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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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wagte Sache, sich zu verheirathen, ohne ein Amt zu haben; und endlich fühle
ich zu viel Kraft und Trieb in mir, um mir durch eine Verheirathung gleich¬
sam die Flügel abzuschneiden, mich in ein Joch zu feßeln, von dem ich nie
wieder loskommen kann, und mich nun so gutwillig zu entschließen, mein Leben,
als ein Alltags Mensch vollends zu verleben. -- Ich bin also seit einiger
Zeit sehr unentschloßen, ob ich gehen werde.

Gehe ich aber nicht, so weiß ich nicht, was ich anfangen werde. Ich habe
mehreren Männern hier in Leipzig, die sich für mich intereßiren, gesagt: daß
ich ihnen für ihre Güte danke; weil ich auf Ostern anderweitige Aussichten
habe. Ich darf ferner dann nicht in Leipzig bleiben, weil meine Geliebte mich
hier zu gut zu finden weiß; weil ich mich der Fortdauer eines Briefwechsels ausseze,
der mir sehr beschwerlich werden würde; weil ich ihr die in meiner Seele vor¬
gegangene Peränderung nicht Plözlich sagen, sondern sie allmählich darauf vor¬
bereiten will. -- Muß ich aber Leipzig verlaßen, so bleibt mir nichts übrig,
als Dreßdcn. Davon unten ein mehreres.

Der Schluß des Schreibens fehlt.

Der nächste, ebenfalls nicht ganz vollständig erhaltene Brief führt die
Aufschrift-


Dem
Herrn ?iclrtö
Krämerin
d. Einschluß bis Querfurt. Rammonau
x. Liseliotsweräa.

und stammt aus dem Jahre 1792, da Fichte am i. Juli i?9i nach Königs¬
berg und im Herbste (September?) dieses Jahres in das gräflich Krockowsche
Haus in der Nähe von Danzig gekommen war.


6-

Theuerste Eltern;

Ich habe Ihnen schon verwichnen Herbst von Königsberg aus geschrieben,
ich ersehe aber aus der erst vor zwei Tagen eingelaufenen Antwort meines
Korrespondenten in Sachsen, daß Sie diesen Brief erst im Februar dieses Jahres
können erhalten haben. Meine Lage hat sich seitdem sehr geändert, und ich
ergreife die erste Gelegenheit, da ich nach Sachsen schreibe, um Sie davon zu
benachrichtigen. Ich habe nemlich meinen Ekel gegen das Hofmeister Leben noch
einmal überwunden, und lebe seit October vorigen Jahrs in Krockow, bei
Neustadt, in West Preußen hart an der Ost See, 6. Meilen westwärts
Danzig als Führer des Sohns des König!. Preußischen Obrist Grasen von
Krockow. Diesmal hat mich meine Entschließung nicht gereut, und wird mich
warscheinlich nie reuen. Ich bin in einem Hause, das in seiner Art einzig


wagte Sache, sich zu verheirathen, ohne ein Amt zu haben; und endlich fühle
ich zu viel Kraft und Trieb in mir, um mir durch eine Verheirathung gleich¬
sam die Flügel abzuschneiden, mich in ein Joch zu feßeln, von dem ich nie
wieder loskommen kann, und mich nun so gutwillig zu entschließen, mein Leben,
als ein Alltags Mensch vollends zu verleben. — Ich bin also seit einiger
Zeit sehr unentschloßen, ob ich gehen werde.

Gehe ich aber nicht, so weiß ich nicht, was ich anfangen werde. Ich habe
mehreren Männern hier in Leipzig, die sich für mich intereßiren, gesagt: daß
ich ihnen für ihre Güte danke; weil ich auf Ostern anderweitige Aussichten
habe. Ich darf ferner dann nicht in Leipzig bleiben, weil meine Geliebte mich
hier zu gut zu finden weiß; weil ich mich der Fortdauer eines Briefwechsels ausseze,
der mir sehr beschwerlich werden würde; weil ich ihr die in meiner Seele vor¬
gegangene Peränderung nicht Plözlich sagen, sondern sie allmählich darauf vor¬
bereiten will. — Muß ich aber Leipzig verlaßen, so bleibt mir nichts übrig,
als Dreßdcn. Davon unten ein mehreres.

Der Schluß des Schreibens fehlt.

