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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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beobachten ihn und bemerken, daß seine Frömmigkeit und sein Glaubenseifer
wachsen, wie seine Begierde und Ungeduld zunehmen, eingereiht zu werden in
die Schaar der christlichen Streiter.

In dieser Gemüthsverfassung sank ich ihn, als ich das Glück hatte, ihn
zu sehen und zu segnen. Nie werde ich den Ausdruck der Wonne vergessen,
welcher auf seinem Gesicht strahlte, als er aufstand, nachdem er sich auf das
Andächtigste und Demüthigste bekreuzt. Acht Tage später war er in Rom, und
abermals zehn Tage später stand er dem Feind gegenüber und begann seine
Laufbahn mit einem Siege.

Es ist eine auffallende Bemerkung, die man bereits oft gemacht hat, daß
der Herr unter so vielen tapfern Streitern die reinsten und tugendhaftesten zu
seinen Opfern auserkoren hat." --

Nun liest der hochwürdigste Redner den oben mitgetheilten rührenden
Abschiedsbrief aus Tivoli vor und fährt dann mit einem Commentar zu "diesem
politischen Testament des jungen Bretagners", wie er das Schreiben nennt, in
höherm Schwung fort:

"Ja er hat recht, der Sohn Gomenechs, das bretagnische Schreinerlein:
die Sache des Papstthums ist seine Sache, es ist die Sache der ganzen Welt.
O mein Sohn, du hast es nicht geahnt, aber auf deinem Todtenbette entäußer¬
test du dich deiner natürlichen Gestalt und erwuchsest zu einem Helden, zu
einem Riesen, indem du diese Worte sprachst: "Ich lasse unsre Sache in den
Händen des Herrn". Thomas von Canterbury*) unter dem Schwert seiner
Henker hat kein größeres Wort gesprochen als dieses. Nun, mein Sohn, der
Herr nimmt dein Vermächtnis; an, er wird deinen letzten Seufzer crhören-
Meine Brüder, von einem Sohn der Bretagne, der sein Blut für seinen Glan.
den vergossen hat und zum Himmel, seinem Vaterlande, sich aufschwingt, ergeht
die Mahnung an die Könige, an die Kaiser, an die Völker, und wenn die Für¬
sten und Völker nicht daraus achten, wenn durch eine Verknüpfung von Um¬
ständen, die unsrer Zeit keine Ehre machen, die Cabinete Europa's sich nicht zu
der Höhe des politischen und religiösen Testaments unsres Sterbenden von Ti¬
voli aufschwingen können, gut dann, so bleiben der verlassenen Sache der Herr
da droben und hienieden opferfreudige Seelen, deren Zahl größer und immer
größer werden wird, wenn es sein muß, bis ans Ende der Tage. Und wenn
die Zahl der Märtyrer voll sein wird, so wird der göttliche Zorn ihr Blut
rächen, und das wird das Ende sein.

Du aber, junger Held, wenn Gott dich zu sich aufnimmt, wirst du unter
uns nicht vergessen werden. Du thatest recht daran, unsrer gastlichen Stadt zu
vertrauen, sie wird dir ihre Liebe auch nach deinem Tode bewahren. Poitiers,



>) Thomas Becket.
15*

beobachten ihn und bemerken, daß seine Frömmigkeit und sein Glaubenseifer
wachsen, wie seine Begierde und Ungeduld zunehmen, eingereiht zu werden in
die Schaar der christlichen Streiter.

In dieser Gemüthsverfassung sank ich ihn, als ich das Glück hatte, ihn
zu sehen und zu segnen. Nie werde ich den Ausdruck der Wonne vergessen,
welcher auf seinem Gesicht strahlte, als er aufstand, nachdem er sich auf das
Andächtigste und Demüthigste bekreuzt. Acht Tage später war er in Rom, und
abermals zehn Tage später stand er dem Feind gegenüber und begann seine
Laufbahn mit einem Siege.

Es ist eine auffallende Bemerkung, die man bereits oft gemacht hat, daß
der Herr unter so vielen tapfern Streitern die reinsten und tugendhaftesten zu
seinen Opfern auserkoren hat." —

Nun liest der hochwürdigste Redner den oben mitgetheilten rührenden
Abschiedsbrief aus Tivoli vor und fährt dann mit einem Commentar zu „diesem
politischen Testament des jungen Bretagners", wie er das Schreiben nennt, in
höherm Schwung fort:

