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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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und seine Brüder zu sich beschied. Späterhin hat sich dies Verhältniß, wie ich
selbst gesehen habe, völlig wieder hergestellt.....Aber leider waren auch in
der Familie innere MißHelligkeiten, unter denen der Großvater sehr viel litt" . 7.. .

Die beiden folgenden Briefe tragen kein Datum, scheinen aber im März
1795 geschrieben zu sein, sie zeigen, wie Gotthelfs Reise nach Jena, worauf
die gutmüthige und weichere Johanna schon im November 1794 hindeutet und
worauf sie ihn immer wieder vertröstet, nach Fichte's klarer und kälterer Einsicht
seinen Zwecken gemäß noch weit hinausgeschoben werden mußte.


13.

Mein lieber Bruder,

Es ist mir nicht möglich gewesen, Dir eher auf Deinen letzten Brief zu
antworten. Ich habe Dir schon mehrmals gesagt, daß selbst ein kleines Briefchen
nicht allemal so gar leicht von mir geschrieben werden kann, weil oft selbst die
wenigen dazu erforderlichen Minuten mir fehlen.

Was Du mir über Deine Lage schreibst, kann ich zum Theil wohl glauben.
Ich habe manches der Art vorhergesehen, weil ich unsere Schulleute gar wohl
kenne, und nicht erwarten konnte, daß Dein Lehrer von der beinah' allge¬
meinen Regel eine Ausnahme machen würde. -- Erkenne aus diesem Aus-
drnke, daß der Sache nicht wohl zu helfen war, wenn der Zwek erreicht wer¬
den sollte.

Das Hauptübel, mein lieber Bruder, liegt in dem Misverhältnisse Deines
Alters zu Deiner Lage; ich habe das alles vorhergesehen, und größtentheils
es Dir vorhergesagt. Du ansteht diesen Uebeln Dich freiwillig unterwerfen. --
Dazu kommt Deine bis jetzt gewohnte LebensArt. Es ist kein geringes aus
dem beständigen Leben in einer Familie,' aus fortdauernder Gesellschaft, sich in
die Einsamkeit eines Studierzimmers, und ohne Welt- und Menschenkenntniß,
ein Jüngling an Jahren, und ein Kind an Einsicht sich unter fremde Leute
eines ganz andern Standes wagen. -- Die unangenehmste Nachricht in Deinem
Briefe war mir Dein Hang zur Hypochondrie. Ich weiß 'aber besser, daß es
nicht dies, sondern Sehnsucht nach Deiner vorigen Art zu seyn, Sehnsucht nach
Hause, u. s. f. ist. Darin wirst Du mir widersprechen; aber Du kannst das
nicht beurtheilen; es ist Sehnsucht, die nicht zum Bewußtsein kommt.

Du irrst Dich gänzlich, wenn Du glaubst, daß Du schon jezt mit Nutzen
nach Jena kommen könntest; und das ist ein Beweiß, daß Dir noch bis jezt
über diejenigen Dinge, die ich Dir gleich anfangs sagte, und schrieb, noch kein
Licht aufgegangen ist; daß nemlich zu einem Gelehrten positive Kenntniße
gehören. Mein Umgang kann Dir hierin nicht viel nützen. Denn theils habe
ich des Tages gar sehr wenig Zeit übrig, theils verstehst Du mich nur halb;
theils kommen die Dinge, die Dir jetzt zu lernen nöthig sind, in meinen Ge¬
sprächen nicht vor: ich habe nicht Zeit Dich darin zu unterrichten, und bin auch


und seine Brüder zu sich beschied. Späterhin hat sich dies Verhältniß, wie ich
selbst gesehen habe, völlig wieder hergestellt.....Aber leider waren auch in
der Familie innere MißHelligkeiten, unter denen der Großvater sehr viel litt" . 7.. .

Die beiden folgenden Briefe tragen kein Datum, scheinen aber im März
1795 geschrieben zu sein, sie zeigen, wie Gotthelfs Reise nach Jena, worauf
die gutmüthige und weichere Johanna schon im November 1794 hindeutet und
worauf sie ihn immer wieder vertröstet, nach Fichte's klarer und kälterer Einsicht
seinen Zwecken gemäß noch weit hinausgeschoben werden mußte.


13.

Mein lieber Bruder,

Es ist mir nicht möglich gewesen, Dir eher auf Deinen letzten Brief zu
antworten. Ich habe Dir schon mehrmals gesagt, daß selbst ein kleines Briefchen
nicht allemal so gar leicht von mir geschrieben werden kann, weil oft selbst die
wenigen dazu erforderlichen Minuten mir fehlen.

Was Du mir über Deine Lage schreibst, kann ich zum Theil wohl glauben.
Ich habe manches der Art vorhergesehen, weil ich unsere Schulleute gar wohl
kenne, und nicht erwarten konnte, daß Dein Lehrer von der beinah' allge¬
meinen Regel eine Ausnahme machen würde. — Erkenne aus diesem Aus-
drnke, daß der Sache nicht wohl zu helfen war, wenn der Zwek erreicht wer¬
den sollte.

