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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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vor mehr als sechszehn Jahren durch seinen Proceß verloren hatte. Friedrich
Wilhelm der Vierte endlich verhieß ihm im Jahre 1842 in einer hochherzigen
Stimmung durch Cabinetsordre eine Stellung, welche ihn, wie die königlichen
Worte lauten, "für eine trübe Vergangenheit entschädigen sollte". Aber auch
dieser königlichen Zusage folgte eine Enttäuschung, auch sie ging nur zur Hälfte
in Erfüllung. In seiner Stellung zum Staate sollten ihm Erfolge und Glück
fehlen.

Durch schwere Prüfungen und bittre Schmerzen gereift, war er nach
Deutschland zurückgekehrt, wieder voll Freude, Hoffnung, Vertrauen, seht ein
bewährter, sestgedrungcncr Mann von fcstgcschlvssener Kraft. Aber die kleinliche,
Abneigung, welche er hier wieder bei einzelnen Vorgesetzten sand. Zurücksetzungen
und Demüthigungen sollte wieder Jahre lang an seiner Seele nagen. Niemand
weiß es als seine nächsten Freunde, wie tief und leidenschaftlich er sie empfunden,
wie sehr sie ihn verdüstert haben. Selbst das Glück des Familienlebens, das
sich der fünfzigjährige Mann endlich zu gönnen wagte, vermochte die Schwer-
muth nicht zu bannen, welche sich zuweilen wochenlang um sein Haupt legte.
Nicht die Pflichten seines Amtes, nicht das fröhliche Lachen seiner Kinder ver¬
mochten ihm über das Gefühl wegzuhelfen, daß er in den Kämpfen seines
Lebens ohne Ende durch Verächtliches und Gemeines eingeengt wurde. Wenn
einer Seele, so war der seinen eine große Thätigkeit, erhebende Ideen, ein fri¬
sches politisches Leben Bedürfniß. Und diese höchsten Güter eines Mannes
mußte er entbehren.

Noch einmal im Jahre 1848 nahm er öffentlichen Antheil an der Politik.
Er war dem neuen Geschlecht, welches sich jetzt aufgeregt tummelte, fremd ge¬
worden, er, der freisinnige unabhängige Charakter war für die radicale Strö¬
mung jener Tage in seinem Wahlkreis zu monarchisch gesinnt. Das Ministe¬
rium der Nationalversammlung zu Frankfurt aber übertrug ihm das Amt eines
Reichscommifsärs für Thüringen, dort die revolutionäre Bewegung zu bändigen.
Eine willkommene und freudige Aufgabe für den Tapfern; wie groß die An¬
strengungen waren, die er sich zumuthete, seine Kraft schien in jenen Wochen
verdoppelt, Körper und Seele von Stahl, er schien wieder zum begeisterten
Jüngling geworden.

Da kam das Jahr 1840, eine neue Enttäuschung. Er zog sich still in
sein Amt und seine Familie zurück.

Noch ein freundliches Licht fiel auf sein letztes Lebensjahr, der Antritt der
Regentschaft König Wilhelms, und die Hoffnungen, welche sich daran knüpften.

Am 14. Juni 1861 starb er. Er hatte den Wunsch ausgesprochen,
daß die Turner von Greifswald seinen Sarg tragen möchten. Die Söhne
seines alten Gefährten und Leidensgenossen Jahr haben ihre Lieder an seinem
Grabe gesungen. Wir aber gedenken mit Rührung einer starken Manneskraft,


vor mehr als sechszehn Jahren durch seinen Proceß verloren hatte. Friedrich
Wilhelm der Vierte endlich verhieß ihm im Jahre 1842 in einer hochherzigen
Stimmung durch Cabinetsordre eine Stellung, welche ihn, wie die königlichen
Worte lauten, „für eine trübe Vergangenheit entschädigen sollte". Aber auch
dieser königlichen Zusage folgte eine Enttäuschung, auch sie ging nur zur Hälfte
in Erfüllung. In seiner Stellung zum Staate sollten ihm Erfolge und Glück
fehlen.

Durch schwere Prüfungen und bittre Schmerzen gereift, war er nach
Deutschland zurückgekehrt, wieder voll Freude, Hoffnung, Vertrauen, seht ein
bewährter, sestgedrungcncr Mann von fcstgcschlvssener Kraft. Aber die kleinliche,
Abneigung, welche er hier wieder bei einzelnen Vorgesetzten sand. Zurücksetzungen
und Demüthigungen sollte wieder Jahre lang an seiner Seele nagen. Niemand
weiß es als seine nächsten Freunde, wie tief und leidenschaftlich er sie empfunden,
wie sehr sie ihn verdüstert haben. Selbst das Glück des Familienlebens, das
sich der fünfzigjährige Mann endlich zu gönnen wagte, vermochte die Schwer-
muth nicht zu bannen, welche sich zuweilen wochenlang um sein Haupt legte.
Nicht die Pflichten seines Amtes, nicht das fröhliche Lachen seiner Kinder ver¬
mochten ihm über das Gefühl wegzuhelfen, daß er in den Kämpfen seines
Lebens ohne Ende durch Verächtliches und Gemeines eingeengt wurde. Wenn
einer Seele, so war der seinen eine große Thätigkeit, erhebende Ideen, ein fri¬
sches politisches Leben Bedürfniß. Und diese höchsten Güter eines Mannes
mußte er entbehren.

Noch einmal im Jahre 1848 nahm er öffentlichen Antheil an der Politik.
Er war dem neuen Geschlecht, welches sich jetzt aufgeregt tummelte, fremd ge¬
worden, er, der freisinnige unabhängige Charakter war für die radicale Strö¬
mung jener Tage in seinem Wahlkreis zu monarchisch gesinnt. Das Ministe¬
rium der Nationalversammlung zu Frankfurt aber übertrug ihm das Amt eines
Reichscommifsärs für Thüringen, dort die revolutionäre Bewegung zu bändigen.
Eine willkommene und freudige Aufgabe für den Tapfern; wie groß die An¬
strengungen waren, die er sich zumuthete, seine Kraft schien in jenen Wochen
verdoppelt, Körper und Seele von Stahl, er schien wieder zum begeisterten
Jüngling geworden.

Da kam das Jahr 1840, eine neue Enttäuschung. Er zog sich still in
sein Amt und seine Familie zurück.

Noch ein freundliches Licht fiel auf sein letztes Lebensjahr, der Antritt der
Regentschaft König Wilhelms, und die Hoffnungen, welche sich daran knüpften.

Am 14. Juni 1861 starb er. Er hatte den Wunsch ausgesprochen,
daß die Turner von Greifswald seinen Sarg tragen möchten. Die Söhne
seines alten Gefährten und Leidensgenossen Jahr haben ihre Lieder an seinem
Grabe gesungen. Wir aber gedenken mit Rührung einer starken Manneskraft,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/280>, abgerufen am 05.02.2025.