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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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so. Tritt an die Stelle des Staatenbundes ein Bundesstaat, so geht der Zoll¬
verein in demselben auf. Die Gesetzgebung regelt, die Centralverwaltung leitet
die Handelspolitik, es bedarf dann keiner auf Zeit geschlossenen völkerrechtlichen
Verträge mehr. -- Die Reichsversammlung hätte Eines thun können; sie hatte,
besonders in den ersten Monaten, die Macht, das Gebiet des Zollvereins
auf alle noch nicht veigetretcnen Bundesstaaten, Oestreich und etwa Lichtenstein
ausgenommen, auszudehnen, und schwerlich würde es der Reaction möglich ge¬
wesen sein, die einmal vollzogene Einigung wieder aufzuheben. Sie hat es
nicht gethan, und die Reichsverfassung ist nicht ins Leben getreten; so blieb es
mit dem Zollverein beim Alten. Die Versuche, Tariffragen in die Reichsver¬
sammlung zu bringen, bewiesen, daß dafür die Paulskirche nicht der rechte Ort
war. Dies wird jeder zugeben, der sich der unsinnigen Entwürfe erinnert,
welche einerseits von Schutzzöllnern, anderseits von Freihändlern, vorgeschlagen
wurden. Noch mehr waren davon diejenigen Mitglieder des volkswirtschaft¬
lichen Ausschusses, welche Ruhe und Besinnung sich bewahrten, überzeugt.
Unvergeßlich werden ihnen die Sitzungen sein, in denen Herrmann von München,
Moritz Mohl, Eisenstück, Hildebrand und andere Heissvorne verschiedener
nationalökonomischer Farben zusammenschrien, der unglückliche Vorsitzende von
Rönne vergebens in hohen Tönen zur Ordnung mahnte, die kühleren Nord¬
länder am Ende die Geduld verloren und grob wurden, bis sich alles in Ge¬
schrei und Wohlgefallen auflöste. Wäre die Reichsversammlung auf Erörterung
von Tariffragen eingegangen, sie wäre ohne Zuthun der Regierungen sehr
bald auseinandergefallen.

War der Versuch gescheitert, die erzielte, im Volle festgewurzelte, in ihren
Formen unfertige wirtschaftliche Einigung in der höhern Einheit des Bundes-
staates aufgehen zu lassen, so hatte dagegen eben dieser Versuch die, von den
vorangegangenen Reformbestrebungen leise angeregten Besorgnisse des Particu¬
larismus zu hellen Flammen angefacht. Hinter dem Particularismus erhob
sich Oestreich, welches seine wieder gewonnene Stellung im Bunde nicht mehr
für gesichert hielt, wenn der Dualismus, der das Organ des Bundes lahm
gelegt und Deutschland verhindert hatte, das zu werden, was es nach dem
Wortlaute der Wiener Schlußacte sein sollte, eine "in politischer Einheit ver¬
bundene Gesammtmacht", nicht auch in den Zoll- und Handelsbund hinüber¬
getragen würde, um auch diesen zu Erstarrung und Tod zu verdammen.
Durch den Zollverein ging der mögliche Weg zum Bundesstaate, und an der
Spitze des Zollvereins stand -- Preußen. Hier also war der Feind, den der
Particularismus mit Oestreichs Hülfe zu bekämpfen hatte. Und die' Er¬
kenntniß dieser Gefahr und der Entschluß, sie zu bekämpfen, siel in die
Zeit, Mo Preußen die Union, Kurhessen und Schleswig-Holstein aufge¬
geben hatte und "den sauern Gang" nach Olmütz gegangen war. Und in


so. Tritt an die Stelle des Staatenbundes ein Bundesstaat, so geht der Zoll¬
verein in demselben auf. Die Gesetzgebung regelt, die Centralverwaltung leitet
die Handelspolitik, es bedarf dann keiner auf Zeit geschlossenen völkerrechtlichen
Verträge mehr. — Die Reichsversammlung hätte Eines thun können; sie hatte,
besonders in den ersten Monaten, die Macht, das Gebiet des Zollvereins
auf alle noch nicht veigetretcnen Bundesstaaten, Oestreich und etwa Lichtenstein
ausgenommen, auszudehnen, und schwerlich würde es der Reaction möglich ge¬
wesen sein, die einmal vollzogene Einigung wieder aufzuheben. Sie hat es
nicht gethan, und die Reichsverfassung ist nicht ins Leben getreten; so blieb es
mit dem Zollverein beim Alten. Die Versuche, Tariffragen in die Reichsver¬
sammlung zu bringen, bewiesen, daß dafür die Paulskirche nicht der rechte Ort
war. Dies wird jeder zugeben, der sich der unsinnigen Entwürfe erinnert,
welche einerseits von Schutzzöllnern, anderseits von Freihändlern, vorgeschlagen
wurden. Noch mehr waren davon diejenigen Mitglieder des volkswirtschaft¬
lichen Ausschusses, welche Ruhe und Besinnung sich bewahrten, überzeugt.
Unvergeßlich werden ihnen die Sitzungen sein, in denen Herrmann von München,
Moritz Mohl, Eisenstück, Hildebrand und andere Heissvorne verschiedener
nationalökonomischer Farben zusammenschrien, der unglückliche Vorsitzende von
Rönne vergebens in hohen Tönen zur Ordnung mahnte, die kühleren Nord¬
länder am Ende die Geduld verloren und grob wurden, bis sich alles in Ge¬
schrei und Wohlgefallen auflöste. Wäre die Reichsversammlung auf Erörterung
von Tariffragen eingegangen, sie wäre ohne Zuthun der Regierungen sehr
bald auseinandergefallen.