„Ja er hat recht, der Sohn Gomenechs, das bretagnische Schreinerlein:
die Sache des Papstthums ist seine Sache, es ist die Sache der ganzen Welt.
O mein Sohn, du hast es nicht geahnt, aber auf deinem Todtenbette entäußer¬
test du dich deiner natürlichen Gestalt und erwuchsest zu einem Helden, zu
einem Riesen, indem du diese Worte sprachst: „Ich lasse unsre Sache in den
Händen des Herrn". Thomas von Canterbury*) unter dem Schwert seiner
Henker hat kein größeres Wort gesprochen als dieses. Nun, mein Sohn, der
Herr nimmt dein Vermächtnis; an, er wird deinen letzten Seufzer crhören-
Meine Brüder, von einem Sohn der Bretagne, der sein Blut für seinen Glan.
den vergossen hat und zum Himmel, seinem Vaterlande, sich aufschwingt, ergeht
die Mahnung an die Könige, an die Kaiser, an die Völker, und wenn die Für¬
sten und Völker nicht daraus achten, wenn durch eine Verknüpfung von Um¬
ständen, die unsrer Zeit keine Ehre machen, die Cabinete Europa's sich nicht zu
der Höhe des politischen und religiösen Testaments unsres Sterbenden von Ti¬
voli aufschwingen können, gut dann, so bleiben der verlassenen Sache der Herr
da droben und hienieden opferfreudige Seelen, deren Zahl größer und immer
größer werden wird, wenn es sein muß, bis ans Ende der Tage. Und wenn
die Zahl der Märtyrer voll sein wird, so wird der göttliche Zorn ihr Blut
rächen, und das wird das Ende sein.

Du aber, junger Held, wenn Gott dich zu sich aufnimmt, wirst du unter
uns nicht vergessen werden. Du thatest recht daran, unsrer gastlichen Stadt zu
vertrauen, sie wird dir ihre Liebe auch nach deinem Tode bewahren. Poitiers,



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[0123] beobachten ihn und bemerken, daß seine Frömmigkeit und sein Glaubenseifer wachsen, wie seine Begierde und Ungeduld zunehmen, eingereiht zu werden in die Schaar der christlichen Streiter. In dieser Gemüthsverfassung sank ich ihn, als ich das Glück hatte, ihn zu sehen und zu segnen. Nie werde ich den Ausdruck der Wonne vergessen, welcher auf seinem Gesicht strahlte, als er aufstand, nachdem er sich auf das Andächtigste und Demüthigste bekreuzt. Acht Tage später war er in Rom, und abermals zehn Tage später stand er dem Feind gegenüber und begann seine Laufbahn mit einem Siege. Es ist eine auffallende Bemerkung, die man bereits oft gemacht hat, daß der Herr unter so vielen tapfern Streitern die reinsten und tugendhaftesten zu seinen Opfern auserkoren hat." — Nun liest der hochwürdigste Redner den oben mitgetheilten rührenden Abschiedsbrief aus Tivoli vor und fährt dann mit einem Commentar zu „diesem politischen Testament des jungen Bretagners", wie er das Schreiben nennt, in höherm Schwung fort: „Ja er hat recht, der Sohn Gomenechs, das bretagnische Schreinerlein: die Sache des Papstthums ist seine Sache, es ist die Sache der ganzen Welt. O mein Sohn, du hast es nicht geahnt, aber auf deinem Todtenbette entäußer¬ test du dich deiner natürlichen Gestalt und erwuchsest zu einem Helden, zu einem Riesen, indem du diese Worte sprachst: „Ich lasse unsre Sache in den Händen des Herrn". Thomas von Canterbury*) unter dem Schwert seiner Henker hat kein größeres Wort gesprochen als dieses. Nun, mein Sohn, der Herr nimmt dein Vermächtnis; an, er wird deinen letzten Seufzer crhören- Meine Brüder, von einem Sohn der Bretagne, der sein Blut für seinen Glan. den vergossen hat und zum Himmel, seinem Vaterlande, sich aufschwingt, ergeht die Mahnung an die Könige, an die Kaiser, an die Völker, und wenn die Für¬ sten und Völker nicht daraus achten, wenn durch eine Verknüpfung von Um¬ ständen, die unsrer Zeit keine Ehre machen, die Cabinete Europa's sich nicht zu der Höhe des politischen und religiösen Testaments unsres Sterbenden von Ti¬ voli aufschwingen können, gut dann, so bleiben der verlassenen Sache der Herr da droben und hienieden opferfreudige Seelen, deren Zahl größer und immer größer werden wird, wenn es sein muß, bis ans Ende der Tage. Und wenn die Zahl der Märtyrer voll sein wird, so wird der göttliche Zorn ihr Blut rächen, und das wird das Ende sein. Du aber, junger Held, wenn Gott dich zu sich aufnimmt, wirst du unter uns nicht vergessen werden. Du thatest recht daran, unsrer gastlichen Stadt zu vertrauen, sie wird dir ihre Liebe auch nach deinem Tode bewahren. Poitiers, >) Thomas Becket. 15*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/123>, abgerufen am 24.08.2024.