Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich und meine Geliebte grüßen herzlich alle meine Geschwister, die ich
bitte sich unsrer freundschaftlich zu errinnern.

Nächstens schreibe ich Ihnen mehr. Jezt geht die Post ab.

Zürich, im Waaghause


Ihrgehorsamer Sohn
I. Gottlieb Fichte.

d. 26. Jun. 1793.

Was Fichte's Verehelichung aufhielt, waren die Schwierigkeiten der da¬
maligen Züricher Gesetze bei der Verheirathung und Niederlassung eines Aus¬
länders (I, 156. II, 154), weswegen Fichte auch unter dem 16. Juli an den
Oberhofprediger Reinhard in Dresden schrieb mit der Bitte um Ausfertigung
eines Erlaubnißscheines vom sächsischen Kirchcnrathe zu seiner Trauung (II, 418).

Nicht lange aber dauerte es, bis Fichte den Ruf als Professor nach Jena
erhielt, wo er Sonntag, den 13. Mai 1794 ankam und schon am 23. seine
öffentlichen Vorlesungen, sowie Montag, den 26. Morgens von 6--7 Uhr seine
Privatvorlesungen eröffnete. So sehr ihn nun auch dieses neue Amt in An¬
spruch nahm, so fand er dennoch Zeit, an seinen schon oben erwähnten Bru¬
der Gotthelf zu denken und mit einer Art von väterlicher Fürsorge ihm die
Wege zu höherer geistiger Ausbildung zu zeigen. An diesen ist denn nun eine
ganze Reihe von Briefen gerichtet, welche im höchsten Grade anziehend wie
belehrend sind durch die psychologische Einsicht und die pädagogische Weisheit,
womit der ältere Bruder den jüngeren nach der Eigenthümlichkeit seines Wesens,
seiner Anlagen und seiner Fehler beurtheilt und auf die Mittel zur Verbesse¬
rung seinem schlechten Angewöhnungen und seiner Mängel aufmerksam macht.
Die Klarheit und Richtigkeit dieser Beobachtungen und Bemerkungen ist so ein¬
leuchtend, daß darüber nichts weiter zu sagen ist. Hervorzuheben aber ist
namentlich noch erstens die von trügerischen Einbildungen und unbesonnenen
Hoffnungen reine Nüchternheit, womit Fichte seinem Bruder gleich von vorn
herein ankündigt, daß der ganze Bildungs- und Studienplan unter den ob¬
waltenden Verhältnissen, bei dem vorgerückten Alter (genau findet sich dasselbe
nicht angegeben) u. s. w. nicht mehr als eben nur ein Versuch sein könne. Her¬
vorzuheben ist ferner auch die unerbittliche Entschiedenheit, womit er ihm immer
und immer wieder das nothwendig Abzulegende wie das unumgänglich zu Er¬
strebende Vorhalt, -- eine Entschiedenheit, die freilich auch heutzutage in man¬
schen Kreisen der Erziehung um so weniger gern gesehen wird, mit je größerer
Ueberzeugungstreue und Festigkeit sie auftritt, -- eine Entschiedenheit, deren
Berechtigung auch damals dem Bruder, gegen den sie geltend gemacht wurde,
nicht immer so ganz einleuchten mochte, so wie sie ja selbst der Gattin Fichte's,
deren höchst liebenswürdige Briefe ich mit beifüge, zuweilen zu hart erschien
(vgl. besonders den Brief Ur. 14). So anziehend, aber diese echt weibliche


Ich und meine Geliebte grüßen herzlich alle meine Geschwister, die ich
bitte sich unsrer freundschaftlich zu errinnern.

Nächstens schreibe ich Ihnen mehr. Jezt geht die Post ab.

Zürich, im Waaghause


Ihrgehorsamer Sohn
I. Gottlieb Fichte.

d. 26. Jun. 1793.

Was Fichte's Verehelichung aufhielt, waren die Schwierigkeiten der da¬
maligen Züricher Gesetze bei der Verheirathung und Niederlassung eines Aus¬
länders (I, 156. II, 154), weswegen Fichte auch unter dem 16. Juli an den
Oberhofprediger Reinhard in Dresden schrieb mit der Bitte um Ausfertigung
eines Erlaubnißscheines vom sächsischen Kirchcnrathe zu seiner Trauung (II, 418).