War der Versuch gescheitert, die erzielte, im Volle festgewurzelte, in ihren
Formen unfertige wirtschaftliche Einigung in der höhern Einheit des Bundes-
staates aufgehen zu lassen, so hatte dagegen eben dieser Versuch die, von den
vorangegangenen Reformbestrebungen leise angeregten Besorgnisse des Particu¬
larismus zu hellen Flammen angefacht. Hinter dem Particularismus erhob
sich Oestreich, welches seine wieder gewonnene Stellung im Bunde nicht mehr
für gesichert hielt, wenn der Dualismus, der das Organ des Bundes lahm
gelegt und Deutschland verhindert hatte, das zu werden, was es nach dem
Wortlaute der Wiener Schlußacte sein sollte, eine „in politischer Einheit ver¬
bundene Gesammtmacht", nicht auch in den Zoll- und Handelsbund hinüber¬
getragen würde, um auch diesen zu Erstarrung und Tod zu verdammen.
Durch den Zollverein ging der mögliche Weg zum Bundesstaate, und an der
Spitze des Zollvereins stand — Preußen. Hier also war der Feind, den der
Particularismus mit Oestreichs Hülfe zu bekämpfen hatte. Und die' Er¬
kenntniß dieser Gefahr und der Entschluß, sie zu bekämpfen, siel in die
Zeit, Mo Preußen die Union, Kurhessen und Schleswig-Holstein aufge¬
geben hatte und „den sauern Gang" nach Olmütz gegangen war. Und in


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[0213] so. Tritt an die Stelle des Staatenbundes ein Bundesstaat, so geht der Zoll¬ verein in demselben auf. Die Gesetzgebung regelt, die Centralverwaltung leitet die Handelspolitik, es bedarf dann keiner auf Zeit geschlossenen völkerrechtlichen Verträge mehr. — Die Reichsversammlung hätte Eines thun können; sie hatte, besonders in den ersten Monaten, die Macht, das Gebiet des Zollvereins auf alle noch nicht veigetretcnen Bundesstaaten, Oestreich und etwa Lichtenstein ausgenommen, auszudehnen, und schwerlich würde es der Reaction möglich ge¬ wesen sein, die einmal vollzogene Einigung wieder aufzuheben. Sie hat es nicht gethan, und die Reichsverfassung ist nicht ins Leben getreten; so blieb es mit dem Zollverein beim Alten. Die Versuche, Tariffragen in die Reichsver¬ sammlung zu bringen, bewiesen, daß dafür die Paulskirche nicht der rechte Ort war. Dies wird jeder zugeben, der sich der unsinnigen Entwürfe erinnert, welche einerseits von Schutzzöllnern, anderseits von Freihändlern, vorgeschlagen wurden. Noch mehr waren davon diejenigen Mitglieder des volkswirtschaft¬ lichen Ausschusses, welche Ruhe und Besinnung sich bewahrten, überzeugt. Unvergeßlich werden ihnen die Sitzungen sein, in denen Herrmann von München, Moritz Mohl, Eisenstück, Hildebrand und andere Heissvorne verschiedener nationalökonomischer Farben zusammenschrien, der unglückliche Vorsitzende von Rönne vergebens in hohen Tönen zur Ordnung mahnte, die kühleren Nord¬ länder am Ende die Geduld verloren und grob wurden, bis sich alles in Ge¬ schrei und Wohlgefallen auflöste. Wäre die Reichsversammlung auf Erörterung von Tariffragen eingegangen, sie wäre ohne Zuthun der Regierungen sehr bald auseinandergefallen. War der Versuch gescheitert, die erzielte, im Volle festgewurzelte, in ihren Formen unfertige wirtschaftliche Einigung in der höhern Einheit des Bundes- staates aufgehen zu lassen, so hatte dagegen eben dieser Versuch die, von den vorangegangenen Reformbestrebungen leise angeregten Besorgnisse des Particu¬ larismus zu hellen Flammen angefacht. Hinter dem Particularismus erhob sich Oestreich, welches seine wieder gewonnene Stellung im Bunde nicht mehr für gesichert hielt, wenn der Dualismus, der das Organ des Bundes lahm gelegt und Deutschland verhindert hatte, das zu werden, was es nach dem Wortlaute der Wiener Schlußacte sein sollte, eine „in politischer Einheit ver¬ bundene Gesammtmacht", nicht auch in den Zoll- und Handelsbund hinüber¬ getragen würde, um auch diesen zu Erstarrung und Tod zu verdammen. Durch den Zollverein ging der mögliche Weg zum Bundesstaate, und an der Spitze des Zollvereins stand — Preußen. Hier also war der Feind, den der Particularismus mit Oestreichs Hülfe zu bekämpfen hatte. Und die' Er¬ kenntniß dieser Gefahr und der Entschluß, sie zu bekämpfen, siel in die Zeit, Mo Preußen die Union, Kurhessen und Schleswig-Holstein aufge¬ geben hatte und „den sauern Gang" nach Olmütz gegangen war. Und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/213>, abgerufen am 25.08.2024.