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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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anlegen. Wiewohl ich nie übers Meer gefahren war, so konnte ich doch be¬
rechnen, daß wir nicht der schwedischen Küste so nahe sein konnten, ich erinnerte
mich, in meinen Knabenjahren aus Erzählungen gehört zu habe'.?, daß man
die hohen wüsten Ufer der dänischen Inseln Mön von Jasmund und Wittow
auf der Insel Rügen bei klarem Wetter sehe" könne; ich schloß daher, daß die
weißen Ufer, die vor uns lagen, jener Insel angehörten, und theilte dem Alten
meine Vermuthungen mit. Dieser aber bestand auf seinem Sinn, so daß ich
selbst mich endlich der Leitung des Steuerruders annehmen mußte. Ich steuerte
so glücklich, daß wir am andern Morgen das Land meiner Sehnsucht vor uns sahen.
Indeß wehete der Südwestwind so heftig, daß das Boot >n Gefahr war, an
den großen Steinen, die längs der Küste zerstreut liegen, zu zerschellen. Wir
trieben also in nordöstlicher Richtung an der Küste hinauf, als wir Fischer er¬
blickten, die mit dem Auswerfen von Netzen beschäftigt waren. Sie gelangten
mit Mühe zu uns; nahmen mich in ihren kleinen Nachen auf. -- In zehn
Minuten war ich gerettet.


Ludwig von Mühlenfels.

Der Flüchtling wurde in Schweben gastlich aufgenommen, er fand dort
Geschwister, angesehene Verwandte und Freunde, der König selbst bewies ihm
Wohlwollen und Rücksicht. Bald suchte er in der Fremde eure Thätigkeit, er
wurde Erzieher in einer begüterten Familie. Aber er wurde in Schweden nicht
heimisch, immer heißer wurde die Sehnsucht nach Deutschland, unmer bitterer
wurde seinem stolzen Herzen die Empfindung, ein Landflüchtiger zu sein. An¬
gestrengt arbeitete er an seiner eigenen Bildung, sein Lieblingsstudium wurde
die Literatur der germanischen Völker, zumal Deutschlands. Nach sechsjährigem
Aufenthalt in Schweden wurde er Professor der deutschen und nordischen Lite¬
ratur an der neuerrichteten Universität zu London, warm von Niebuhr,
Schleiermacher, A. W. Schlegel, Arndt, Görres und Welcker empfohlen. Aber
auch in England bei glücklichem Berufsleben, der günstigsten Aufnahme
blieb seine frühere He'imath Preußen Ziel seiner heißen Sehnsucht, die sich bis
zur Schwermuth steigerte. Als n endlich im September 1830 durch oberlandes¬
gerichtliches Erkenntniß völlig frei gesprochen war, wandte er sich an den König
mit der Bitte, wieder in den preußischen Staatsdienst zurückkehren zu dücsen.
Ein günstiger königlicher Bescheid erkannte sein früheres Amtsverhältniß an und
wies den Justizminister an, ihn im Staatsdienst wieder anzustellen. Eilig nahm
er seine Entlassung in London und kehrte in die Heimath zurück.

Aber länger als fünf Jahre wußte der Justizminister von Kamptz dem
Ausspruch, welchen dre Gerechtigkeit des Königs gethan hatte, sein Zögern
entgegenzusetzen. Erst im Jahre 1836 wurde dem Heimgekehrten eine An¬
stellung gewährt, welche in Rang und Einnahme derjenigen entsprach, die er


anlegen. Wiewohl ich nie übers Meer gefahren war, so konnte ich doch be¬
rechnen, daß wir nicht der schwedischen Küste so nahe sein konnten, ich erinnerte
mich, in meinen Knabenjahren aus Erzählungen gehört zu habe'.?, daß man
die hohen wüsten Ufer der dänischen Inseln Mön von Jasmund und Wittow
auf der Insel Rügen bei klarem Wetter sehe» könne; ich schloß daher, daß die
weißen Ufer, die vor uns lagen, jener Insel angehörten, und theilte dem Alten
meine Vermuthungen mit. Dieser aber bestand auf seinem Sinn, so daß ich
selbst mich endlich der Leitung des Steuerruders annehmen mußte. Ich steuerte
so glücklich, daß wir am andern Morgen das Land meiner Sehnsucht vor uns sahen.
Indeß wehete der Südwestwind so heftig, daß das Boot >n Gefahr war, an
den großen Steinen, die längs der Küste zerstreut liegen, zu zerschellen. Wir
trieben also in nordöstlicher Richtung an der Küste hinauf, als wir Fischer er¬
blickten, die mit dem Auswerfen von Netzen beschäftigt waren. Sie gelangten
mit Mühe zu uns; nahmen mich in ihren kleinen Nachen auf. — In zehn
Minuten war ich gerettet.


Ludwig von Mühlenfels.

Der Flüchtling wurde in Schweben gastlich aufgenommen, er fand dort
Geschwister, angesehene Verwandte und Freunde, der König selbst bewies ihm
Wohlwollen und Rücksicht. Bald suchte er in der Fremde eure Thätigkeit, er
wurde Erzieher in einer begüterten Familie. Aber er wurde in Schweden nicht
heimisch, immer heißer wurde die Sehnsucht nach Deutschland, unmer bitterer
wurde seinem stolzen Herzen die Empfindung, ein Landflüchtiger zu sein. An¬
gestrengt arbeitete er an seiner eigenen Bildung, sein Lieblingsstudium wurde
die Literatur der germanischen Völker, zumal Deutschlands. Nach sechsjährigem
Aufenthalt in Schweden wurde er Professor der deutschen und nordischen Lite¬
ratur an der neuerrichteten Universität zu London, warm von Niebuhr,
Schleiermacher, A. W. Schlegel, Arndt, Görres und Welcker empfohlen. Aber
auch in England bei glücklichem Berufsleben, der günstigsten Aufnahme
blieb seine frühere He'imath Preußen Ziel seiner heißen Sehnsucht, die sich bis
zur Schwermuth steigerte. Als n endlich im September 1830 durch oberlandes¬
gerichtliches Erkenntniß völlig frei gesprochen war, wandte er sich an den König
mit der Bitte, wieder in den preußischen Staatsdienst zurückkehren zu dücsen.
Ein günstiger königlicher Bescheid erkannte sein früheres Amtsverhältniß an und
wies den Justizminister an, ihn im Staatsdienst wieder anzustellen. Eilig nahm
er seine Entlassung in London und kehrte in die Heimath zurück.

Aber länger als fünf Jahre wußte der Justizminister von Kamptz dem
Ausspruch, welchen dre Gerechtigkeit des Königs gethan hatte, sein Zögern
entgegenzusetzen. Erst im Jahre 1836 wurde dem Heimgekehrten eine An¬
stellung gewährt, welche in Rang und Einnahme derjenigen entsprach, die er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/279>, abgerufen am 05.02.2025.