Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und die Zukunft bestimmende Errungenschaft. Die Thatsache eines großen
deutschen Marktes rief überall, wo die natürlichen Bedingungen vorhanden wa¬
ren. Gewerbsunternehmungen ins Leben, welche Tausenden lohnende Urban ver¬
schafften. Daß der freie Markt und nicht der Schutz gegen fremde Concurrenz
die Industrie förderte, dies erwies sich gar bald, indem deutsche Fabrikanten acht
nur in ihrem eigenen Handelsgcbiete, begünstigt durch die Belastung der frem¬
den. Absatz fanden, sondern sehr bald für die Ausfuhr sich einrichteten und auf
neutralen Märkten unter gleichen, selbst unter ungünstigeren Bedingungen mit
den englischen, französischen, belgischen und schweizerischen Fabrikanten die Mit¬
bewerbung bestanden. Ein Netz von Handelsverbindungen zog sich über die
deutschen Länder, die sich früher kaum dem Namen nach gekannt hatten, jetzt
erst gleichsam einander entdeckten und mit einander verkehrten. Nicht minder
als die Regungen neuer volkswirtschaftlicher Thätigkeit zeigten sich die finan¬
ziellen Ergebnisse, die kühnsten Envartungen der Staatswirthe übertreffend.
Mancher mittlere und kleinere Staat erhielt das Doppelte und Dreifache seiner
früheren Zolleinnabmcn als Antheil an den 'Vereins-Zollrevenuen, und wurde
der Sitz industrieller Unternehmungen, welche den Ertrag seiner directen "ut
indirecten Steuern wesentlich erhöhten. Bald wurde der Verein in der Welt
als handelspolitischer Körper angesehen und schloß Verträge mit benachbarten
wie mit fernliegenden Staaten.

Die erste Vertragsperiode, so zu sagen die Kinderzeit, für die meisten
Glieder eine sechs- bis achtjährige, lief mit dem Jahre 1841 ab. Damals
waltete die Besorgniß ob, der Verein werde nicht fortbestehen können, weil Preu¬
ßen zu viel an seinen Zolleinnahmcn einbüßte. Diesen Besorgnissen trat 183"
der ..alte Kühne" in einer Schrift: "Ueber den deutschen Zollverein" entgegen,
und zwei Jahre später, 1838. war der Antheil Preußens wieder auf den frü-
hern Stand seiner Zollgefälle gelangt. Im Jahre 1340 stellte der "alte
Kühne" die Resultate des Zollvereins während der Jahre 1834 bis 1845 zu¬
sammen. Das Buch brachte damals ^die Bedeutung des Vereins dem Publi-
cum zur klaren Anschauung und ist heute noch lesenswerth für Jeden, dem es
um eine genaue Kenntniß und um ein richtiges Urtheil in der wichtigen Sache
zu thun ist. Der Uebergang in die zweite Periode erfolgte ohne besondere
Schmerzen. -Man war so ziemlich einverstanden, daß der noch zarte und in
seiner ersten Entwickelung befindliche Organismus nicht durch Rütteln an sei¬
nen Grundlagen erschüttert werden dürfe. Preußen verzichtete auf den wohl¬
begründeten Anspruch auf eine Aenderung der Revenuenvertheilung. Dem Be¬
gehren der neuentstandenen Industrie in Mittel- und Süddeutschland nach
höhern Schutzzöllen wurden einige Concessionen gemacht (1844), im Uebrigen
aber die bestehenden Einrichtungen beibehalten, damit das Werk der mühsam
erzielten, äußerlich sehr mangelhaften Einigung innerlich erstarke durch die Ge-
*


26

und die Zukunft bestimmende Errungenschaft. Die Thatsache eines großen
deutschen Marktes rief überall, wo die natürlichen Bedingungen vorhanden wa¬
ren. Gewerbsunternehmungen ins Leben, welche Tausenden lohnende Urban ver¬
schafften. Daß der freie Markt und nicht der Schutz gegen fremde Concurrenz
die Industrie förderte, dies erwies sich gar bald, indem deutsche Fabrikanten acht
nur in ihrem eigenen Handelsgcbiete, begünstigt durch die Belastung der frem¬
den. Absatz fanden, sondern sehr bald für die Ausfuhr sich einrichteten und auf
neutralen Märkten unter gleichen, selbst unter ungünstigeren Bedingungen mit
den englischen, französischen, belgischen und schweizerischen Fabrikanten die Mit¬
bewerbung bestanden. Ein Netz von Handelsverbindungen zog sich über die
deutschen Länder, die sich früher kaum dem Namen nach gekannt hatten, jetzt
erst gleichsam einander entdeckten und mit einander verkehrten. Nicht minder
als die Regungen neuer volkswirtschaftlicher Thätigkeit zeigten sich die finan¬
ziellen Ergebnisse, die kühnsten Envartungen der Staatswirthe übertreffend.
Mancher mittlere und kleinere Staat erhielt das Doppelte und Dreifache seiner
früheren Zolleinnabmcn als Antheil an den 'Vereins-Zollrevenuen, und wurde
der Sitz industrieller Unternehmungen, welche den Ertrag seiner directen »ut
indirecten Steuern wesentlich erhöhten. Bald wurde der Verein in der Welt
als handelspolitischer Körper angesehen und schloß Verträge mit benachbarten
wie mit fernliegenden Staaten.

