Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.solchem Fall bin ich Wohl zu entschuldigen." Diese kühne Rede erregte allgemeines Bald nachher kam ein anderer Unglücklicher an die Reihe -- unser Erzähler So trat ich denn den schauerlichen Gang zum sechsten Mal an, um es "anders" Das war allerdings ganz anders, als ich es gemacht hatte, aber ich wußte til-
solchem Fall bin ich Wohl zu entschuldigen." Diese kühne Rede erregte allgemeines Bald nachher kam ein anderer Unglücklicher an die Reihe — unser Erzähler So trat ich denn den schauerlichen Gang zum sechsten Mal an, um es „anders" Das war allerdings ganz anders, als ich es gemacht hatte, aber ich wußte til-
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114469"/> <p xml:id="ID_635" prev="#ID_634"> solchem Fall bin ich Wohl zu entschuldigen." Diese kühne Rede erregte allgemeines<lb/> Erstaunen, und jeder stand erwartungsvoll, was nun kommen würde. Nach<lb/> einer Pause rief Goethe mit kräftiger Stimme: „Die Antwort paßt! Weiter!"</p><lb/> <p xml:id="ID_636"> Bald nachher kam ein anderer Unglücklicher an die Reihe — unser Erzähler<lb/> selbst. „Ich spielte," berichtet er, „den Hauptmann der Zenobia, der den Aurelianus<lb/> gefangen zu nehmen und nur wenige Worte zu sprechen hat. Mit großer Sicher¬<lb/> heit trat ich aus der vierten Coulisse und schritt mit Würde über die Bühne, um<lb/> meine Heldenthat zu vollbringen. Da ertönte es: „Schlecht! So nimmt man<lb/> keinen Kaiser gefangen. Noch einmal!" Ich kam also noch einmal, dann zum<lb/> dritten, vierten und fünften Mal, und immer blieb der Ausspruch derselbe, nur daß<lb/> er bei jeder Wiederholung markiger wurde. Ganz zerknirscht wagte ich endlich die<lb/> bescheidene Frage: „Excellenz, wie soll ichs denn nur machen?" — „Anders!"<lb/> war die belehrende Antwort. Ja, das war leicht gesagt, aber wie? Mein Herr<lb/> Papa, der seinen Sitz rechts im Proscenium hatte, warf mir schon längst in¬<lb/> grimmige Blicke zu. Aber der hatte gut werfen. Ich hätte mich lieber selbst<lb/> hinauswerfen mögen, um der Qual und Schande zu entgehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_637"> So trat ich denn den schauerlichen Gang zum sechsten Mal an, um es „anders"<lb/> zu machen, aber es blieb beim Alten. Da rief der Gewaltige: „Ich werde Dir<lb/> es vormachen." Nach einer Weile betrat er in seinem langen blauen Radmantel, den<lb/> Hut halb schräg auf seinem Jupitcrhaupte, die Bühne. Er nahm mir das Schwert<lb/> aus der Hand, stellte mich als Zuschauer in den Vordergrund und kam nun mit<lb/> einem martialischen Gesicht und mit Hahnenschritten im raschesten Tempo auf<lb/> den Aurelianus losgestürzt, das Schwert drohend über dessen Haupte schwingend.</p><lb/> <p xml:id="ID_638"> Das war allerdings ganz anders, als ich es gemacht hatte, aber ich wußte<lb/> nun, wie er es wollte und ahmte ihm treu nach. Da kniff er mich mit dein<lb/> Zeige- und Mittelfinger, wie seine Art war, wenn er seine Zufriedenheit zu er¬<lb/> kennen geben wollte, in die Backe, daß ich laut hätte aufschreien mögen, und<lb/> ging dann .wieder hinab in seine Loge. Mein Vater aber wandte sich mit<lb/> einem sarkastisch-freundlichen Lächeln gegen mich und flüsterte mir über die Achsel<lb/> zu: „Ich breche Dir den Hals, wenn Du es so machst."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> til-</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
solchem Fall bin ich Wohl zu entschuldigen." Diese kühne Rede erregte allgemeines
Erstaunen, und jeder stand erwartungsvoll, was nun kommen würde. Nach
einer Pause rief Goethe mit kräftiger Stimme: „Die Antwort paßt! Weiter!"
Bald nachher kam ein anderer Unglücklicher an die Reihe — unser Erzähler
selbst. „Ich spielte," berichtet er, „den Hauptmann der Zenobia, der den Aurelianus
gefangen zu nehmen und nur wenige Worte zu sprechen hat. Mit großer Sicher¬
heit trat ich aus der vierten Coulisse und schritt mit Würde über die Bühne, um
meine Heldenthat zu vollbringen. Da ertönte es: „Schlecht! So nimmt man
keinen Kaiser gefangen. Noch einmal!" Ich kam also noch einmal, dann zum
dritten, vierten und fünften Mal, und immer blieb der Ausspruch derselbe, nur daß
er bei jeder Wiederholung markiger wurde. Ganz zerknirscht wagte ich endlich die
bescheidene Frage: „Excellenz, wie soll ichs denn nur machen?" — „Anders!"
war die belehrende Antwort. Ja, das war leicht gesagt, aber wie? Mein Herr
Papa, der seinen Sitz rechts im Proscenium hatte, warf mir schon längst in¬
grimmige Blicke zu. Aber der hatte gut werfen. Ich hätte mich lieber selbst
hinauswerfen mögen, um der Qual und Schande zu entgehen.
So trat ich denn den schauerlichen Gang zum sechsten Mal an, um es „anders"
zu machen, aber es blieb beim Alten. Da rief der Gewaltige: „Ich werde Dir
es vormachen." Nach einer Weile betrat er in seinem langen blauen Radmantel, den
Hut halb schräg auf seinem Jupitcrhaupte, die Bühne. Er nahm mir das Schwert
aus der Hand, stellte mich als Zuschauer in den Vordergrund und kam nun mit
einem martialischen Gesicht und mit Hahnenschritten im raschesten Tempo auf
den Aurelianus losgestürzt, das Schwert drohend über dessen Haupte schwingend.
Das war allerdings ganz anders, als ich es gemacht hatte, aber ich wußte
nun, wie er es wollte und ahmte ihm treu nach. Da kniff er mich mit dein
Zeige- und Mittelfinger, wie seine Art war, wenn er seine Zufriedenheit zu er¬
kennen geben wollte, in die Backe, daß ich laut hätte aufschreien mögen, und
ging dann .wieder hinab in seine Loge. Mein Vater aber wandte sich mit
einem sarkastisch-freundlichen Lächeln gegen mich und flüsterte mir über die Achsel
zu: „Ich breche Dir den Hals, wenn Du es so machst."
til-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |