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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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dem Besten aus der Zeit unserer Väter ein sehr eigenthümliches Gepräge gaben:
ein ernsthaftes sittenstrenges Wesen, eine Virtuosität sich selbst zu beobachten
und die Empfindungen des Herzens, Leidenschaft und Wollen prüfend zu con-
troliren, ein frischer Enthusiasmus und hochsinnige Opferfrcudigfeit, dabei ein
Zug von weichem Gefühl, ja von Schwärmerei. Was aber die Persönlichkeit
dieses Mannes vor Andern auszeichnete, das War die starke Lebenskraft, welche
ihm große Anstrengungen und Entsagungen möglich machte und die Beharrlich¬
keit, womit er seinen Willen durchzusetzen wußte. Bei seiner tüchtigen juristi¬
schen Bildung, günstiger äußerer Stellung und so rühmlich bewährter Energie
war, so sollte man meinen, Ludwig von Mühlenfels dazu berufen, in dem
wiederhergestellten preußischen Staate, dem Vaterlande seiner freien Wahl, eine
hervorragende Bedeutung zu erlangen. Sehr nahe liegt die Betrachtung,
welche Bedeutung ein Charakter von so großartiger Anlage für den Staat hätte
gewinnen tonnen. Aber sein Schicksal nach dem Frieden wurde ein langer,
hcrzfresscnder, aufreibender Kampf gegen die schwache Gewöhnlichkeit, welche
dem hohen Aufschwünge Preußens in den Befreiungskriegen folgte. Und sein
Geschick ist sehr charakteristisch für die Schicksale und Wandlungen der Preußen
von 1815 bis 1848.

Die Regierung Friedrich Wilhelm des Dritten war bei allem Löblichen,
was sie zu schaffen und zu bewahren suchte, doch zu wenig geeignet, große Cha¬
raktere, eine kühne Politik in der Regierung des Staates zu ertragen. Immer
enger und kleiner wurde der Gesichtskreis, in welchem sich die höchste Staats¬
leitung beschränkte. Nur wenige von den Führern der großen Zeit bewahrten
sich das Vertrauen des Königs; je sicherer er sich selbst fühlte, desto mehr war
er geneigt, die gefügige Mittelmäßigkeit mit sich zu verbinden. Es war ihm
vor dem Jahr 1806 nicht geglückt, für Preußen eine selbständige Politik durch¬
zuführen. Schwanken, Halbheit, Kleinlichkeit hatten den Staat bis an den Rand
des Verderbens gebracht, bald nach 1815 wurde Preußen ein stiller unbedeu¬
tender Staat, dessen Politik in Wien und Petersburg dirigirt wurde. Die
großen Reformen im Innern kamen in Stocken, der billige und maßvolle Sinn
des Königs vermochte doch nicht das Eindringen von Polizciwilllür und einer
rohen Cabinetsjustiz zu hindern, und die gewissenhaften Bemühungen des Königs,
das materielle Gedeihen seiner Preußen zu fördern und als sparsamer Haus¬
vater die Finanzen des verarmten Staates in Ordnung zu halten, erwiesen sich
als gänzlich unzureichend, dem Volke das frohe Gefühl der Kraft und Gesund¬
heit zu verleihen. Eine gewisse Verkümmerung kam auch in das Volk. Im
ersten Jahrzehnt nach den Freiheitskriegen zürnten und kämpften die Stärkeren
gegen den schwächlichen Mechanismus, der von Oben begünstigt wurde, sie
wurden durch Gewalt und Ermattung allmälig zum Schweigen gebracht; das
jüngere Geschlecht, welches heranwuchs, lebte gefügiger und bequemer, jeder zog


Grenzboten III. 1862. 32

dem Besten aus der Zeit unserer Väter ein sehr eigenthümliches Gepräge gaben:
ein ernsthaftes sittenstrenges Wesen, eine Virtuosität sich selbst zu beobachten
und die Empfindungen des Herzens, Leidenschaft und Wollen prüfend zu con-
troliren, ein frischer Enthusiasmus und hochsinnige Opferfrcudigfeit, dabei ein
Zug von weichem Gefühl, ja von Schwärmerei. Was aber die Persönlichkeit
dieses Mannes vor Andern auszeichnete, das War die starke Lebenskraft, welche
ihm große Anstrengungen und Entsagungen möglich machte und die Beharrlich¬
keit, womit er seinen Willen durchzusetzen wußte. Bei seiner tüchtigen juristi¬
schen Bildung, günstiger äußerer Stellung und so rühmlich bewährter Energie
war, so sollte man meinen, Ludwig von Mühlenfels dazu berufen, in dem
wiederhergestellten preußischen Staate, dem Vaterlande seiner freien Wahl, eine
hervorragende Bedeutung zu erlangen. Sehr nahe liegt die Betrachtung,
welche Bedeutung ein Charakter von so großartiger Anlage für den Staat hätte
gewinnen tonnen. Aber sein Schicksal nach dem Frieden wurde ein langer,
hcrzfresscnder, aufreibender Kampf gegen die schwache Gewöhnlichkeit, welche
dem hohen Aufschwünge Preußens in den Befreiungskriegen folgte. Und sein
Geschick ist sehr charakteristisch für die Schicksale und Wandlungen der Preußen
von 1815 bis 1848.