Die erste Vertragsperiode, so zu sagen die Kinderzeit, für die meisten
Glieder eine sechs- bis achtjährige, lief mit dem Jahre 1841 ab. Damals
waltete die Besorgniß ob, der Verein werde nicht fortbestehen können, weil Preu¬
ßen zu viel an seinen Zolleinnahmcn einbüßte. Diesen Besorgnissen trat 183«
der ..alte Kühne" in einer Schrift: „Ueber den deutschen Zollverein" entgegen,
und zwei Jahre später, 1838. war der Antheil Preußens wieder auf den frü-
hern Stand seiner Zollgefälle gelangt. Im Jahre 1340 stellte der „alte
Kühne" die Resultate des Zollvereins während der Jahre 1834 bis 1845 zu¬
sammen. Das Buch brachte damals ^die Bedeutung des Vereins dem Publi-
cum zur klaren Anschauung und ist heute noch lesenswerth für Jeden, dem es
um eine genaue Kenntniß und um ein richtiges Urtheil in der wichtigen Sache
zu thun ist. Der Uebergang in die zweite Periode erfolgte ohne besondere
Schmerzen. -Man war so ziemlich einverstanden, daß der noch zarte und in
seiner ersten Entwickelung befindliche Organismus nicht durch Rütteln an sei¬
nen Grundlagen erschüttert werden dürfe. Preußen verzichtete auf den wohl¬
begründeten Anspruch auf eine Aenderung der Revenuenvertheilung. Dem Be¬
gehren der neuentstandenen Industrie in Mittel- und Süddeutschland nach
höhern Schutzzöllen wurden einige Concessionen gemacht (1844), im Uebrigen
aber die bestehenden Einrichtungen beibehalten, damit das Werk der mühsam
erzielten, äußerlich sehr mangelhaften Einigung innerlich erstarke durch die Ge-
*


