Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Feuer und Hagel auf dem Boden entlanglaufen und alles vernichten. Mit wel¬
cher dramatischen Lebendigkeit ist das alles geschildert und gezeichnet, und wie
hält sich bei all der Malerei die Musik in ihren Grenzen, mit welch geringem
Aufwande von orchestralen Mitteln wird das alles erreicht! Dann wird die
Finsterniß, die man fühlen kann, geschildert, wieder von einem Chöre, in dem
die einzelnen Stimmen wie mit verbundenen Augen umhertappen. In einem
nächsten Chor wird dann alle Erstgeburt der Aegypter vernichtet; der Sopran
beginnt mit einem kräftigen Thema, von den markirten Schlägen des ganzen
Orchesters begleitet, der Alt bildet ein Gegenthema, der Baß nimmt das erste
wieder auf, und der Tenor bildet wieder ein Gegenthema zu letzterem, dazwischen
das bewegte Orchester, das alles gibt eine musikalische Situation, die auch
nur Händel da heraus fühlen und schaffen konnte. Als Gegensatz zu diesem
letzten Kampfe führt in dem nächsten friedlichen Chöre, der eher den Charakter
eines Pastorale hat, der Herr fein Volk fort wie die Schafe mit Silber und
Gold beladen; aber wenn darnach die Aegypter in Dmoll sich freuen, daß die
Israeliten sie verlassen haben, so fühlt man gar zu bald heraus, daß ihre
Freude keine ungetrübte ist, und daß sie im Grunde doch ein recht schlechtes
Gewissen haben müssen. Dann folgt ein achtstimmiges Stückchen Chor in
Ldur von nur acht Takten, gefolgt von einem gewaltigen Doppelchöre, worin
der Herr sein Volk durch die trocknen Tiefen des Schilsmeeres führt. Dieser
schwierige Chor mit seiner immerwährenden Sechzehntheildewegung, wo immer
eine Stimme die andere abhebt in kleinen Motiven, wurde mit ungewöhnlicher
Festigkeit und Präcision gesungen. Die schreienden Pickelfloten in dem
nächsten Chöre, wo die wogenden und fluthenden Bässe den Pharao und sein
Heer verschlingen, waren vielleicht eine Hinzusetzung des Herrn Costa und
klangen im Händel fremd. Der erste Theil schließt darnach mit einem Chor im
Styl der alten Italiener.

Den zweiten Theil eröffnet der Lobgesang des Moses und der Israeliten
wieder einer jener unbeschreiblichen Chöre, die göttlichen Ursprungs zu sein
scheinen. Das folgende Duett I.via is sti'entz'dir" wurde von den
Damen Titicns und Nudersdorf gesungen und leider gänzlich verdorben. Die
kleinen zehntattigen Doppelchöre hin und wieder sind einzig; an Feinheit,
contrapuntlischcm Detail und Innerlichkeit kommen sie den kleinen abgerissenen
Chören in Bachs Passion nicht gleich, aber an dramatischer Gewalt und Be-
stimmtheit des Ausdrucks übertreffen sie jene, so z. B. das hier folgende ,M
(ivä", welches hinüberlcitet zudem "I AÜ1 ex-ne Kien", das in der Weise
der alten Niederländer componirt ist. Das diesem Chöre folgende kräftige
Duett für zwei Bässe wurde von den Herren Bettelei und Weiß mit großer
Bestimmtheit und Kraft wiedergegeben. Der nächste kleine Doppclchor, wo
die Tiefe die Aegypter bedeckt, und sie zu Grunde fallen wie die Steine, ist


Feuer und Hagel auf dem Boden entlanglaufen und alles vernichten. Mit wel¬
cher dramatischen Lebendigkeit ist das alles geschildert und gezeichnet, und wie
hält sich bei all der Malerei die Musik in ihren Grenzen, mit welch geringem
Aufwande von orchestralen Mitteln wird das alles erreicht! Dann wird die
Finsterniß, die man fühlen kann, geschildert, wieder von einem Chöre, in dem
die einzelnen Stimmen wie mit verbundenen Augen umhertappen. In einem
nächsten Chor wird dann alle Erstgeburt der Aegypter vernichtet; der Sopran
beginnt mit einem kräftigen Thema, von den markirten Schlägen des ganzen
Orchesters begleitet, der Alt bildet ein Gegenthema, der Baß nimmt das erste
wieder auf, und der Tenor bildet wieder ein Gegenthema zu letzterem, dazwischen
das bewegte Orchester, das alles gibt eine musikalische Situation, die auch
nur Händel da heraus fühlen und schaffen konnte. Als Gegensatz zu diesem
letzten Kampfe führt in dem nächsten friedlichen Chöre, der eher den Charakter
eines Pastorale hat, der Herr fein Volk fort wie die Schafe mit Silber und
Gold beladen; aber wenn darnach die Aegypter in Dmoll sich freuen, daß die
Israeliten sie verlassen haben, so fühlt man gar zu bald heraus, daß ihre
Freude keine ungetrübte ist, und daß sie im Grunde doch ein recht schlechtes
Gewissen haben müssen. Dann folgt ein achtstimmiges Stückchen Chor in
Ldur von nur acht Takten, gefolgt von einem gewaltigen Doppelchöre, worin
der Herr sein Volk durch die trocknen Tiefen des Schilsmeeres führt. Dieser
schwierige Chor mit seiner immerwährenden Sechzehntheildewegung, wo immer
eine Stimme die andere abhebt in kleinen Motiven, wurde mit ungewöhnlicher
Festigkeit und Präcision gesungen. Die schreienden Pickelfloten in dem
nächsten Chöre, wo die wogenden und fluthenden Bässe den Pharao und sein
Heer verschlingen, waren vielleicht eine Hinzusetzung des Herrn Costa und
klangen im Händel fremd. Der erste Theil schließt darnach mit einem Chor im
Styl der alten Italiener.