Der nächste, ebenfalls nicht ganz vollständig erhaltene Brief führt die
Aufschrift-


Dem
Herrn ?iclrtö
Krämerin
d. Einschluß bis Querfurt. Rammonau
x. Liseliotsweräa.

und stammt aus dem Jahre 1792, da Fichte am i. Juli i?9i nach Königs¬
berg und im Herbste (September?) dieses Jahres in das gräflich Krockowsche
Haus in der Nähe von Danzig gekommen war.


6-

Theuerste Eltern;

Ich habe Ihnen schon verwichnen Herbst von Königsberg aus geschrieben,
ich ersehe aber aus der erst vor zwei Tagen eingelaufenen Antwort meines
Korrespondenten in Sachsen, daß Sie diesen Brief erst im Februar dieses Jahres
können erhalten haben. Meine Lage hat sich seitdem sehr geändert, und ich
ergreife die erste Gelegenheit, da ich nach Sachsen schreibe, um Sie davon zu
benachrichtigen. Ich habe nemlich meinen Ekel gegen das Hofmeister Leben noch
einmal überwunden, und lebe seit October vorigen Jahrs in Krockow, bei
Neustadt, in West Preußen hart an der Ost See, 6. Meilen westwärts
Danzig als Führer des Sohns des König!. Preußischen Obrist Grasen von
Krockow. Diesmal hat mich meine Entschließung nicht gereut, und wird mich
warscheinlich nie reuen. Ich bin in einem Hause, das in seiner Art einzig


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[0103] wagte Sache, sich zu verheirathen, ohne ein Amt zu haben; und endlich fühle ich zu viel Kraft und Trieb in mir, um mir durch eine Verheirathung gleich¬ sam die Flügel abzuschneiden, mich in ein Joch zu feßeln, von dem ich nie wieder loskommen kann, und mich nun so gutwillig zu entschließen, mein Leben, als ein Alltags Mensch vollends zu verleben. — Ich bin also seit einiger Zeit sehr unentschloßen, ob ich gehen werde. Gehe ich aber nicht, so weiß ich nicht, was ich anfangen werde. Ich habe mehreren Männern hier in Leipzig, die sich für mich intereßiren, gesagt: daß ich ihnen für ihre Güte danke; weil ich auf Ostern anderweitige Aussichten habe. Ich darf ferner dann nicht in Leipzig bleiben, weil meine Geliebte mich hier zu gut zu finden weiß; weil ich mich der Fortdauer eines Briefwechsels ausseze, der mir sehr beschwerlich werden würde; weil ich ihr die in meiner Seele vor¬ gegangene Peränderung nicht Plözlich sagen, sondern sie allmählich darauf vor¬ bereiten will. — Muß ich aber Leipzig verlaßen, so bleibt mir nichts übrig, als Dreßdcn. Davon unten ein mehreres. Der Schluß des Schreibens fehlt. Der nächste, ebenfalls nicht ganz vollständig erhaltene Brief führt die Aufschrift- Dem Herrn ?iclrtö Krämerin d. Einschluß bis Querfurt. Rammonau x. Liseliotsweräa. und stammt aus dem Jahre 1792, da Fichte am i. Juli i?9i nach Königs¬ berg und im Herbste (September?) dieses Jahres in das gräflich Krockowsche Haus in der Nähe von Danzig gekommen war. 6- Theuerste Eltern; Ich habe Ihnen schon verwichnen Herbst von Königsberg aus geschrieben, ich ersehe aber aus der erst vor zwei Tagen eingelaufenen Antwort meines Korrespondenten in Sachsen, daß Sie diesen Brief erst im Februar dieses Jahres können erhalten haben. Meine Lage hat sich seitdem sehr geändert, und ich ergreife die erste Gelegenheit, da ich nach Sachsen schreibe, um Sie davon zu benachrichtigen. Ich habe nemlich meinen Ekel gegen das Hofmeister Leben noch einmal überwunden, und lebe seit October vorigen Jahrs in Krockow, bei Neustadt, in West Preußen hart an der Ost See, 6. Meilen westwärts Danzig als Führer des Sohns des König!. Preußischen Obrist Grasen von Krockow. Diesmal hat mich meine Entschließung nicht gereut, und wird mich warscheinlich nie reuen. Ich bin in einem Hause, das in seiner Art einzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/103>, abgerufen am 24.08.2024.