Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.esse zu verleihen weiß. So beginnt er z. B. mit einer Sonate von Scarlatti, Sicher darf man diesen Concerten, die er auch in Manchester und an andern esse zu verleihen weiß. So beginnt er z. B. mit einer Sonate von Scarlatti, Sicher darf man diesen Concerten, die er auch in Manchester und an andern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114510"/> <p xml:id="ID_868" prev="#ID_867"> esse zu verleihen weiß. So beginnt er z. B. mit einer Sonate von Scarlatti,<lb/> dieser folgt eine Piece von Bach oder Händel oder ein Allegro von Corelli; eine<lb/> Sonate von Haydn oder einem der Söhne Bachs leitet über zu Mozart und<lb/> Beethoven, bis er sich durch Mendelssohn und Schumann hinaufgipfelt zu<lb/> Stephen Heller und Chopin. Ein anderes Concert zeigt die Entwicklung<lb/> Beethovens durch drei oder vier Sonaten aus den verschiedenen Perioden seines<lb/> Schaffens. In dieser letzten und der vorjährigen Saison gab er in einem Cy¬<lb/> klus von acht Concerten sämmtliche Sonaten Beethovens, so daß je vier Sonaten<lb/> in einem Concerte gespielt wurden. Diese kleinen musikalischen Feste finden<lb/> Nachmittags in dem großen, gewöhnlich überfüllten Saale der Se. Jameshall<lb/> statt. Fast jeder bringt seine Sonaten mit, um selbst nachzulesen, oder wer<lb/> das nicht will, hat ein Programm, worin jede Sonate in einer klaren und ver¬<lb/> ständlichen Weise ancilysirt und auf ihre Grundthemen zurückgeführt ist; kleine<lb/> in den Text gedruckte Nvtenbeispiele erläutern denselben, und der große Saal mit<lb/> der fleißig lesenden aufmerksamen Menge macht vielmehr den Eindruck einer Akade¬<lb/> mie, die ihren Meister erwartet, als den eines Concertsaales. Das Ganze hat für<lb/> den Deutschen etwas Heimisches und Gemüthliches; schon die vielen Menschen,<lb/> die man jedesmal zu demselben Zwecke wieder vereinigt findet und die mit<lb/> strahlenden Gesichtern der Herrlichkeiten warten, die ihnen aufgehen werden,<lb/> machen diesen Eindruck, und man freut sich in der Seele, auch einmal in Eng¬<lb/> land Geister zu finden, die das wahrhaft Schöne und Große verstehen und<lb/> würdigen können. Charles Halle ist eine bescheidene und stille Natur, er ist<lb/> nur reproductiv, nicht selbst schöpferisch, aber ein durch und durch feingebildeter<lb/> Künstler. Seinem Spiel möchte man bisweilen etwas mehr Objectivität wün¬<lb/> schen, und namentlich mischt sich in seine Wiedergabe der Sonaten von Beet¬<lb/> hoven oft etwas wie Manier, indeß wo findet man den Virtuosen, der sein<lb/> eignes Selbst beim Spielen so ganz vergessen könnte! Halle's Technik ist voll¬<lb/> endet, doch ist sein Spiel mehr ausdrucksvoll und fein nüancirt, als groß.<lb/> Sein Auditorium empfängt ihn immer mit warmem Applaus und hört ihm<lb/> mit großer Aufmerksamkeit zu. Die Einschiebung eines kurzen Gesangsolo's<lb/> zwischen je zwei Sonaten ist eine glückliche Idee. So hat er sich allmälig<lb/> ein Publicum herangebildet, das ihn und seine Musik versteht und liebt.</p><lb/> <p xml:id="ID_869" next="#ID_870"> Sicher darf man diesen Concerten, die er auch in Manchester und an andern<lb/> Orten gibt, einen bedeutenden Einfluß auf die Verbreitung classischer Musik in<lb/> England zuschreiben, und es ist nicht auf dem Gebiet der Claviermusik allein,<lb/> sondern auch in der Symphonie und der Oper, daß er reformirend wirkt.<lb/> Die Symphonieconcerte, die er mehre Winter hindurch mit bedeutendem pecu-<lb/> niären Nachtheile in Manchester gab, wo auch die besten deutschen Opern und<lb/> Gesangswerke zu Gehör kommen, haben dort einen Sinn für Instrumental¬<lb/> musik geweckt, wie er vorher nirgends in England existirte. Außer London</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0196]
