dies als eine gewaltige Kühnheit, die ebenso viel Angst oder gar Spott, als
Jubel erregte. An der Spitze der ganzen Bewegung erblickte man einen
hochgewachsenen schönen Mann, voll angeborner Würde und zugleich zuvor¬
kommendster Freundlichkeit. Als Präsident des Festes erschien er gemessenen
Schritts, wie es seine Art war, bald hier, bald dort, wo die Anordnung der
einzelnen Gruppen seine Hand erforderte. Es war der Marchese Robert d'Azeg-
liv, dem Volte längst ebenso beliebt, wie von einem Theil seiner Standes-
genossen verspottet, als Gründer einer Freischule für Mädchen aus dem Volte,
die man oft mit ihrem Wohlthäter an der Spitze in langem Zuge jenseits des
Po spazieren gehen sah. Seit diesen festlichen Tagen nun galt er als der aus¬
gemachte Anführer des Volks, das ihn mit Anspielung auf den Volkshelden ur
Rom den Marchese Ciceruacchio nannte. Mit ihm wetteiferte um die erste Stelle
in der Volksgunst Lorenzo Valerie, ohne mit seinen derberen Formen und pa¬
thetischen Vvttsreden gleichen Erfolg zu haben. Valerio gefiel sich mit Osten¬
tation in der Rolle eines Voltstribuns und führte beständig den Namen Ca¬
sus Gracchus im Munde, was ihm aber von Seite des VvltSwitzeS nur den
Spottnamen Eajo Gracchia (Krähe) zuzog.

Die Reaction hatte zwar auch diesmal — vornehmlich durch die Königin —
alles aufgeboten, den König noch im letzten Augenblick zurückzuhalten, und
sein Erscheinen war dadurch wirtlich verzögert worden, aber er wurde mit so
ausschweifendem Jubel empfangen und mit Blumen und Kränzen überschüttet,
daß ihm die ungewohnte Erregung Thränen der Freude entlockte. Ebenso war
die Reise nach Genua ein fortwährender Triumphzug und der Aufenthalt in
dieser Stobt ein ununterbrochenes Verbrüderuugsfest des Monarchen mit seinem
Volt. Bald wie ein Heiliger verehrt, bald wie ein Vater von seinen Kindern
geliebt, schien sich Karl Albert ganz diesen Aeußerungen einer bisher nicht ge¬
kannten Vertraulichkeit hinzugeben.

Nur ein bitterer Tropfen mischte sich in diesen berauschenden Freudetrank.
Der König, der sich nie öffentlich zeigen konnte, ohne von jubelnden Volks-
Massen begleitet zu sein, begab sich eines Sonntags in die Messe, wiederum leb¬
hast vom Volt umdrängt und begrüßt. Aber Karl Albert lenkt diesmal seine
Schritte nach der Jesuitenkirche. Wie aus ein gegebenes Zeichen bleibt das
Volk stehen, der König betritt allein die verfehmte Schwelle und als er nach
vollbrachter Function heraustritt, steht das Volt stumm und mißvergnügt, bis
es dann in ein lautes Geschrei ausbricht: „Weg mit den Jesuiten! Nieder mit
Loyola!" — eine Demonstration, welche den König bitter schmerzte.
'

