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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Achtuiidvierzia. Briefe von Johann Göttlich Fichte und seinen
Verwandten.
(Fortsetzung.)

Auf einer leeren Seite des 17. Briefes befindet sich ein Herzens¬
erguß Gotthclfs. der in merkwürdiger Art beweist, wie Fichte seinen Bruder
von Anfang, ein nur allzu richtig beurtheilt hatte, als er in seine ausreichende
Entwicklungsfähigkeit einigen Zweifel setzte -- ein Mißtraue", dessen Richtigkeit
sich bestätigt hatte, als der Professor den Schüler persönlich prüfte. (In welchem
Monat Gotthelf nach Osmannstädt kam, ist nicht angegeben.)

18.

Das Glück ist sehr veränderlich. Als ich diesen Brief von meinem Bruder
erhielt, so schätzte ich mich für außerordentlich glüklich und dachte, von nun an
sey mein Glük so fest gegründet, daß es gar nicht mehr wanken könnte. Und
siehe! -- nie wankte es mehr als et'er da, denn dieses war der Anfang, zu
meiner jetzigen mißlichen Lage: wäre ich nicht so zeitig aus Meißen weg ge¬
kommen, so hätte wohl etwas mit mir werden können. Ich hätte alsdann dock'
die Lateinische Sprache so ziemlich gelernt gehabt, hätte auch einen Anfang in
der Französischen, und vielleicht auch in der Griechischen gemacht gehabt, wäre
zu einer weit gelegenem Zeit zu meinem Bruder gekommen, als ich so zu ihm
kam, er hätte vielleicht, wenn er vom Anfang an eine bessere Meinung für
mich gefaßt gehabt hätte, mich nicht so kalt behandelt, und ick, wäre also auch
nicht genöthigt gewesen, mich gegen ihn zurützuhalten, und also hätte die
Sache vielleicht ganz anders gehen können, als sie leider jetzt geht. Indessen ist
es nun einmal nicht anders, und ich wenigstens kann die Sache nicht ändern,
ich habe auch die Teufeleien nicht vorher sehen können. Gute Nacht.


Fichte.

Was Gotthelf hier noch zu seiner Entschuldigung anführt, hat um so we¬
niger Grund, als er ja. wie aus den vorigen Briefen vielfach ersichtlich ist.
selbst die Zeit nicht hatte erwarten können, wo er Meißen verlassen und nach
Jena kommen durfte. Der trotz des bittern Ernstes fast komische Schluß aber
bekundet doch den Humor und die ausreichende "Seelenstärke" (vgl. oben den


Grenzboten III. 1862. 21
Achtuiidvierzia. Briefe von Johann Göttlich Fichte und seinen
Verwandten.
(Fortsetzung.)

Auf einer leeren Seite des 17. Briefes befindet sich ein Herzens¬
erguß Gotthclfs. der in merkwürdiger Art beweist, wie Fichte seinen Bruder
von Anfang, ein nur allzu richtig beurtheilt hatte, als er in seine ausreichende
Entwicklungsfähigkeit einigen Zweifel setzte — ein Mißtraue», dessen Richtigkeit
sich bestätigt hatte, als der Professor den Schüler persönlich prüfte. (In welchem
Monat Gotthelf nach Osmannstädt kam, ist nicht angegeben.)

18.

Das Glück ist sehr veränderlich. Als ich diesen Brief von meinem Bruder
erhielt, so schätzte ich mich für außerordentlich glüklich und dachte, von nun an
sey mein Glük so fest gegründet, daß es gar nicht mehr wanken könnte. Und
siehe! — nie wankte es mehr als et'er da, denn dieses war der Anfang, zu
meiner jetzigen mißlichen Lage: wäre ich nicht so zeitig aus Meißen weg ge¬
kommen, so hätte wohl etwas mit mir werden können. Ich hätte alsdann dock'
die Lateinische Sprache so ziemlich gelernt gehabt, hätte auch einen Anfang in
der Französischen, und vielleicht auch in der Griechischen gemacht gehabt, wäre
zu einer weit gelegenem Zeit zu meinem Bruder gekommen, als ich so zu ihm
kam, er hätte vielleicht, wenn er vom Anfang an eine bessere Meinung für
mich gefaßt gehabt hätte, mich nicht so kalt behandelt, und ick, wäre also auch
nicht genöthigt gewesen, mich gegen ihn zurützuhalten, und also hätte die
Sache vielleicht ganz anders gehen können, als sie leider jetzt geht. Indessen ist
es nun einmal nicht anders, und ich wenigstens kann die Sache nicht ändern,
ich habe auch die Teufeleien nicht vorher sehen können. Gute Nacht.


Fichte.

Was Gotthelf hier noch zu seiner Entschuldigung anführt, hat um so we¬
niger Grund, als er ja. wie aus den vorigen Briefen vielfach ersichtlich ist.
selbst die Zeit nicht hatte erwarten können, wo er Meißen verlassen und nach
Jena kommen durfte. Der trotz des bittern Ernstes fast komische Schluß aber
bekundet doch den Humor und die ausreichende „Seelenstärke" (vgl. oben den


Grenzboten III. 1862. 21
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[0169] Achtuiidvierzia. Briefe von Johann Göttlich Fichte und seinen Verwandten. (Fortsetzung.) Auf einer leeren Seite des 17. Briefes befindet sich ein Herzens¬ erguß Gotthclfs. der in merkwürdiger Art beweist, wie Fichte seinen Bruder von Anfang, ein nur allzu richtig beurtheilt hatte, als er in seine ausreichende Entwicklungsfähigkeit einigen Zweifel setzte — ein Mißtraue», dessen Richtigkeit sich bestätigt hatte, als der Professor den Schüler persönlich prüfte. (In welchem Monat Gotthelf nach Osmannstädt kam, ist nicht angegeben.) 18. Das Glück ist sehr veränderlich. Als ich diesen Brief von meinem Bruder erhielt, so schätzte ich mich für außerordentlich glüklich und dachte, von nun an sey mein Glük so fest gegründet, daß es gar nicht mehr wanken könnte. Und siehe! — nie wankte es mehr als et'er da, denn dieses war der Anfang, zu meiner jetzigen mißlichen Lage: wäre ich nicht so zeitig aus Meißen weg ge¬ kommen, so hätte wohl etwas mit mir werden können. Ich hätte alsdann dock' die Lateinische Sprache so ziemlich gelernt gehabt, hätte auch einen Anfang in der Französischen, und vielleicht auch in der Griechischen gemacht gehabt, wäre zu einer weit gelegenem Zeit zu meinem Bruder gekommen, als ich so zu ihm kam, er hätte vielleicht, wenn er vom Anfang an eine bessere Meinung für mich gefaßt gehabt hätte, mich nicht so kalt behandelt, und ick, wäre also auch nicht genöthigt gewesen, mich gegen ihn zurützuhalten, und also hätte die Sache vielleicht ganz anders gehen können, als sie leider jetzt geht. Indessen ist es nun einmal nicht anders, und ich wenigstens kann die Sache nicht ändern, ich habe auch die Teufeleien nicht vorher sehen können. Gute Nacht. Fichte. Was Gotthelf hier noch zu seiner Entschuldigung anführt, hat um so we¬ niger Grund, als er ja. wie aus den vorigen Briefen vielfach ersichtlich ist. selbst die Zeit nicht hatte erwarten können, wo er Meißen verlassen und nach Jena kommen durfte. Der trotz des bittern Ernstes fast komische Schluß aber bekundet doch den Humor und die ausreichende „Seelenstärke" (vgl. oben den Grenzboten III. 1862. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/169>, abgerufen am 23.07.2024.