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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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berufen, um die nicht gewöhnlichen Hindernisse der Natur zu überwinden, In
kürzester Zeit sollte das Wert in Angriff genommen werden, alles auf eigene
Kosten, ohne eine Schuld zu contrahiren und ohne die Unterthanen höher zu
besteuern! es war ein glänzendes Zeugniß für die piemontesische Finanzver-
waltung. Zu Alessandria. dem wichtigen militärischen Knotenpunkt, sollte dann
eine Linie nach der Hauptstadt abzweigen, während die andere Linie nach Aroma
Mg. zum Anschluß an die Schweiz. Auch die Lukmanierbabn war bereits ein
Project jener Tage. Man suchte nämlich den kürzesten Weg nach Ostende,
und hoffte, wie dies in diesen Tagen wieder der Fall ist. die indische Ueber-
landpost dem östreichischen Gebiet zu entreißen und über Genua zu führen.
Auch eine engere Verbindung mit Preußen, in dessen Verhältnissen man die
eigenen wieder erkannte, ward damals schon in Aussicht genommen. Wurde
doch zu gleicher Zeit der Abschluß eines Handelsvertrags mit dem Zollverein
betrieben.

Oestreich durchschaute natürlich von Anfang an diese Absichten. Mitten
im scheinbaren Frieden begann nun der heimliche und hartnäckige Krieg der
Interessen, und bald gab man sich keine Mühe mehr die Gegensätze zu verdecken.
Von Politik dürfte freilich in den italienischen staatswirthschaftlichen Schriften,
welche diese Frage behandelten, nicht die Rede sein. Man durste sie höchstens
andeuten, indem man das Vcrkehrsinteresse in den Vordergrund rückte, und
aus technischen und finanziellen Gründen den Anschluß der italienischen Bahnen
an das piemontesische System verlangte, wodurch natürlich Sardinien eine ge¬
wisse Hegemonie gesichert, das lombardisch-venetiqnische Königreich dagegen von
der engern Vereinigung ausgeschlossen werden mußte. Etwas weiter wagte sich
die bedeutende Schrift des Grafen Petitti, ,der von der ganzen Wichtigkeit der
Frage durchdrungen war, ein Liniensystem für die gesammte Halbinsel entwarf
(das später an dem durch Oestreich veranlaßten Widerstand Modenas scheiterte),
und zugleich andeutete, daß hinter dem von ihm empfohlenen System als noth¬
wendige Ergänzung ein italienischer Zollverein mit Ausschluß Lombards-Vene-
tiens stehe, durch welchen Piemont auch in dieser Beziehung das Preußen der
Halbinsel werden sollte.

Während nnn die Bevölkerung solche Pläne freudig begrüßte, die eng¬
lische und französische Presse helfend und ermunternd zur Seite stand, die öst¬
reichischen Organe ihrem Aerger freien Lauf ließen, geschah das Unerwartete:
Karl Albert verbot jegliche Discussion über die Eisenbahnen. Schon Graf
Petitti. einer der nächsten Vertrauten des Königs, hatte sein Buch, das mit
größter Mäßigung und gründlichem Ernste abgefaßt war, in Cavolago drucken
lassen müssen. Und so mußten nun alle Abhandlungen über diese Frage,
welche augenblicklich allgemein als die allerwichtigste anerkannt wurde, wie ge¬
mäßigt und rein sachlich sie auch sein mochten, ins Ausland wandern, wenn sie


berufen, um die nicht gewöhnlichen Hindernisse der Natur zu überwinden, In
kürzester Zeit sollte das Wert in Angriff genommen werden, alles auf eigene
Kosten, ohne eine Schuld zu contrahiren und ohne die Unterthanen höher zu
besteuern! es war ein glänzendes Zeugniß für die piemontesische Finanzver-
waltung. Zu Alessandria. dem wichtigen militärischen Knotenpunkt, sollte dann
eine Linie nach der Hauptstadt abzweigen, während die andere Linie nach Aroma
Mg. zum Anschluß an die Schweiz. Auch die Lukmanierbabn war bereits ein
Project jener Tage. Man suchte nämlich den kürzesten Weg nach Ostende,
und hoffte, wie dies in diesen Tagen wieder der Fall ist. die indische Ueber-
landpost dem östreichischen Gebiet zu entreißen und über Genua zu führen.
Auch eine engere Verbindung mit Preußen, in dessen Verhältnissen man die
eigenen wieder erkannte, ward damals schon in Aussicht genommen. Wurde
doch zu gleicher Zeit der Abschluß eines Handelsvertrags mit dem Zollverein
betrieben.

Oestreich durchschaute natürlich von Anfang an diese Absichten. Mitten
im scheinbaren Frieden begann nun der heimliche und hartnäckige Krieg der
Interessen, und bald gab man sich keine Mühe mehr die Gegensätze zu verdecken.
Von Politik dürfte freilich in den italienischen staatswirthschaftlichen Schriften,
welche diese Frage behandelten, nicht die Rede sein. Man durste sie höchstens
andeuten, indem man das Vcrkehrsinteresse in den Vordergrund rückte, und
aus technischen und finanziellen Gründen den Anschluß der italienischen Bahnen
an das piemontesische System verlangte, wodurch natürlich Sardinien eine ge¬
wisse Hegemonie gesichert, das lombardisch-venetiqnische Königreich dagegen von
der engern Vereinigung ausgeschlossen werden mußte. Etwas weiter wagte sich
die bedeutende Schrift des Grafen Petitti, ,der von der ganzen Wichtigkeit der
Frage durchdrungen war, ein Liniensystem für die gesammte Halbinsel entwarf
(das später an dem durch Oestreich veranlaßten Widerstand Modenas scheiterte),
und zugleich andeutete, daß hinter dem von ihm empfohlenen System als noth¬
wendige Ergänzung ein italienischer Zollverein mit Ausschluß Lombards-Vene-
tiens stehe, durch welchen Piemont auch in dieser Beziehung das Preußen der
Halbinsel werden sollte.

Während nnn die Bevölkerung solche Pläne freudig begrüßte, die eng¬
lische und französische Presse helfend und ermunternd zur Seite stand, die öst¬
reichischen Organe ihrem Aerger freien Lauf ließen, geschah das Unerwartete:
Karl Albert verbot jegliche Discussion über die Eisenbahnen. Schon Graf
Petitti. einer der nächsten Vertrauten des Königs, hatte sein Buch, das mit
größter Mäßigung und gründlichem Ernste abgefaßt war, in Cavolago drucken
lassen müssen. Und so mußten nun alle Abhandlungen über diese Frage,
welche augenblicklich allgemein als die allerwichtigste anerkannt wurde, wie ge¬
mäßigt und rein sachlich sie auch sein mochten, ins Ausland wandern, wenn sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/239>, abgerufen am 05.02.2025.