Nicht lange aber dauerte es, bis Fichte den Ruf als Professor nach Jena
erhielt, wo er Sonntag, den 13. Mai 1794 ankam und schon am 23. seine
öffentlichen Vorlesungen, sowie Montag, den 26. Morgens von 6—7 Uhr seine
Privatvorlesungen eröffnete. So sehr ihn nun auch dieses neue Amt in An¬
spruch nahm, so fand er dennoch Zeit, an seinen schon oben erwähnten Bru¬
der Gotthelf zu denken und mit einer Art von väterlicher Fürsorge ihm die
Wege zu höherer geistiger Ausbildung zu zeigen. An diesen ist denn nun eine
ganze Reihe von Briefen gerichtet, welche im höchsten Grade anziehend wie
belehrend sind durch die psychologische Einsicht und die pädagogische Weisheit,
womit der ältere Bruder den jüngeren nach der Eigenthümlichkeit seines Wesens,
seiner Anlagen und seiner Fehler beurtheilt und auf die Mittel zur Verbesse¬
rung seinem schlechten Angewöhnungen und seiner Mängel aufmerksam macht.
Die Klarheit und Richtigkeit dieser Beobachtungen und Bemerkungen ist so ein¬
leuchtend, daß darüber nichts weiter zu sagen ist. Hervorzuheben aber ist
namentlich noch erstens die von trügerischen Einbildungen und unbesonnenen
Hoffnungen reine Nüchternheit, womit Fichte seinem Bruder gleich von vorn
herein ankündigt, daß der ganze Bildungs- und Studienplan unter den ob¬
waltenden Verhältnissen, bei dem vorgerückten Alter (genau findet sich dasselbe
nicht angegeben) u. s. w. nicht mehr als eben nur ein Versuch sein könne. Her¬
vorzuheben ist ferner auch die unerbittliche Entschiedenheit, womit er ihm immer
und immer wieder das nothwendig Abzulegende wie das unumgänglich zu Er¬
strebende Vorhalt, — eine Entschiedenheit, die freilich auch heutzutage in man¬
schen Kreisen der Erziehung um so weniger gern gesehen wird, mit je größerer
Ueberzeugungstreue und Festigkeit sie auftritt, — eine Entschiedenheit, deren
Berechtigung auch damals dem Bruder, gegen den sie geltend gemacht wurde,
nicht immer so ganz einleuchten mochte, so wie sie ja selbst der Gattin Fichte's,
deren höchst liebenswürdige Briefe ich mit beifüge, zuweilen zu hart erschien
(vgl. besonders den Brief Ur. 14). So anziehend, aber diese echt weibliche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114444"/>
            <p xml:id="ID_502"> Ich und meine Geliebte grüßen herzlich alle meine Geschwister, die ich<lb/>
bitte sich unsrer freundschaftlich zu errinnern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_503"> Nächstens schreibe ich Ihnen mehr.  Jezt geht die Post ab.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_504"> Zürich, im Waaghause</p><lb/>
            <note type="closer"> Ihrgehorsamer Sohn<lb/><note type="bibl"> I. Gottlieb Fichte.</note></note><lb/>
            <p xml:id="ID_505"> d. 26. Jun. 1793.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_506"> Was Fichte's Verehelichung aufhielt, waren die Schwierigkeiten der da¬<lb/>
maligen Züricher Gesetze bei der Verheirathung und Niederlassung eines Aus¬<lb/>
länders (I, 156. II, 154), weswegen Fichte auch unter dem 16. Juli an den<lb/>
Oberhofprediger Reinhard in Dresden schrieb mit der Bitte um Ausfertigung<lb/>
eines Erlaubnißscheines vom sächsischen Kirchcnrathe zu seiner Trauung (II, 418).</p><lb/>
            <p xml:id="ID_507" next="#ID_508"> Nicht lange aber dauerte es, bis Fichte den Ruf als Professor nach Jena<lb/>
erhielt, wo er Sonntag, den 13. Mai 1794 ankam und schon am 23. seine<lb/>
öffentlichen Vorlesungen, sowie Montag, den 26. Morgens von 6&#x2014;7 Uhr seine<lb/>
Privatvorlesungen eröffnete. So sehr ihn nun auch dieses neue Amt in An¬<lb/>
spruch nahm, so fand er dennoch Zeit, an seinen schon oben erwähnten Bru¬<lb/>
der Gotthelf zu denken und mit einer Art von väterlicher Fürsorge ihm die<lb/>
Wege zu höherer geistiger Ausbildung zu zeigen. An diesen ist denn nun eine<lb/>
ganze Reihe von Briefen gerichtet, welche im höchsten Grade anziehend wie<lb/>
belehrend sind durch die psychologische Einsicht und die pädagogische Weisheit,<lb/>
womit der ältere Bruder den jüngeren nach der Eigenthümlichkeit seines Wesens,<lb/>
seiner Anlagen und seiner Fehler beurtheilt und auf die Mittel zur Verbesse¬<lb/>
rung seinem schlechten Angewöhnungen und seiner Mängel aufmerksam macht.<lb/>
Die Klarheit und Richtigkeit dieser Beobachtungen und Bemerkungen ist so ein¬<lb/>
