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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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und wieder auch hat es Stoch zu -wenig Bedeutsames aus sonstigen Ueberliefe¬
rungen, um >den Abstand zwischen Tragödie und Historie unzweifelhaft M ersten
Eindruck 'herauszukehren. Wir sehen zwar einen Octavio Piccolomini, welcher,
nach einem Porträt dieses Mannes gearbeitet, den Octavio der Tragödie uns
völlig verrückt, aber ideale Gestalten, wie sie Schiller hinzudichtete, .bringen uns
im nächsten Augenblick wieder auf die Fährte des Max und andrer Persönlich¬
keiten, und so schwanken wir -- oder wenn nicht wir, so doch unsre Nachbarn
rechts und links -- zwischen Schillers Jamben und Schillers Ptvsa, ohne
über dies Schaukeln zum ruhigen Genuß zu kommen.

Es lohnte sich der Mühe, die Grenzen des Darstellbaren auch einmal von
den 'hier angedeuteten Gesichtspunkten aus zu untersuchen und festzustellen.
Da in 'dieser Provinz der Kunstregeln fast noch alles regellos in der Irre
schweift, so kann der Gegenstand an dieser Stelle nur gestreift werden, wenn
auch mit dem Wunsche, daß die Aesthetik das Fehlende bald nachholen möge. Bis
dahin werden die Künstlersich füglich von dem bedenklichen Gebiete, wo 'Buhne
"nid Ueberlieferung einander befehden, fern halten. -Egmontund Horn waren selbst
für Gallait nur in jenem sechsten Acte, welcher über die Tragödie hinausreicht,
noch brauchbar.

Wir kommen zu einer andern. Seite des Bildes, um deretwillen wir
eher mit dem Künstler rechten möchten, wenn anders wir es nicht mit einer
Schöpfung zu thun hätten, deren Schwerpunkt wir gar nicht in der Vollendung
der -geistigen Composition zu suchen brauchen.

Wir ineinen die vernachlässigte Sonderung der Figuren in kaiserlich und
Wallensteinisch Gesinnte -- versteht'sich nicht in parlamentarisch geschiedene Grup¬
pen, Wohl aber in einer dem Beschauer verständlichen Vortragsweise. Gab M
bei dem historischen Bankett solche strenge markirte Gegensätze? Wenn >es 'deren
nicht gab. so büßt der Vorgang ein gut Theil seiner Spannung ein und 'sinkt
um Werthe. Wenn es deren gab, so mußte un's Aar -wetten, wer von den
Anwesenden die Pläne Ilios unterstützt, wer nicht. "Aber," hören 'wir "ein"
wenden, "Octavio unterstützt sie vielleicht.zum Schein, "in Wollenstein tiefer zu
verstricken; wie soll man dem Beschauer verständlich Machen, daß dieser ein
aufrichtiger Rebell und jener ein falscher?" -Drese 'Frage, entgegnen Mir,
hat sich der Maler selbst zu beantworten. Geht die Forderung über die-Grenze
.des Möglichen hinaus, so mag er sich darüber klar werden, daß er ub c-r dite
Grenze seiner'Kunst hinaus wollte. Eins von Beiden kann nur-der Fall sein, wenn
M-ders iseine > Darstellung selbst nicht als unzureichend angesehen 'Mrd-su -soll.
Denn ein Kunstwerk -darf keime Fragen anregen, die störend an die engen Grew-
zen der betreffenden Kunst erinnern. Geruch, Gesang. Geschmack z. B. kann
die Malerei nicht'darstellen, nur'Riechende, Singende. schmeckende. Erhebt sie
um aber nicht das Riechen, sondern -den Merlch Hin Hauptsache-ihres Bildes,


und wieder auch hat es Stoch zu -wenig Bedeutsames aus sonstigen Ueberliefe¬
rungen, um >den Abstand zwischen Tragödie und Historie unzweifelhaft M ersten
Eindruck 'herauszukehren. Wir sehen zwar einen Octavio Piccolomini, welcher,
nach einem Porträt dieses Mannes gearbeitet, den Octavio der Tragödie uns
völlig verrückt, aber ideale Gestalten, wie sie Schiller hinzudichtete, .bringen uns
im nächsten Augenblick wieder auf die Fährte des Max und andrer Persönlich¬
keiten, und so schwanken wir — oder wenn nicht wir, so doch unsre Nachbarn
rechts und links — zwischen Schillers Jamben und Schillers Ptvsa, ohne
über dies Schaukeln zum ruhigen Genuß zu kommen.

Es lohnte sich der Mühe, die Grenzen des Darstellbaren auch einmal von
den 'hier angedeuteten Gesichtspunkten aus zu untersuchen und festzustellen.
Da in 'dieser Provinz der Kunstregeln fast noch alles regellos in der Irre
schweift, so kann der Gegenstand an dieser Stelle nur gestreift werden, wenn
auch mit dem Wunsche, daß die Aesthetik das Fehlende bald nachholen möge. Bis
dahin werden die Künstlersich füglich von dem bedenklichen Gebiete, wo 'Buhne
«nid Ueberlieferung einander befehden, fern halten. -Egmontund Horn waren selbst
für Gallait nur in jenem sechsten Acte, welcher über die Tragödie hinausreicht,
noch brauchbar.

Wir kommen zu einer andern. Seite des Bildes, um deretwillen wir
eher mit dem Künstler rechten möchten, wenn anders wir es nicht mit einer
Schöpfung zu thun hätten, deren Schwerpunkt wir gar nicht in der Vollendung
der -geistigen Composition zu suchen brauchen.

Wir ineinen die vernachlässigte Sonderung der Figuren in kaiserlich und
Wallensteinisch Gesinnte — versteht'sich nicht in parlamentarisch geschiedene Grup¬
pen, Wohl aber in einer dem Beschauer verständlichen Vortragsweise. Gab M
bei dem historischen Bankett solche strenge markirte Gegensätze? Wenn >es 'deren
nicht gab. so büßt der Vorgang ein gut Theil seiner Spannung ein und 'sinkt
um Werthe. Wenn es deren gab, so mußte un's Aar -wetten, wer von den
Anwesenden die Pläne Ilios unterstützt, wer nicht. „Aber," hören 'wir «ein«
wenden, „Octavio unterstützt sie vielleicht.zum Schein, «in Wollenstein tiefer zu
verstricken; wie soll man dem Beschauer verständlich Machen, daß dieser ein
aufrichtiger Rebell und jener ein falscher?" -Drese 'Frage, entgegnen Mir,
hat sich der Maler selbst zu beantworten. Geht die Forderung über die-Grenze
.des Möglichen hinaus, so mag er sich darüber klar werden, daß er ub c-r dite
Grenze seiner'Kunst hinaus wollte. Eins von Beiden kann nur-der Fall sein, wenn
M-ders iseine > Darstellung selbst nicht als unzureichend angesehen 'Mrd-su -soll.
Denn ein Kunstwerk -darf keime Fragen anregen, die störend an die engen Grew-
zen der betreffenden Kunst erinnern. Geruch, Gesang. Geschmack z. B. kann
die Malerei nicht'darstellen, nur'Riechende, Singende. schmeckende. Erhebt sie
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/157>, abgerufen am 22.07.2024.