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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Auf der andern Seite kamen der Entstehung des Vereins Momente zu
statten, welche heute nicht so günstig liegen würden. In Preußen waren Män¬
ner am Ruder, welche sich der schweren Aufgabe gewachsen zeigten. Noch lebt
ein Veteran, der an dem Gelingen des Werkes einen wesentlichen Antheil sei¬
ner Einsicht und Thätigkeit zuschreiben darf, der heute noch in dem Hause der
Abgeordneten seine letzten Kräfte dem Gemeinwesen widmet, der "alte Kühne".
Ein wahrer Patriot, grämt er sich nicht darüber, daß die Haupt- und Residenz¬
stadt Berlin auf die Ehre verzichtet hat, ihn unter ihre Vertreter zu zählen.
Mitbegründer des größten Fortschrittes, den Deutschland in diesem Jahrhundert
gemacht, darf er seiner Seits darauf verzichten, sich durch verwegene Verspre¬
chungen an die Wähler als Mann des modernsten Fortschrittes zu legitimiren.
-- Die Regierungen der mittleren und mancher kleineren Staaten sahen da¬
mals die Vermehrung ihrer Staatseinnahmen als leuchtende Erscheinung im
Vordergrunde stehen. Der Gedanke an die preußische Hegemonie tauchte zwar
bei den nächsten Nachbarn auf, allein er reichte noch nicht in den Süden, und
wurde gemildert durch die Zuversicht auf den starken Rückhalt, welchen Oest¬
reich der Souveränetcit seiner Bundesgenossen jederzeit gegen Uebergriffe Preu¬
ßens gewähren würde. Jede Besorgniß wurde vollends gehoben durch die
Vereinbarung einer Verfassung des Zollvereins, welche weder eine Regierung
noch eine Vertretung enthielt und jedem Einzelnen das liberum Veto gegen
Beschlüsse aller Uebrigen wahrte. Die freie Stadt Frankfurt ergab sich erst,
als sie auf allen Seiten von Zollstätten des Vereins umgeben war, und ihr
hcldenmüthigcr Widerstand verschaffte der freien Stadt eine nicht allein ehren¬
volle, sondern auch einträgliche Kapitulation. Die meisten Glieder waren am
1. Januar 1834 beigetreten. Baden, Nassau und Hessen-Homburg folgten am
1. Januar 1836, Frankfurt capitulirte am 1. Februar. Die erste Vertragsperiode
lief bis Ende 1841.

So kam der Zollverein zu Stande, nicht als eine gemeinnnützige Einrich-
ung des deutschen Bundes, verwaltet von der Centralbehörde unter Mitwirkung
einer Nationaivertrelung, gesichert in seinem Bestände für alle Zeiten: sondern als
die Frucht von völkerrechtlichen Verträgen zwischen souveränen, gleichberechtigten
Staaten, vertreten durch wandernde Versammlungen von Bevollmächtigten, die
im Kleinen und Einzelnen hie und da über Aenderungen an Tarif- und Organisa¬
tionsbestimmungen sich einigten, häusiger noch zweckmäßige Anträge verwarfen, jede
regelmäßige, systematische Fortbildung ihrer Natur und Zusammensetzung nach aus¬
schlossen. Oestreich hatte den Verein, dem es nicht angehören wollte, weil seine
Handelspolitik leine deutsche ist und sich von Deutschland aus nicht bestimmen
lassen darf, keineswegs mit Vergnügen entstehen sehen; aber es hielt ihn nicht
für lebensfähig und deshalb für ungefährlich. -- Dennoch, unvollkommen wie er
war, zeigte sich der Verein als eine wirksam in die Gegenwart eingreifende


Auf der andern Seite kamen der Entstehung des Vereins Momente zu
statten, welche heute nicht so günstig liegen würden. In Preußen waren Män¬
ner am Ruder, welche sich der schweren Aufgabe gewachsen zeigten. Noch lebt
ein Veteran, der an dem Gelingen des Werkes einen wesentlichen Antheil sei¬
ner Einsicht und Thätigkeit zuschreiben darf, der heute noch in dem Hause der
Abgeordneten seine letzten Kräfte dem Gemeinwesen widmet, der „alte Kühne".
Ein wahrer Patriot, grämt er sich nicht darüber, daß die Haupt- und Residenz¬
stadt Berlin auf die Ehre verzichtet hat, ihn unter ihre Vertreter zu zählen.
Mitbegründer des größten Fortschrittes, den Deutschland in diesem Jahrhundert
gemacht, darf er seiner Seits darauf verzichten, sich durch verwegene Verspre¬
chungen an die Wähler als Mann des modernsten Fortschrittes zu legitimiren.
— Die Regierungen der mittleren und mancher kleineren Staaten sahen da¬
mals die Vermehrung ihrer Staatseinnahmen als leuchtende Erscheinung im
Vordergrunde stehen. Der Gedanke an die preußische Hegemonie tauchte zwar
bei den nächsten Nachbarn auf, allein er reichte noch nicht in den Süden, und
wurde gemildert durch die Zuversicht auf den starken Rückhalt, welchen Oest¬
reich der Souveränetcit seiner Bundesgenossen jederzeit gegen Uebergriffe Preu¬
ßens gewähren würde. Jede Besorgniß wurde vollends gehoben durch die
Vereinbarung einer Verfassung des Zollvereins, welche weder eine Regierung
noch eine Vertretung enthielt und jedem Einzelnen das liberum Veto gegen
Beschlüsse aller Uebrigen wahrte. Die freie Stadt Frankfurt ergab sich erst,
als sie auf allen Seiten von Zollstätten des Vereins umgeben war, und ihr
hcldenmüthigcr Widerstand verschaffte der freien Stadt eine nicht allein ehren¬
volle, sondern auch einträgliche Kapitulation. Die meisten Glieder waren am
1. Januar 1834 beigetreten. Baden, Nassau und Hessen-Homburg folgten am
1. Januar 1836, Frankfurt capitulirte am 1. Februar. Die erste Vertragsperiode
lief bis Ende 1841.

So kam der Zollverein zu Stande, nicht als eine gemeinnnützige Einrich-
ung des deutschen Bundes, verwaltet von der Centralbehörde unter Mitwirkung
einer Nationaivertrelung, gesichert in seinem Bestände für alle Zeiten: sondern als
die Frucht von völkerrechtlichen Verträgen zwischen souveränen, gleichberechtigten
Staaten, vertreten durch wandernde Versammlungen von Bevollmächtigten, die
im Kleinen und Einzelnen hie und da über Aenderungen an Tarif- und Organisa¬
tionsbestimmungen sich einigten, häusiger noch zweckmäßige Anträge verwarfen, jede
regelmäßige, systematische Fortbildung ihrer Natur und Zusammensetzung nach aus¬
schlossen. Oestreich hatte den Verein, dem es nicht angehören wollte, weil seine
Handelspolitik leine deutsche ist und sich von Deutschland aus nicht bestimmen
lassen darf, keineswegs mit Vergnügen entstehen sehen; aber es hielt ihn nicht
für lebensfähig und deshalb für ungefährlich. — Dennoch, unvollkommen wie er
war, zeigte sich der Verein als eine wirksam in die Gegenwart eingreifende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/210>, abgerufen am 25.08.2024.