esse zu verleihen weiß. So beginnt er z. B. mit einer Sonate von Scarlatti,
dieser folgt eine Piece von Bach oder Händel oder ein Allegro von Corelli; eine
Sonate von Haydn oder einem der Söhne Bachs leitet über zu Mozart und
Beethoven, bis er sich durch Mendelssohn und Schumann hinaufgipfelt zu
Stephen Heller und Chopin. Ein anderes Concert zeigt die Entwicklung
Beethovens durch drei oder vier Sonaten aus den verschiedenen Perioden seines
Schaffens. In dieser letzten und der vorjährigen Saison gab er in einem Cy¬
klus von acht Concerten sämmtliche Sonaten Beethovens, so daß je vier Sonaten
in einem Concerte gespielt wurden. Diese kleinen musikalischen Feste finden
Nachmittags in dem großen, gewöhnlich überfüllten Saale der Se. Jameshall
statt. Fast jeder bringt seine Sonaten mit, um selbst nachzulesen, oder wer
das nicht will, hat ein Programm, worin jede Sonate in einer klaren und ver¬
ständlichen Weise ancilysirt und auf ihre Grundthemen zurückgeführt ist; kleine
in den Text gedruckte Nvtenbeispiele erläutern denselben, und der große Saal mit
der fleißig lesenden aufmerksamen Menge macht vielmehr den Eindruck einer Akade¬
mie, die ihren Meister erwartet, als den eines Concertsaales. Das Ganze hat für
den Deutschen etwas Heimisches und Gemüthliches; schon die vielen Menschen,
die man jedesmal zu demselben Zwecke wieder vereinigt findet und die mit
strahlenden Gesichtern der Herrlichkeiten warten, die ihnen aufgehen werden,
machen diesen Eindruck, und man freut sich in der Seele, auch einmal in Eng¬
land Geister zu finden, die das wahrhaft Schöne und Große verstehen und
würdigen können. Charles Halle ist eine bescheidene und stille Natur, er ist
nur reproductiv, nicht selbst schöpferisch, aber ein durch und durch feingebildeter
Künstler. Seinem Spiel möchte man bisweilen etwas mehr Objectivität wün¬
schen, und namentlich mischt sich in seine Wiedergabe der Sonaten von Beet¬
hoven oft etwas wie Manier, indeß wo findet man den Virtuosen, der sein
eignes Selbst beim Spielen so ganz vergessen könnte! Halle's Technik ist voll¬
endet, doch ist sein Spiel mehr ausdrucksvoll und fein nüancirt, als groß.
Sein Auditorium empfängt ihn immer mit warmem Applaus und hört ihm
mit großer Aufmerksamkeit zu. Die Einschiebung eines kurzen Gesangsolo's
zwischen je zwei Sonaten ist eine glückliche Idee. So hat er sich allmälig
ein Publicum herangebildet, das ihn und seine Musik versteht und liebt.
Sicher darf man diesen Concerten, die er auch in Manchester und an andern
Orten gibt, einen bedeutenden Einfluß auf die Verbreitung classischer Musik in
England zuschreiben, und es ist nicht auf dem Gebiet der Claviermusik allein,
sondern auch in der Symphonie und der Oper, daß er reformirend wirkt.
Die Symphonieconcerte, die er mehre Winter hindurch mit bedeutendem pecu-
niären Nachtheile in Manchester gab, wo auch die besten deutschen Opern und
Gesangswerke zu Gehör kommen, haben dort einen Sinn für Instrumental¬
musik geweckt, wie er vorher nirgends in England existirte. Außer London
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