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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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scheinlich nicht herauskommen wird, weil ich sie nicht vollendet habe; der ich
aber doch glükliche Tage, und eine sehr vortheilhafte Revolution in meinem
Kopfe, und Herzen verdanke.

Eine neue Periode! Unter den Häusern, mit denen ich in Zürich sehr ge¬
nau bekannt war, war das, eines Mannes von ohngefähr 70. Jahren, der mit
dem besten Herzen viel Kenntniße und eine ungeheure Welt- und Menschen¬
kenntniß vereinigte. Dieser Mann wurde durch einen vertrauten Umgang mit
mir in die schönen Zeiten seiner Jugend zurükversezt. Er liebte mich, als ein
Vater; und verehrte mich höher, als es meine Verdienste, oder seine Jahre
eigentlich erlaubten. Dieser Mann hatte eine einzige Tochter, die unter seinen Augen
aufgewachsen war; die noch nichts gefühlt hatte, als innige Verehrung dieses Vaters,
und die von Jugend auf gewohnt war, alles mit den Augen ihres Vaters anzusehen.
War es ein Wunder, daß, ganz ohne mein Zuthun, der Liebling des Vaters
auch der der Tochter wurde? Welche Mansperson ist nicht scharfsinnig genug.
Empfindungen von der Art bald zu entdeken, die noch dazu mir eben nicht
verboten wurden? Mein Herz war leer, Charlotte Schlicker war schon längst
daraus vertilgt. Ich ließ mich lieben, ohne es eben zu sehr zu begehren. --
Ich reiste von Zürich ab, nachdem wir einander unbestimmte Versprechungen
gemacht, und einen beständigen Briefwechsel verabredet hatten. Dieser Brief¬
wechsel wurde von Ihrer Seite immer dringender, und zärtlicher. Endlich --
und das fiel in jene Periode meiner Philosophie, meiner hohen Seelenruhe und
meiner gänzlichen Gleichgültigkeit gegen allen Glanz der Welt -- schrieb sie
mir, ich solle, da meine Aussichten scheiterten, zu ihr nach Zürich kommen; das
Haus ihres Vaters, und ihre Arme stünden mir offen. Ich besann mich in
meiner damaligen Stimmung keinen Augenblick Ja zu sagen. Noch erwartet
sie mich in der Mitte Des Aprilis, und will sich sogleich bei meiner Ankunft
mit mir verheirathen. Ihr Vater hat mich in dem zärtlichsten Briefe eingeladen.
Sie selbst ist die edelste, treflichste Seele; hat Verstand, mehr als ich, und ist
dabei sehr liebenswürdig; liebt mich, wie wohl wenig Mannspersonen geliebt
worden sind. Sie ist nicht ohne Vermögen, und ich hätte die Aussicht einige
Jahre in Ruhe mein Studiren abzuwarten, bis ich entweder als Schriftsteller,
oder in einem öffentlichen Amte, welches ich durch die Empfehlung einer Menge
großer Männer in der Schweiz, die sehr viel von mir halten, und die Korre¬
spondenz in alle Länder Europas haben, wohl erhalten könnte, selbst ein Haus¬
wesen unterhalten könnte. -- Ich bin seit Michaelis fest entschloßen gewesen,
diesen Antrag zu ergreifen; und noch da ich meinen leztern Brief schrieb, war
ich der Meynung, und schrieb daher, daß ich zu Ostern nach der Schweiz gehen
würde. Aber von einer andern Seite hat eine gewiße Begebenheit wieder
meinen ganzen Durst in die Welt hinaus aufgewekt; ich liebe die Sitten der
Schweizer nicht, und würde ungern unter ihnen leben, es .ist immer eine ge-


scheinlich nicht herauskommen wird, weil ich sie nicht vollendet habe; der ich
aber doch glükliche Tage, und eine sehr vortheilhafte Revolution in meinem
Kopfe, und Herzen verdanke.

Eine neue Periode! Unter den Häusern, mit denen ich in Zürich sehr ge¬
nau bekannt war, war das, eines Mannes von ohngefähr 70. Jahren, der mit
dem besten Herzen viel Kenntniße und eine ungeheure Welt- und Menschen¬
kenntniß vereinigte. Dieser Mann wurde durch einen vertrauten Umgang mit
mir in die schönen Zeiten seiner Jugend zurükversezt. Er liebte mich, als ein
Vater; und verehrte mich höher, als es meine Verdienste, oder seine Jahre
eigentlich erlaubten. Dieser Mann hatte eine einzige Tochter, die unter seinen Augen
aufgewachsen war; die noch nichts gefühlt hatte, als innige Verehrung dieses Vaters,
und die von Jugend auf gewohnt war, alles mit den Augen ihres Vaters anzusehen.
War es ein Wunder, daß, ganz ohne mein Zuthun, der Liebling des Vaters
auch der der Tochter wurde? Welche Mansperson ist nicht scharfsinnig genug.
Empfindungen von der Art bald zu entdeken, die noch dazu mir eben nicht
verboten wurden? Mein Herz war leer, Charlotte Schlicker war schon längst
daraus vertilgt. Ich ließ mich lieben, ohne es eben zu sehr zu begehren. —
Ich reiste von Zürich ab, nachdem wir einander unbestimmte Versprechungen
gemacht, und einen beständigen Briefwechsel verabredet hatten. Dieser Brief¬
wechsel wurde von Ihrer Seite immer dringender, und zärtlicher. Endlich —
und das fiel in jene Periode meiner Philosophie, meiner hohen Seelenruhe und
meiner gänzlichen Gleichgültigkeit gegen allen Glanz der Welt — schrieb sie
mir, ich solle, da meine Aussichten scheiterten, zu ihr nach Zürich kommen; das
Haus ihres Vaters, und ihre Arme stünden mir offen. Ich besann mich in
meiner damaligen Stimmung keinen Augenblick Ja zu sagen. Noch erwartet
sie mich in der Mitte Des Aprilis, und will sich sogleich bei meiner Ankunft
mit mir verheirathen. Ihr Vater hat mich in dem zärtlichsten Briefe eingeladen.
Sie selbst ist die edelste, treflichste Seele; hat Verstand, mehr als ich, und ist
dabei sehr liebenswürdig; liebt mich, wie wohl wenig Mannspersonen geliebt
worden sind. Sie ist nicht ohne Vermögen, und ich hätte die Aussicht einige
Jahre in Ruhe mein Studiren abzuwarten, bis ich entweder als Schriftsteller,
oder in einem öffentlichen Amte, welches ich durch die Empfehlung einer Menge
großer Männer in der Schweiz, die sehr viel von mir halten, und die Korre¬
spondenz in alle Länder Europas haben, wohl erhalten könnte, selbst ein Haus¬
wesen unterhalten könnte. — Ich bin seit Michaelis fest entschloßen gewesen,
diesen Antrag zu ergreifen; und noch da ich meinen leztern Brief schrieb, war
ich der Meynung, und schrieb daher, daß ich zu Ostern nach der Schweiz gehen
würde. Aber von einer andern Seite hat eine gewiße Begebenheit wieder
meinen ganzen Durst in die Welt hinaus aufgewekt; ich liebe die Sitten der
Schweizer nicht, und würde ungern unter ihnen leben, es .ist immer eine ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/102>, abgerufen am 24.08.2024.