Den zweiten Theil eröffnet der Lobgesang des Moses und der Israeliten
wieder einer jener unbeschreiblichen Chöre, die göttlichen Ursprungs zu sein
scheinen. Das folgende Duett I.via is sti'entz'dir" wurde von den
Damen Titicns und Nudersdorf gesungen und leider gänzlich verdorben. Die
kleinen zehntattigen Doppelchöre hin und wieder sind einzig; an Feinheit,
contrapuntlischcm Detail und Innerlichkeit kommen sie den kleinen abgerissenen
Chören in Bachs Passion nicht gleich, aber an dramatischer Gewalt und Be-
stimmtheit des Ausdrucks übertreffen sie jene, so z. B. das hier folgende ,M
(ivä", welches hinüberlcitet zudem „I AÜ1 ex-ne Kien", das in der Weise
der alten Niederländer componirt ist. Das diesem Chöre folgende kräftige
Duett für zwei Bässe wurde von den Herren Bettelei und Weiß mit großer
Bestimmtheit und Kraft wiedergegeben. Der nächste kleine Doppclchor, wo
die Tiefe die Aegypter bedeckt, und sie zu Grunde fallen wie die Steine, ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114616"/>
          <p xml:id="ID_1241" prev="#ID_1240"> Feuer und Hagel auf dem Boden entlanglaufen und alles vernichten. Mit wel¬<lb/>
cher dramatischen Lebendigkeit ist das alles geschildert und gezeichnet, und wie<lb/>
hält sich bei all der Malerei die Musik in ihren Grenzen, mit welch geringem<lb/>
Aufwande von orchestralen Mitteln wird das alles erreicht! Dann wird die<lb/>
Finsterniß, die man fühlen kann, geschildert, wieder von einem Chöre, in dem<lb/>
die einzelnen Stimmen wie mit verbundenen Augen umhertappen.  In einem<lb/>
nächsten Chor wird dann alle Erstgeburt der Aegypter vernichtet; der Sopran<lb/>
beginnt mit einem kräftigen Thema, von den markirten Schlägen des ganzen<lb/>
Orchesters begleitet, der Alt bildet ein Gegenthema, der Baß nimmt das erste<lb/>
wieder auf, und der Tenor bildet wieder ein Gegenthema zu letzterem, dazwischen<lb/>
das bewegte Orchester, das alles gibt eine musikalische Situation, die auch<lb/>
nur Händel da heraus fühlen und schaffen konnte.  Als Gegensatz zu diesem<lb/>
letzten Kampfe führt in dem nächsten friedlichen Chöre, der eher den Charakter<lb/>
eines Pastorale hat, der Herr fein Volk fort wie die Schafe mit Silber und<lb/>
Gold beladen; aber wenn darnach die Aegypter in Dmoll sich freuen, daß die<lb/>
Israeliten sie verlassen haben, so fühlt man gar zu bald heraus, daß ihre<lb/>
Freude keine ungetrübte ist, und daß sie im Grunde doch ein recht schlechtes<lb/>
Gewissen haben müssen.  Dann folgt ein achtstimmiges Stückchen Chor in<lb/>
Ldur von nur acht Takten, gefolgt von einem gewaltigen Doppelchöre, worin<lb/>
der Herr sein Volk durch die trocknen Tiefen des Schilsmeeres führt. Dieser<lb/>
schwierige Chor mit seiner immerwährenden Sechzehntheildewegung, wo immer<lb/>
eine Stimme die andere abhebt in kleinen Motiven, wurde mit ungewöhnlicher<lb/>
Festigkeit und Präcision gesungen.  Die schreienden Pickelfloten in dem<lb/>
nächsten Chöre, wo die wogenden und fluthenden Bässe den Pharao und sein<lb/>
Heer verschlingen, waren vielleicht eine Hinzusetzung des Herrn Costa und<lb/>
klangen im Händel fremd. Der erste Theil schließt darnach mit einem Chor im<lb/>
Styl der alten Italiener.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1242" next="#ID_1243"> Den zweiten Theil eröffnet der Lobgesang des Moses und der Israeliten<lb/>
wieder einer jener unbeschreiblichen Chöre, die göttlichen Ursprungs zu sein<lb/>
scheinen.  Das folgende Duett I.via is   sti'entz'dir" wurde von den<lb/>
Damen Titicns und Nudersdorf gesungen und leider gänzlich verdorben. Die<lb/>
kleinen zehntattigen Doppelchöre hin und wieder sind einzig; an Feinheit,<lb/>