Bei seiner Rückkunft nachTurin am 5. December sollte ihm abermals
eine große Ovation bereitet werden. Ader sei es, daß er von einem Complott
hörte, dessen Verschworene Leute gedungen hatten, die bei dieser Gelegenheit
abwechselnd: „Es lebe die Republik! Nieder mit den Reformen!" rufen sollten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114625"/>
            <p xml:id="ID_1268" prev="#ID_1267"> dies als eine gewaltige Kühnheit, die ebenso viel Angst oder gar Spott, als<lb/>
Jubel erregte. An der Spitze der ganzen Bewegung erblickte man einen<lb/>
hochgewachsenen schönen Mann, voll angeborner Würde und zugleich zuvor¬<lb/>
kommendster Freundlichkeit. Als Präsident des Festes erschien er gemessenen<lb/>
Schritts, wie es seine Art war, bald hier, bald dort, wo die Anordnung der<lb/>
einzelnen Gruppen seine Hand erforderte. Es war der Marchese Robert d'Azeg-<lb/>
liv, dem Volte längst ebenso beliebt, wie von einem Theil seiner Standes-<lb/>
genossen verspottet, als Gründer einer Freischule für Mädchen aus dem Volte,<lb/>
die man oft mit ihrem Wohlthäter an der Spitze in langem Zuge jenseits des<lb/>
Po spazieren gehen sah. Seit diesen festlichen Tagen nun galt er als der aus¬<lb/>
gemachte Anführer des Volks, das ihn mit Anspielung auf den Volkshelden ur<lb/>
Rom den Marchese Ciceruacchio nannte. Mit ihm wetteiferte um die erste Stelle<lb/>
in der Volksgunst Lorenzo Valerie, ohne mit seinen derberen Formen und pa¬<lb/>
thetischen Vvttsreden gleichen Erfolg zu haben. Valerio gefiel sich mit Osten¬<lb/>
tation in der Rolle eines Voltstribuns und führte beständig den Namen Ca¬<lb/>
sus Gracchus im Munde, was ihm aber von Seite des VvltSwitzeS nur den<lb/>
Spottnamen Eajo Gracchia (Krähe) zuzog.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1269"> Die Reaction hatte zwar auch diesmal &#x2014; vornehmlich durch die Königin &#x2014;<lb/>
alles aufgeboten, den König noch im letzten Augenblick zurückzuhalten, und<lb/>
sein Erscheinen war dadurch wirtlich verzögert worden, aber er wurde mit so<lb/>
ausschweifendem Jubel empfangen und mit Blumen und Kränzen überschüttet,<lb/>
daß ihm die ungewohnte Erregung Thränen der Freude entlockte. Ebenso war<lb/>
die Reise nach Genua ein fortwährender Triumphzug und der Aufenthalt in<lb/>
dieser Stobt ein ununterbrochenes Verbrüderuugsfest des Monarchen mit seinem<lb/>
Volt. Bald wie ein Heiliger verehrt, bald wie ein Vater von seinen Kindern<lb/>
geliebt, schien sich Karl Albert ganz diesen Aeußerungen einer bisher nicht ge¬<lb/>
kannten Vertraulichkeit hinzugeben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1270"> Nur ein bitterer Tropfen mischte sich in diesen berauschenden Freudetrank.<lb/>
Der König, der sich nie öffentlich zeigen konnte, ohne von jubelnden Volks-<lb/>
Massen begleitet zu sein, begab sich eines Sonntags in die Messe, wiederum leb¬<lb/>
hast vom Volt umdrängt und begrüßt. Aber Karl Albert lenkt diesmal seine<lb/>
Schritte nach der Jesuitenkirche. Wie aus ein gegebenes Zeichen bleibt das<lb/>
Volk stehen, der König betritt allein die verfehmte Schwelle und als er nach<lb/>
vollbrachter Function heraustritt, steht das Volt stumm und mißvergnügt, bis<lb/>
es dann in ein lautes Geschrei ausbricht: &#x201E;Weg mit den Jesuiten! Nieder mit<lb/>
Loyola!" &#x2014; eine Demonstration, welche den König bitter schmerzte.<lb/>
'</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1271" next="#ID_1272"> Bei seiner Rückkunft nachTurin am 5. December sollte ihm abermals<lb/>
eine große Ovation bereitet werden. Ader sei es, daß er von einem Complott<lb/>
hörte, dessen Verschworene Leute gedungen hatten, die bei dieser Gelegenheit<lb/>
abwechselnd: &#x201E;Es lebe die Republik! Nieder mit den Reformen!" rufen sollten,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0311] dies als eine gewaltige Kühnheit, die ebenso viel Angst oder gar Spott, als Jubel erregte. An der Spitze der ganzen Bewegung erblickte man einen hochgewachsenen schönen Mann, voll angeborner Würde und zugleich zuvor¬ kommendster Freundlichkeit. Als Präsident des Festes erschien er gemessenen Schritts, wie es seine Art war, bald hier, bald dort, wo die Anordnung der einzelnen Gruppen seine Hand erforderte. Es war der Marchese Robert d'Azeg- liv, dem Volte längst ebenso beliebt, wie von einem Theil seiner Standes- genossen verspottet, als Gründer einer Freischule für Mädchen aus dem Volte, die man oft mit ihrem Wohlthäter an der Spitze in langem Zuge jenseits des Po spazieren gehen sah. Seit diesen festlichen Tagen nun galt er als der aus¬ gemachte Anführer des Volks, das ihn mit Anspielung auf den Volkshelden ur Rom den Marchese Ciceruacchio nannte. Mit ihm wetteiferte um die erste Stelle in der Volksgunst Lorenzo Valerie, ohne mit seinen derberen Formen und pa¬ thetischen Vvttsreden gleichen Erfolg zu haben. Valerio gefiel sich mit Osten¬ tation in der Rolle eines Voltstribuns und führte beständig den Namen Ca¬ sus Gracchus im Munde, was ihm aber von Seite des VvltSwitzeS nur den Spottnamen Eajo Gracchia (Krähe) zuzog. Die Reaction hatte zwar auch diesmal — vornehmlich durch die Königin — alles aufgeboten, den König noch im letzten Augenblick zurückzuhalten, und sein Erscheinen war dadurch wirtlich verzögert worden, aber er wurde mit so ausschweifendem Jubel empfangen und mit Blumen und Kränzen überschüttet, daß ihm die ungewohnte Erregung Thränen der Freude entlockte. Ebenso war die Reise nach Genua ein fortwährender Triumphzug und der Aufenthalt in dieser Stobt ein ununterbrochenes Verbrüderuugsfest des Monarchen mit seinem Volt. Bald wie ein Heiliger verehrt, bald wie ein Vater von seinen Kindern geliebt, schien sich Karl Albert ganz diesen Aeußerungen einer bisher nicht ge¬ kannten Vertraulichkeit hinzugeben. Nur ein bitterer Tropfen mischte sich in diesen berauschenden Freudetrank. Der König, der sich nie öffentlich zeigen konnte, ohne von jubelnden Volks- Massen begleitet zu sein, begab sich eines Sonntags in die Messe, wiederum leb¬ hast vom Volt umdrängt und begrüßt. Aber Karl Albert lenkt diesmal seine Schritte nach der Jesuitenkirche. Wie aus ein gegebenes Zeichen bleibt das Volk stehen, der König betritt allein die verfehmte Schwelle und als er nach vollbrachter Function heraustritt, steht das Volt stumm und mißvergnügt, bis es dann in ein lautes Geschrei ausbricht: „Weg mit den Jesuiten! Nieder mit Loyola!" — eine Demonstration, welche den König bitter schmerzte. ' Bei seiner Rückkunft nachTurin am 5. December sollte ihm abermals eine große Ovation bereitet werden. Ader sei es, daß er von einem Complott hörte, dessen Verschworene Leute gedungen hatten, die bei dieser Gelegenheit abwechselnd: „Es lebe die Republik! Nieder mit den Reformen!" rufen sollten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/311
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/311>, abgerufen am 06.02.2025.