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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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brauch des von ihr zum Gottesdienst ermiethcten Lokals entzogen worden ist,
ja er "hoffte, die ketzerische Synagoge ganz aus der Stadt zu treiben". So
mußten die Evangelischen in Arras an den Bau eines eignen Bethauses denken.
Auf ihre Bitte wurde ihnen vom Gustav-Adolf-Verein eine nicht unbeträchtliche
Beihülfe für diesen Zweck gewährt, allein ohne weitere Unterstützung würde
derselbe nicht zu erreichen sein.

In Epinal folgten sich von 1846 bis 1856, da die Seelsorge hier mit
außerordentlichen Mühseligkeiten verbunden ist, nicht weniger als sechs Pfarrer.
Diese Missionspfarrei umfaßt beinahe das ganze Departement. Mühsam hat
der jetzt hier wirkende Geistliche die seiner Pflege Befohlenen erst aufsuchen
und kennen lernen müssen. 1857 waren circa vierhundert Protestanten in das
Verzeichnis; des Pfarrers aufgenommen, 1860 bereits fünfhundert, und man
glaubt, daß genauere Bekanntschaft mit den einzelnen Orten des Sprengels
noch mehre Hunderte entdecken lassen wird. Diese vereinzelten Evangelischen,
zum größern Theil Deutsche aus den verschiedensten Gegenden, wohnen in mehr
alö siebzig Ortschaften zerstreut. Man trifft unter ihnen sechzig reinprotestan¬
tische Familien und 130 gemischte Ehen; unter letztere" wieder sind nur einige
dreißig, deren .Kinder dem evangelischen Glauben erhalten bleiben. Die Mehr¬
zahl der Familienväter besteht aus Fabrikarbeitern und Hirten. Der Pfarrer
hält an zehn verschiedenen Orten Gottesdienst, die Versorgung der Gemeinde
führt ihn oft sechzig bis siebzig Kilometer von Epinal hinweg und veranlaßt
häufig eine Abwesenheit von acht bis zehn Tagen. Seine schwierigste Aufgabe
ist der Unterricht der Kinder. Ueber siebzig evangelische Knaben und Mädchen
dieser Pfarrei erhalten jetzt nur katholischen oder gar keinen Unterricht. Jeden
Winter werden einige der weitzersireutcn Kinder in Epinal aufgenommen, um
durch den Pfarrer auf die Konfirmation vorbereitet zu werden. Derselbe hat
hierbei Konfirmanden von zwanzig Jahren gehabt, denen er zunächst das Le¬
sen lehren mußte. Die Unterbringung einer genügenden Anzahl solcher jungen
Leute in Epinal zu zweckmäßiger Unterweisung ist aber unmöglich, so lauge
man dazu nicht ein eignes Haus und einen besondern Lehrer hat. Die fast
ganz mittellose Gemeinde allein kann dies nicht zu Stande bringen, und so
kann die kräftige Förderung dieses nützlichen Werth namentlich den Frauen¬
vereinen der Gustav-Adolf-Stiftung nicht dringend genug empfohlen werden.

In Le Mans hat sich vor einigen Jahren eine protestantische Gemeinde
gebildet, und nach Verlauf von beinahe drei Jahrhunderten fungirt hier wie¬
der ein evangelischer Prediger und Seelsorger. Schon haben gegen fünfzig
Uebertritte von Katholiken stattgefunden. Das ermicthete Betlokal ist un¬
geeignet, und man denkt an den Bau eines eigenen Bethauses. Die Gemeinde
ist jedoch vom Staat noch nicht anerkannt, und so hat sie weder von diesem
noch von den Ortsbehörden auf Unterstützung zu rechnen.


brauch des von ihr zum Gottesdienst ermiethcten Lokals entzogen worden ist,
ja er „hoffte, die ketzerische Synagoge ganz aus der Stadt zu treiben". So
mußten die Evangelischen in Arras an den Bau eines eignen Bethauses denken.
Auf ihre Bitte wurde ihnen vom Gustav-Adolf-Verein eine nicht unbeträchtliche
Beihülfe für diesen Zweck gewährt, allein ohne weitere Unterstützung würde
derselbe nicht zu erreichen sein.

In Epinal folgten sich von 1846 bis 1856, da die Seelsorge hier mit
außerordentlichen Mühseligkeiten verbunden ist, nicht weniger als sechs Pfarrer.
Diese Missionspfarrei umfaßt beinahe das ganze Departement. Mühsam hat
der jetzt hier wirkende Geistliche die seiner Pflege Befohlenen erst aufsuchen
und kennen lernen müssen. 1857 waren circa vierhundert Protestanten in das
Verzeichnis; des Pfarrers aufgenommen, 1860 bereits fünfhundert, und man
glaubt, daß genauere Bekanntschaft mit den einzelnen Orten des Sprengels
noch mehre Hunderte entdecken lassen wird. Diese vereinzelten Evangelischen,
zum größern Theil Deutsche aus den verschiedensten Gegenden, wohnen in mehr
alö siebzig Ortschaften zerstreut. Man trifft unter ihnen sechzig reinprotestan¬
tische Familien und 130 gemischte Ehen; unter letztere» wieder sind nur einige
dreißig, deren .Kinder dem evangelischen Glauben erhalten bleiben. Die Mehr¬
zahl der Familienväter besteht aus Fabrikarbeitern und Hirten. Der Pfarrer
hält an zehn verschiedenen Orten Gottesdienst, die Versorgung der Gemeinde
führt ihn oft sechzig bis siebzig Kilometer von Epinal hinweg und veranlaßt
häufig eine Abwesenheit von acht bis zehn Tagen. Seine schwierigste Aufgabe
ist der Unterricht der Kinder. Ueber siebzig evangelische Knaben und Mädchen
dieser Pfarrei erhalten jetzt nur katholischen oder gar keinen Unterricht. Jeden
Winter werden einige der weitzersireutcn Kinder in Epinal aufgenommen, um
durch den Pfarrer auf die Konfirmation vorbereitet zu werden. Derselbe hat
hierbei Konfirmanden von zwanzig Jahren gehabt, denen er zunächst das Le¬
sen lehren mußte. Die Unterbringung einer genügenden Anzahl solcher jungen
Leute in Epinal zu zweckmäßiger Unterweisung ist aber unmöglich, so lauge
man dazu nicht ein eignes Haus und einen besondern Lehrer hat. Die fast
ganz mittellose Gemeinde allein kann dies nicht zu Stande bringen, und so
kann die kräftige Förderung dieses nützlichen Werth namentlich den Frauen¬
vereinen der Gustav-Adolf-Stiftung nicht dringend genug empfohlen werden.

In Le Mans hat sich vor einigen Jahren eine protestantische Gemeinde
gebildet, und nach Verlauf von beinahe drei Jahrhunderten fungirt hier wie¬
der ein evangelischer Prediger und Seelsorger. Schon haben gegen fünfzig
Uebertritte von Katholiken stattgefunden. Das ermicthete Betlokal ist un¬
geeignet, und man denkt an den Bau eines eigenen Bethauses. Die Gemeinde
ist jedoch vom Staat noch nicht anerkannt, und so hat sie weder von diesem
noch von den Ortsbehörden auf Unterstützung zu rechnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/112>, abgerufen am 25.08.2024.