contrapuntlischcm Detail und Innerlichkeit kommen sie den kleinen abgerissenen<lb/>
Chören in Bachs Passion nicht gleich, aber an dramatischer Gewalt und Be-<lb/>
stimmtheit des Ausdrucks übertreffen sie jene, so z. B. das hier folgende ,M<lb/>
(ivä", welches hinüberlcitet zudem &#x201E;I AÜ1 ex-ne Kien", das in der Weise<lb/>
der alten Niederländer componirt ist. Das diesem Chöre folgende kräftige<lb/>
Duett für zwei Bässe wurde von den Herren Bettelei und Weiß mit großer<lb/>
Bestimmtheit und Kraft wiedergegeben. Der nächste kleine Doppclchor, wo<lb/>
die Tiefe die Aegypter bedeckt, und sie zu Grunde fallen wie die Steine, ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] Feuer und Hagel auf dem Boden entlanglaufen und alles vernichten. Mit wel¬ cher dramatischen Lebendigkeit ist das alles geschildert und gezeichnet, und wie hält sich bei all der Malerei die Musik in ihren Grenzen, mit welch geringem Aufwande von orchestralen Mitteln wird das alles erreicht! Dann wird die Finsterniß, die man fühlen kann, geschildert, wieder von einem Chöre, in dem die einzelnen Stimmen wie mit verbundenen Augen umhertappen. In einem nächsten Chor wird dann alle Erstgeburt der Aegypter vernichtet; der Sopran beginnt mit einem kräftigen Thema, von den markirten Schlägen des ganzen Orchesters begleitet, der Alt bildet ein Gegenthema, der Baß nimmt das erste wieder auf, und der Tenor bildet wieder ein Gegenthema zu letzterem, dazwischen das bewegte Orchester, das alles gibt eine musikalische Situation, die auch nur Händel da heraus fühlen und schaffen konnte. Als Gegensatz zu diesem letzten Kampfe führt in dem nächsten friedlichen Chöre, der eher den Charakter eines Pastorale hat, der Herr fein Volk fort wie die Schafe mit Silber und Gold beladen; aber wenn darnach die Aegypter in Dmoll sich freuen, daß die Israeliten sie verlassen haben, so fühlt man gar zu bald heraus, daß ihre Freude keine ungetrübte ist, und daß sie im Grunde doch ein recht schlechtes Gewissen haben müssen. Dann folgt ein achtstimmiges Stückchen Chor in Ldur von nur acht Takten, gefolgt von einem gewaltigen Doppelchöre, worin der Herr sein Volk durch die trocknen Tiefen des Schilsmeeres führt. Dieser schwierige Chor mit seiner immerwährenden Sechzehntheildewegung, wo immer eine Stimme die andere abhebt in kleinen Motiven, wurde mit ungewöhnlicher Festigkeit und Präcision gesungen. Die schreienden Pickelfloten in dem nächsten Chöre, wo die wogenden und fluthenden Bässe den Pharao und sein Heer verschlingen, waren vielleicht eine Hinzusetzung des Herrn Costa und klangen im Händel fremd. Der erste Theil schließt darnach mit einem Chor im Styl der alten Italiener. Den zweiten Theil eröffnet der Lobgesang des Moses und der Israeliten wieder einer jener unbeschreiblichen Chöre, die göttlichen Ursprungs zu sein scheinen. Das folgende Duett I.via is sti'entz'dir" wurde von den Damen Titicns und Nudersdorf gesungen und leider gänzlich verdorben. Die kleinen zehntattigen Doppelchöre hin und wieder sind einzig; an Feinheit, contrapuntlischcm Detail und Innerlichkeit kommen sie den kleinen abgerissenen Chören in Bachs Passion nicht gleich, aber an dramatischer Gewalt und Be- stimmtheit des Ausdrucks übertreffen sie jene, so z. B. das hier folgende ,M (ivä", welches hinüberlcitet zudem „I AÜ1 ex-ne Kien", das in der Weise der alten Niederländer componirt ist. Das diesem Chöre folgende kräftige Duett für zwei Bässe wurde von den Herren Bettelei und Weiß mit großer Bestimmtheit und Kraft wiedergegeben. Der nächste kleine Doppclchor, wo die Tiefe die Aegypter bedeckt, und sie zu Grunde fallen wie die Steine, ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/302>, abgerufen am 07.02.2025.