Das Hauptübel, mein lieber Bruder, liegt in dem Misverhältnisse Deines
Alters zu Deiner Lage; ich habe das alles vorhergesehen, und größtentheils
es Dir vorhergesagt. Du ansteht diesen Uebeln Dich freiwillig unterwerfen. —
Dazu kommt Deine bis jetzt gewohnte LebensArt. Es ist kein geringes aus
dem beständigen Leben in einer Familie,' aus fortdauernder Gesellschaft, sich in
die Einsamkeit eines Studierzimmers, und ohne Welt- und Menschenkenntniß,
ein Jüngling an Jahren, und ein Kind an Einsicht sich unter fremde Leute
eines ganz andern Standes wagen. — Die unangenehmste Nachricht in Deinem
Briefe war mir Dein Hang zur Hypochondrie. Ich weiß 'aber besser, daß es
nicht dies, sondern Sehnsucht nach Deiner vorigen Art zu seyn, Sehnsucht nach
Hause, u. s. f. ist. Darin wirst Du mir widersprechen; aber Du kannst das
nicht beurtheilen; es ist Sehnsucht, die nicht zum Bewußtsein kommt.

Du irrst Dich gänzlich, wenn Du glaubst, daß Du schon jezt mit Nutzen
nach Jena kommen könntest; und das ist ein Beweiß, daß Dir noch bis jezt
über diejenigen Dinge, die ich Dir gleich anfangs sagte, und schrieb, noch kein
Licht aufgegangen ist; daß nemlich zu einem Gelehrten positive Kenntniße
gehören. Mein Umgang kann Dir hierin nicht viel nützen. Denn theils habe
ich des Tages gar sehr wenig Zeit übrig, theils verstehst Du mich nur halb;
theils kommen die Dinge, die Dir jetzt zu lernen nöthig sind, in meinen Ge¬
sprächen nicht vor: ich habe nicht Zeit Dich darin zu unterrichten, und bin auch


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[0144] und seine Brüder zu sich beschied. Späterhin hat sich dies Verhältniß, wie ich selbst gesehen habe, völlig wieder hergestellt.....Aber leider waren auch in der Familie innere MißHelligkeiten, unter denen der Großvater sehr viel litt" . 7.. . Die beiden folgenden Briefe tragen kein Datum, scheinen aber im März 1795 geschrieben zu sein, sie zeigen, wie Gotthelfs Reise nach Jena, worauf die gutmüthige und weichere Johanna schon im November 1794 hindeutet und worauf sie ihn immer wieder vertröstet, nach Fichte's klarer und kälterer Einsicht seinen Zwecken gemäß noch weit hinausgeschoben werden mußte. 13. Mein lieber Bruder, Es ist mir nicht möglich gewesen, Dir eher auf Deinen letzten Brief zu antworten. Ich habe Dir schon mehrmals gesagt, daß selbst ein kleines Briefchen nicht allemal so gar leicht von mir geschrieben werden kann, weil oft selbst die wenigen dazu erforderlichen Minuten mir fehlen. Was Du mir über Deine Lage schreibst, kann ich zum Theil wohl glauben. Ich habe manches der Art vorhergesehen, weil ich unsere Schulleute gar wohl kenne, und nicht erwarten konnte, daß Dein Lehrer von der beinah' allge¬ meinen Regel eine Ausnahme machen würde. — Erkenne aus diesem Aus- drnke, daß der Sache nicht wohl zu helfen war, wenn der Zwek erreicht wer¬ den sollte. Das Hauptübel, mein lieber Bruder, liegt in dem Misverhältnisse Deines Alters zu Deiner Lage; ich habe das alles vorhergesehen, und größtentheils es Dir vorhergesagt. Du ansteht diesen Uebeln Dich freiwillig unterwerfen. — Dazu kommt Deine bis jetzt gewohnte LebensArt. Es ist kein geringes aus dem beständigen Leben in einer Familie,' aus fortdauernder Gesellschaft, sich in die Einsamkeit eines Studierzimmers, und ohne Welt- und Menschenkenntniß, ein Jüngling an Jahren, und ein Kind an Einsicht sich unter fremde Leute eines ganz andern Standes wagen. — Die unangenehmste Nachricht in Deinem Briefe war mir Dein Hang zur Hypochondrie. Ich weiß 'aber besser, daß es nicht dies, sondern Sehnsucht nach Deiner vorigen Art zu seyn, Sehnsucht nach Hause, u. s. f. ist. Darin wirst Du mir widersprechen; aber Du kannst das nicht beurtheilen; es ist Sehnsucht, die nicht zum Bewußtsein kommt. Du irrst Dich gänzlich, wenn Du glaubst, daß Du schon jezt mit Nutzen nach Jena kommen könntest; und das ist ein Beweiß, daß Dir noch bis jezt über diejenigen Dinge, die ich Dir gleich anfangs sagte, und schrieb, noch kein Licht aufgegangen ist; daß nemlich zu einem Gelehrten positive Kenntniße gehören. Mein Umgang kann Dir hierin nicht viel nützen. Denn theils habe ich des Tages gar sehr wenig Zeit übrig, theils verstehst Du mich nur halb; theils kommen die Dinge, die Dir jetzt zu lernen nöthig sind, in meinen Ge¬ sprächen nicht vor: ich habe nicht Zeit Dich darin zu unterrichten, und bin auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/144>, abgerufen am 25.08.2024.