26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114525"/>
          <p xml:id="ID_909" prev="#ID_908"> und die Zukunft bestimmende Errungenschaft.  Die Thatsache eines großen<lb/>
deutschen Marktes rief überall, wo die natürlichen Bedingungen vorhanden wa¬<lb/>
ren. Gewerbsunternehmungen ins Leben, welche Tausenden lohnende Urban ver¬<lb/>
schafften.  Daß der freie Markt und nicht der Schutz gegen fremde Concurrenz<lb/>
die Industrie förderte, dies erwies sich gar bald, indem deutsche Fabrikanten acht<lb/>
nur in ihrem eigenen Handelsgcbiete, begünstigt durch die Belastung der frem¬<lb/>
den. Absatz fanden, sondern sehr bald für die Ausfuhr sich einrichteten und auf<lb/>
neutralen Märkten unter gleichen, selbst unter ungünstigeren Bedingungen mit<lb/>
den englischen, französischen, belgischen und schweizerischen Fabrikanten die Mit¬<lb/>
bewerbung bestanden.  Ein Netz von Handelsverbindungen zog sich über die<lb/>
deutschen Länder, die sich früher kaum dem Namen nach gekannt hatten, jetzt<lb/>
erst gleichsam einander entdeckten und mit einander verkehrten.  Nicht minder<lb/>
als die Regungen neuer volkswirtschaftlicher Thätigkeit zeigten sich die finan¬<lb/>
ziellen Ergebnisse, die kühnsten Envartungen der Staatswirthe übertreffend.<lb/>
Mancher mittlere und kleinere Staat erhielt das Doppelte und Dreifache seiner<lb/>
früheren Zolleinnabmcn als Antheil an den 'Vereins-Zollrevenuen, und wurde<lb/>
der Sitz industrieller Unternehmungen, welche den Ertrag seiner directen »ut<lb/>
indirecten Steuern wesentlich erhöhten.  Bald wurde der Verein in der Welt<lb/>
als handelspolitischer Körper angesehen und schloß Verträge mit benachbarten<lb/>
wie mit fernliegenden Staaten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_910" next="#ID_911"> Die erste Vertragsperiode, so zu sagen die Kinderzeit, für die meisten<lb/>
Glieder eine sechs- bis achtjährige, lief mit dem Jahre 1841 ab. Damals<lb/>
waltete die Besorgniß ob, der Verein werde nicht fortbestehen können, weil Preu¬<lb/>
ßen zu viel an seinen Zolleinnahmcn einbüßte.  Diesen Besorgnissen trat 183«<lb/>
der ..alte Kühne" in einer Schrift: &#x201E;Ueber den deutschen Zollverein" entgegen,<lb/>
und zwei Jahre später, 1838. war der Antheil Preußens wieder auf den frü-<lb/>
hern Stand seiner Zollgefälle gelangt.  Im Jahre 1340 stellte der &#x201E;alte<lb/>
Kühne" die Resultate des Zollvereins während der Jahre 1834 bis 1845 zu¬<lb/>
sammen.  Das Buch brachte damals ^die Bedeutung des Vereins dem Publi-<lb/>
cum zur klaren Anschauung und ist heute noch lesenswerth für Jeden, dem es<lb/>
um eine genaue Kenntniß und um ein richtiges Urtheil in der wichtigen Sache<lb/>
zu thun ist.  Der Uebergang in die zweite Periode erfolgte ohne besondere<lb/>
Schmerzen. -Man war so ziemlich einverstanden, daß der noch zarte und in<lb/>
seiner ersten Entwickelung befindliche Organismus nicht durch Rütteln an sei¬<lb/>
nen Grundlagen erschüttert werden dürfe.  Preußen verzichtete auf den wohl¬<lb/>
begründeten Anspruch auf eine Aenderung der Revenuenvertheilung.  Dem Be¬<lb/>
gehren der neuentstandenen Industrie in Mittel- und Süddeutschland nach<lb/>
höhern Schutzzöllen wurden einige Concessionen gemacht (1844), im Uebrigen<lb/>
aber die bestehenden Einrichtungen beibehalten, damit das Werk der mühsam<lb/>
erzielten, äußerlich sehr mangelhaften Einigung innerlich erstarke durch die Ge-<lb/>
*</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 26</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] und die Zukunft bestimmende Errungenschaft. Die Thatsache eines großen deutschen Marktes rief überall, wo die natürlichen Bedingungen vorhanden wa¬ ren. Gewerbsunternehmungen ins Leben, welche Tausenden lohnende Urban ver¬ schafften. Daß der freie Markt und nicht der Schutz gegen fremde Concurrenz die Industrie förderte, dies erwies sich gar bald, indem deutsche Fabrikanten acht nur in ihrem eigenen Handelsgcbiete, begünstigt durch die Belastung der frem¬ den. Absatz fanden, sondern sehr bald für die Ausfuhr sich einrichteten und auf neutralen Märkten unter gleichen, selbst unter ungünstigeren Bedingungen mit den englischen, französischen, belgischen und schweizerischen Fabrikanten die Mit¬ bewerbung bestanden. Ein Netz von Handelsverbindungen zog sich über die deutschen Länder, die sich früher kaum dem Namen nach gekannt hatten, jetzt erst gleichsam einander entdeckten und mit einander verkehrten. Nicht minder als die Regungen neuer volkswirtschaftlicher Thätigkeit zeigten sich die finan¬ ziellen Ergebnisse, die kühnsten Envartungen der Staatswirthe übertreffend. Mancher mittlere und kleinere Staat erhielt das Doppelte und Dreifache seiner früheren Zolleinnabmcn als Antheil an den 'Vereins-Zollrevenuen, und wurde der Sitz industrieller Unternehmungen, welche den Ertrag seiner directen »ut indirecten Steuern wesentlich erhöhten. Bald wurde der Verein in der Welt als handelspolitischer Körper angesehen und schloß Verträge mit benachbarten wie mit fernliegenden Staaten. Die erste Vertragsperiode, so zu sagen die Kinderzeit, für die meisten Glieder eine sechs- bis achtjährige, lief mit dem Jahre 1841 ab. Damals waltete die Besorgniß ob, der Verein werde nicht fortbestehen können, weil Preu¬ ßen zu viel an seinen Zolleinnahmcn einbüßte. Diesen Besorgnissen trat 183« der ..alte Kühne" in einer Schrift: „Ueber den deutschen Zollverein" entgegen, und zwei Jahre später, 1838. war der Antheil Preußens wieder auf den frü- hern Stand seiner Zollgefälle gelangt. Im Jahre 1340 stellte der „alte Kühne" die Resultate des Zollvereins während der Jahre 1834 bis 1845 zu¬ sammen. Das Buch brachte damals ^die Bedeutung des Vereins dem Publi- cum zur klaren Anschauung und ist heute noch lesenswerth für Jeden, dem es um eine genaue Kenntniß und um ein richtiges Urtheil in der wichtigen Sache zu thun ist. Der Uebergang in die zweite Periode erfolgte ohne besondere Schmerzen. -Man war so ziemlich einverstanden, daß der noch zarte und in seiner ersten Entwickelung befindliche Organismus nicht durch Rütteln an sei¬ nen Grundlagen erschüttert werden dürfe. Preußen verzichtete auf den wohl¬ begründeten Anspruch auf eine Aenderung der Revenuenvertheilung. Dem Be¬ gehren der neuentstandenen Industrie in Mittel- und Süddeutschland nach höhern Schutzzöllen wurden einige Concessionen gemacht (1844), im Uebrigen aber die bestehenden Einrichtungen beibehalten, damit das Werk der mühsam erzielten, äußerlich sehr mangelhaften Einigung innerlich erstarke durch die Ge- * 26

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/211>, abgerufen am 25.08.2024.