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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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einen^Zustand beklagenswerther Niedrigkeit versenkt bleiben. Aber noch mehr:
bei einem Volk, das nicht auf seine Nationalität stolz sein kann, wird auch
das Gefühl der persönlichen Würde nur bei einigen privilegirten Individuen
existiren. Die zahlreichen Classen, welche die untersten Reihen der Gesellschaft
einnehmen, bedürfen das Gefühl der nationalen Größe, um das Bewußtsein
ihrer eigenen Würde zu erlangen. Dieses Bewußtsein aber ist es nun eben, welches,
für die Völker wie für die Individuen ein wesentliches Element der Sittlich¬
keit bildet.

Wenn wir also mit solcher Gluth die Befreiung Italiens ersehnen, wenn
wir erklären, daß vor dieser großen Frage alle Fragen, die uns trennen könnten,
verschwinden, alle besonderen Interessen schweigen müssen, so geschieht dies nicht
blos, um unser Baterland ruhmreich und mächtig zu sehen, sondern vornehm¬
lich, damit es sich auf der Stufe der Intelligenz und der moralischen Entwicke¬
lung zum Rang der civilisirtesten Nationen emporheben kann.

Abgesehen von einer europäischen Umwälzung, deren vcrhängmßvolle Con-
sequenzen geeignet sind auch die Kühnsten zurückzuschrecken, die aber gottlob
mit jedem Tag unwahrscheinlicher wird, scheint es uns einleuchtend, daß das
kostbare Gut der Eroberung unsrer Nationalität nur erworben werden kann
durch die vereinigte Action sämmtlicher lebendiger Kräfte des Landes, d. h.
durch die einheimischen Fürsten unterstützt von allen Parteien. Dle Geschichte
der letzten Ill Jahre, sowie die Analyse der Elemente, welche die italienische
Gesellschaft bilden, zeigt unwidersprechlich, wie geringe Bedeutung militärische
oder demokratische Revolutionen unter uns haben können. Auf diese unwirk¬
samen und verbrauchten Mittel also verzichtend, müssen die wahren Patrioten
erkennen, daß sie zum wahren Besten des Vaterlandes nicht beitragen können,
wenn sie sich nicht um die Throne schaaren. welche tiefe Wurzeln im nationalen
Boden haben, wenn sie nicht die italienischen Regierungen auf dem begonnenen
Wege des Fortschritts ohne Ungeduld unterstützen. Diese Haltung, wenn sie
den weisen Rathschlägen entspricht, welche ihnen ein Mann von unbezweifelter
Vaterlandsliebe und Einsicht. Cäsar Balbo. in seinem bemerkenswerthen Buche
"Die Hoffnungen Italiens" ertheilt, wird die Einigung zwischen den verschiedenen
Gliedern der italienischen Familie herbeiführen, welche so nothwendig ist, damit
das Land in den Stand gesetzt werde, zum Zweck der Befreiung von aller
Fremdherrschaft die günstigen politischen Umstände zu benutzen, welche die Zu¬
kunft herbeiführen mag.

Diese Einigung, wie wir sie von ganzem Herzen herbeiwünschen, ist nicht
so schwer zu erreichen, wie man denken könnte, wenn man nach dem äußeren
Anschein urtheilt oder sich von der Erinnerung an unsere traurigen Spaltungen
einnehmen läßt. Das Nationalitätsgefühl ist allgemein geworden, mit jedem
Tage wächst es, und schon ist es stark genug, um trotz der trennenden Unter-


einen^Zustand beklagenswerther Niedrigkeit versenkt bleiben. Aber noch mehr:
bei einem Volk, das nicht auf seine Nationalität stolz sein kann, wird auch
das Gefühl der persönlichen Würde nur bei einigen privilegirten Individuen
existiren. Die zahlreichen Classen, welche die untersten Reihen der Gesellschaft
einnehmen, bedürfen das Gefühl der nationalen Größe, um das Bewußtsein
ihrer eigenen Würde zu erlangen. Dieses Bewußtsein aber ist es nun eben, welches,
für die Völker wie für die Individuen ein wesentliches Element der Sittlich¬
keit bildet.

Wenn wir also mit solcher Gluth die Befreiung Italiens ersehnen, wenn
wir erklären, daß vor dieser großen Frage alle Fragen, die uns trennen könnten,
verschwinden, alle besonderen Interessen schweigen müssen, so geschieht dies nicht
blos, um unser Baterland ruhmreich und mächtig zu sehen, sondern vornehm¬
lich, damit es sich auf der Stufe der Intelligenz und der moralischen Entwicke¬
lung zum Rang der civilisirtesten Nationen emporheben kann.

Abgesehen von einer europäischen Umwälzung, deren vcrhängmßvolle Con-
sequenzen geeignet sind auch die Kühnsten zurückzuschrecken, die aber gottlob
mit jedem Tag unwahrscheinlicher wird, scheint es uns einleuchtend, daß das
kostbare Gut der Eroberung unsrer Nationalität nur erworben werden kann
durch die vereinigte Action sämmtlicher lebendiger Kräfte des Landes, d. h.
durch die einheimischen Fürsten unterstützt von allen Parteien. Dle Geschichte
der letzten Ill Jahre, sowie die Analyse der Elemente, welche die italienische
Gesellschaft bilden, zeigt unwidersprechlich, wie geringe Bedeutung militärische
oder demokratische Revolutionen unter uns haben können. Auf diese unwirk¬
samen und verbrauchten Mittel also verzichtend, müssen die wahren Patrioten
erkennen, daß sie zum wahren Besten des Vaterlandes nicht beitragen können,
wenn sie sich nicht um die Throne schaaren. welche tiefe Wurzeln im nationalen
Boden haben, wenn sie nicht die italienischen Regierungen auf dem begonnenen
Wege des Fortschritts ohne Ungeduld unterstützen. Diese Haltung, wenn sie
den weisen Rathschlägen entspricht, welche ihnen ein Mann von unbezweifelter
Vaterlandsliebe und Einsicht. Cäsar Balbo. in seinem bemerkenswerthen Buche
„Die Hoffnungen Italiens" ertheilt, wird die Einigung zwischen den verschiedenen
Gliedern der italienischen Familie herbeiführen, welche so nothwendig ist, damit
das Land in den Stand gesetzt werde, zum Zweck der Befreiung von aller
Fremdherrschaft die günstigen politischen Umstände zu benutzen, welche die Zu¬
kunft herbeiführen mag.

Diese Einigung, wie wir sie von ganzem Herzen herbeiwünschen, ist nicht
so schwer zu erreichen, wie man denken könnte, wenn man nach dem äußeren
Anschein urtheilt oder sich von der Erinnerung an unsere traurigen Spaltungen
einnehmen läßt. Das Nationalitätsgefühl ist allgemein geworden, mit jedem
Tage wächst es, und schon ist es stark genug, um trotz der trennenden Unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/242>, abgerufen am 06.02.2025.