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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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hindern können, und Oestreich ist bei seinen Abstimmungen nicht durch Beden¬
ken und Rücksichten behindert, welche die Regierungen anderer Vereinsstaaten
am Ende doch abhalten müssen, die Dinge auf die Spitze zu treiben. Uebri-
gens ist es Oestreich im Ernste gar nicht darum zu thun, in dem Zollverein
aufzugehen. Dies wissen die Wiener Fabrikanten sehr gut, die vorgeschoben wur¬
den, um als Vertreter der östreichischen Industrie die Opferwilligkeit der
Regierung auch als ihre Gesinnung kund zu geben, 'sonst würden sie diese
patriotische Kundgebung zu theuer gesunden, und statt der Zustimmung einen
Protest erlassen haben. Oestreich denkt ebenso wenig, die Leitung seiner Han¬
delspolitik durch andere Staaten mit bestimmen zu lassen, als es erwarten kann'
daß der Zollverein sich seiner handelspolitischen Führung unterordne, und zunächst
auf jede zeitgemäße und nothwendige Fortbildung seines Tarifs und seiner Ver¬
fassung verzichte. Hätte darüber irgend ein Zweifel bestehen tonnen, so ist er
durch die Depesche des Grafen von Bernstorff an den preußischen Gesandten in
Wien, vom 2v. Juli, und durch die 264 Stimmen des Hauses der Abgeord¬
neten in Berlin für den Handelsvertrag mit Frankreich am 25. Juli gründlich
gehoben. Preußens Minister weist entschieden die Zumuthung zurück, sich ein¬
seitig den Verpflichtungen zu entziehen, welche die Regierung gegen Frankreich,
gegen ihre Zoilverbündeten und gegen das eigene Land übernommen hat, er
erklärt, daß der bestehende Zollvcreinstarif sich überlebt hat und daß Preußen
in keinem Falle über die mit dem 3t. December 1865 ablaufende Vertragspe¬
riode hinaus sich an denselben binden werde.

Wird nun der Schritt Oestreichs die beabsichtigte Wirkung haben, die Re¬
gierung eines Zollvereinstaates zu bestimmen, den Handelsvertrag mit Frank¬
reich abzulehnen? Wenn es geschieht, und ein vereinzeltes "Nein" genügt, so
gibt es für Preußen und für die Vereinsglieder, welche sich ihm in Bezug auf
den Vertrag mit Frankreich angeschlossen haben, nur Einen Weg. Sie werden
den Vertrag unterzeichnen, spätestens im Laufe des Jahres 1863 die Zoll¬
vereinsverträge kündigen und sie nur mit denjenigen Gliedern wieder erneuern,
welche dem Handelsverträge mit Frankreich beitreten, und sich mit ihnen über
etwa weiter für zweckmäßig erachtete Modificationen des Tarifs und der Ver¬
fassung des Zollvereins verständigen. Es ist abzuwarten, ob eine Regierung
oder eine Kammer es auf sich nehmen wird, die Nachtheile, welche die gegen¬
wärtige Baumwollenkrise, das Darniedcrliegen des amerikanischen Geschäfts
durch den Krieg und den neuesten amerikanischen Tarif, der deutschen Industrie
ohnehin schon zufügen, durch die Unsicherheit über den Fortbestand des Zoll¬
vereins zu vervielfachen. Schon erhebt der in Hildesheim versammelte han-
noversche Handelstag, schon erheben die geängstigten Producenten i,n Nassau
und Hessen ihre Stimmen für den Handelsvertrag und den Zollverein. Je
näher die Entscheidung rückt, desto lauter wird die öffentliche Stimme den Frevel


hindern können, und Oestreich ist bei seinen Abstimmungen nicht durch Beden¬
ken und Rücksichten behindert, welche die Regierungen anderer Vereinsstaaten
am Ende doch abhalten müssen, die Dinge auf die Spitze zu treiben. Uebri-
gens ist es Oestreich im Ernste gar nicht darum zu thun, in dem Zollverein
aufzugehen. Dies wissen die Wiener Fabrikanten sehr gut, die vorgeschoben wur¬
den, um als Vertreter der östreichischen Industrie die Opferwilligkeit der
Regierung auch als ihre Gesinnung kund zu geben, 'sonst würden sie diese
patriotische Kundgebung zu theuer gesunden, und statt der Zustimmung einen
Protest erlassen haben. Oestreich denkt ebenso wenig, die Leitung seiner Han¬
delspolitik durch andere Staaten mit bestimmen zu lassen, als es erwarten kann'
daß der Zollverein sich seiner handelspolitischen Führung unterordne, und zunächst
auf jede zeitgemäße und nothwendige Fortbildung seines Tarifs und seiner Ver¬
fassung verzichte. Hätte darüber irgend ein Zweifel bestehen tonnen, so ist er
durch die Depesche des Grafen von Bernstorff an den preußischen Gesandten in
Wien, vom 2v. Juli, und durch die 264 Stimmen des Hauses der Abgeord¬
neten in Berlin für den Handelsvertrag mit Frankreich am 25. Juli gründlich
gehoben. Preußens Minister weist entschieden die Zumuthung zurück, sich ein¬
seitig den Verpflichtungen zu entziehen, welche die Regierung gegen Frankreich,
gegen ihre Zoilverbündeten und gegen das eigene Land übernommen hat, er
erklärt, daß der bestehende Zollvcreinstarif sich überlebt hat und daß Preußen
in keinem Falle über die mit dem 3t. December 1865 ablaufende Vertragspe¬
riode hinaus sich an denselben binden werde.

Wird nun der Schritt Oestreichs die beabsichtigte Wirkung haben, die Re¬
gierung eines Zollvereinstaates zu bestimmen, den Handelsvertrag mit Frank¬
reich abzulehnen? Wenn es geschieht, und ein vereinzeltes „Nein" genügt, so
gibt es für Preußen und für die Vereinsglieder, welche sich ihm in Bezug auf
den Vertrag mit Frankreich angeschlossen haben, nur Einen Weg. Sie werden
den Vertrag unterzeichnen, spätestens im Laufe des Jahres 1863 die Zoll¬
vereinsverträge kündigen und sie nur mit denjenigen Gliedern wieder erneuern,
welche dem Handelsverträge mit Frankreich beitreten, und sich mit ihnen über
etwa weiter für zweckmäßig erachtete Modificationen des Tarifs und der Ver¬
fassung des Zollvereins verständigen. Es ist abzuwarten, ob eine Regierung
oder eine Kammer es auf sich nehmen wird, die Nachtheile, welche die gegen¬
wärtige Baumwollenkrise, das Darniedcrliegen des amerikanischen Geschäfts
durch den Krieg und den neuesten amerikanischen Tarif, der deutschen Industrie
ohnehin schon zufügen, durch die Unsicherheit über den Fortbestand des Zoll¬
vereins zu vervielfachen. Schon erhebt der in Hildesheim versammelte han-
noversche Handelstag, schon erheben die geängstigten Producenten i,n Nassau
und Hessen ihre Stimmen für den Handelsvertrag und den Zollverein. Je
näher die Entscheidung rückt, desto lauter wird die öffentliche Stimme den Frevel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/224>, abgerufen am 25.08.2024.