leuchtend, daß darüber nichts weiter zu sagen ist. Hervorzuheben aber ist<lb/>
namentlich noch erstens die von trügerischen Einbildungen und unbesonnenen<lb/>
Hoffnungen reine Nüchternheit, womit Fichte seinem Bruder gleich von vorn<lb/>
herein ankündigt, daß der ganze Bildungs- und Studienplan unter den ob¬<lb/>
waltenden Verhältnissen, bei dem vorgerückten Alter (genau findet sich dasselbe<lb/>
nicht angegeben) u. s. w. nicht mehr als eben nur ein Versuch sein könne. Her¬<lb/>
vorzuheben ist ferner auch die unerbittliche Entschiedenheit, womit er ihm immer<lb/>
und immer wieder das nothwendig Abzulegende wie das unumgänglich zu Er¬<lb/>
strebende Vorhalt, &#x2014; eine Entschiedenheit, die freilich auch heutzutage in man¬<lb/>
schen Kreisen der Erziehung um so weniger gern gesehen wird, mit je größerer<lb/>
Ueberzeugungstreue und Festigkeit sie auftritt, &#x2014; eine Entschiedenheit, deren<lb/>
Berechtigung auch damals dem Bruder, gegen den sie geltend gemacht wurde,<lb/>
nicht immer so ganz einleuchten mochte, so wie sie ja selbst der Gattin Fichte's,<lb/>
deren höchst liebenswürdige Briefe ich mit beifüge, zuweilen zu hart erschien<lb/>
(vgl. besonders den Brief Ur. 14).  So anziehend, aber diese echt weibliche</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0130] Ich und meine Geliebte grüßen herzlich alle meine Geschwister, die ich bitte sich unsrer freundschaftlich zu errinnern. Nächstens schreibe ich Ihnen mehr. Jezt geht die Post ab. Zürich, im Waaghause Ihrgehorsamer Sohn I. Gottlieb Fichte. d. 26. Jun. 1793. Was Fichte's Verehelichung aufhielt, waren die Schwierigkeiten der da¬ maligen Züricher Gesetze bei der Verheirathung und Niederlassung eines Aus¬ länders (I, 156. II, 154), weswegen Fichte auch unter dem 16. Juli an den Oberhofprediger Reinhard in Dresden schrieb mit der Bitte um Ausfertigung eines Erlaubnißscheines vom sächsischen Kirchcnrathe zu seiner Trauung (II, 418). Nicht lange aber dauerte es, bis Fichte den Ruf als Professor nach Jena erhielt, wo er Sonntag, den 13. Mai 1794 ankam und schon am 23. seine öffentlichen Vorlesungen, sowie Montag, den 26. Morgens von 6—7 Uhr seine Privatvorlesungen eröffnete. So sehr ihn nun auch dieses neue Amt in An¬ spruch nahm, so fand er dennoch Zeit, an seinen schon oben erwähnten Bru¬ der Gotthelf zu denken und mit einer Art von väterlicher Fürsorge ihm die Wege zu höherer geistiger Ausbildung zu zeigen. An diesen ist denn nun eine ganze Reihe von Briefen gerichtet, welche im höchsten Grade anziehend wie belehrend sind durch die psychologische Einsicht und die pädagogische Weisheit, womit der ältere Bruder den jüngeren nach der Eigenthümlichkeit seines Wesens, seiner Anlagen und seiner Fehler beurtheilt und auf die Mittel zur Verbesse¬ rung seinem schlechten Angewöhnungen und seiner Mängel aufmerksam macht. Die Klarheit und Richtigkeit dieser Beobachtungen und Bemerkungen ist so ein¬ leuchtend, daß darüber nichts weiter zu sagen ist. Hervorzuheben aber ist namentlich noch erstens die von trügerischen Einbildungen und unbesonnenen Hoffnungen reine Nüchternheit, womit Fichte seinem Bruder gleich von vorn herein ankündigt, daß der ganze Bildungs- und Studienplan unter den ob¬ waltenden Verhältnissen, bei dem vorgerückten Alter (genau findet sich dasselbe nicht angegeben) u. s. w. nicht mehr als eben nur ein Versuch sein könne. Her¬ vorzuheben ist ferner auch die unerbittliche Entschiedenheit, womit er ihm immer und immer wieder das nothwendig Abzulegende wie das unumgänglich zu Er¬ strebende Vorhalt, — eine Entschiedenheit, die freilich auch heutzutage in man¬ schen Kreisen der Erziehung um so weniger gern gesehen wird, mit je größerer Ueberzeugungstreue und Festigkeit sie auftritt, — eine Entschiedenheit, deren Berechtigung auch damals dem Bruder, gegen den sie geltend gemacht wurde, nicht immer so ganz einleuchten mochte, so wie sie ja selbst der Gattin Fichte's, deren höchst liebenswürdige Briefe ich mit beifüge, zuweilen zu hart erschien (vgl. besonders den Brief Ur. 14). So anziehend, aber diese echt weibliche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/130
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/130>, abgerufen am 25.08.2024.