Die Regierung Friedrich Wilhelm des Dritten war bei allem Löblichen,
was sie zu schaffen und zu bewahren suchte, doch zu wenig geeignet, große Cha¬
raktere, eine kühne Politik in der Regierung des Staates zu ertragen. Immer
enger und kleiner wurde der Gesichtskreis, in welchem sich die höchste Staats¬
leitung beschränkte. Nur wenige von den Führern der großen Zeit bewahrten
sich das Vertrauen des Königs; je sicherer er sich selbst fühlte, desto mehr war
er geneigt, die gefügige Mittelmäßigkeit mit sich zu verbinden. Es war ihm
vor dem Jahr 1806 nicht geglückt, für Preußen eine selbständige Politik durch¬
zuführen. Schwanken, Halbheit, Kleinlichkeit hatten den Staat bis an den Rand
des Verderbens gebracht, bald nach 1815 wurde Preußen ein stiller unbedeu¬
tender Staat, dessen Politik in Wien und Petersburg dirigirt wurde. Die
großen Reformen im Innern kamen in Stocken, der billige und maßvolle Sinn
des Königs vermochte doch nicht das Eindringen von Polizciwilllür und einer
rohen Cabinetsjustiz zu hindern, und die gewissenhaften Bemühungen des Königs,
das materielle Gedeihen seiner Preußen zu fördern und als sparsamer Haus¬
vater die Finanzen des verarmten Staates in Ordnung zu halten, erwiesen sich
als gänzlich unzureichend, dem Volke das frohe Gefühl der Kraft und Gesund¬
heit zu verleihen. Eine gewisse Verkümmerung kam auch in das Volk. Im
ersten Jahrzehnt nach den Freiheitskriegen zürnten und kämpften die Stärkeren
gegen den schwächlichen Mechanismus, der von Oben begünstigt wurde, sie
wurden durch Gewalt und Ermattung allmälig zum Schweigen gebracht; das
jüngere Geschlecht, welches heranwuchs, lebte gefügiger und bequemer, jeder zog


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[0257] dem Besten aus der Zeit unserer Väter ein sehr eigenthümliches Gepräge gaben: ein ernsthaftes sittenstrenges Wesen, eine Virtuosität sich selbst zu beobachten und die Empfindungen des Herzens, Leidenschaft und Wollen prüfend zu con- troliren, ein frischer Enthusiasmus und hochsinnige Opferfrcudigfeit, dabei ein Zug von weichem Gefühl, ja von Schwärmerei. Was aber die Persönlichkeit dieses Mannes vor Andern auszeichnete, das War die starke Lebenskraft, welche ihm große Anstrengungen und Entsagungen möglich machte und die Beharrlich¬ keit, womit er seinen Willen durchzusetzen wußte. Bei seiner tüchtigen juristi¬ schen Bildung, günstiger äußerer Stellung und so rühmlich bewährter Energie war, so sollte man meinen, Ludwig von Mühlenfels dazu berufen, in dem wiederhergestellten preußischen Staate, dem Vaterlande seiner freien Wahl, eine hervorragende Bedeutung zu erlangen. Sehr nahe liegt die Betrachtung, welche Bedeutung ein Charakter von so großartiger Anlage für den Staat hätte gewinnen tonnen. Aber sein Schicksal nach dem Frieden wurde ein langer, hcrzfresscnder, aufreibender Kampf gegen die schwache Gewöhnlichkeit, welche dem hohen Aufschwünge Preußens in den Befreiungskriegen folgte. Und sein Geschick ist sehr charakteristisch für die Schicksale und Wandlungen der Preußen von 1815 bis 1848. Die Regierung Friedrich Wilhelm des Dritten war bei allem Löblichen, was sie zu schaffen und zu bewahren suchte, doch zu wenig geeignet, große Cha¬ raktere, eine kühne Politik in der Regierung des Staates zu ertragen. Immer enger und kleiner wurde der Gesichtskreis, in welchem sich die höchste Staats¬ leitung beschränkte. Nur wenige von den Führern der großen Zeit bewahrten sich das Vertrauen des Königs; je sicherer er sich selbst fühlte, desto mehr war er geneigt, die gefügige Mittelmäßigkeit mit sich zu verbinden. Es war ihm vor dem Jahr 1806 nicht geglückt, für Preußen eine selbständige Politik durch¬ zuführen. Schwanken, Halbheit, Kleinlichkeit hatten den Staat bis an den Rand des Verderbens gebracht, bald nach 1815 wurde Preußen ein stiller unbedeu¬ tender Staat, dessen Politik in Wien und Petersburg dirigirt wurde. Die großen Reformen im Innern kamen in Stocken, der billige und maßvolle Sinn des Königs vermochte doch nicht das Eindringen von Polizciwilllür und einer rohen Cabinetsjustiz zu hindern, und die gewissenhaften Bemühungen des Königs, das materielle Gedeihen seiner Preußen zu fördern und als sparsamer Haus¬ vater die Finanzen des verarmten Staates in Ordnung zu halten, erwiesen sich als gänzlich unzureichend, dem Volke das frohe Gefühl der Kraft und Gesund¬ heit zu verleihen. Eine gewisse Verkümmerung kam auch in das Volk. Im ersten Jahrzehnt nach den Freiheitskriegen zürnten und kämpften die Stärkeren gegen den schwächlichen Mechanismus, der von Oben begünstigt wurde, sie wurden durch Gewalt und Ermattung allmälig zum Schweigen gebracht; das jüngere Geschlecht, welches heranwuchs, lebte gefügiger und bequemer, jeder zog Grenzboten III. 1862. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/257>, abgerufen am 01.10.2024.