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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Leiter ihren einzigen wirklichen Kernpunkt in der Rücksichtslosigkeit fand, mit
der sie in der Presse und in den Wahlreden dem Ministerium gegcnübcrtrat,
daß die liberale Partei je nach dem individuellen Wärmegrad der Rücksichten
ihrer Mitglieder in Fractionen zerfuhr, welche die Disciplin der Partei vernich¬
teten, und daß, als Spott und Hohn an den preußischen Staat herantraten,
sich einflußreiche Stimmen zu Cynismen verirren konnten, wie: "kein Gut, kein
Blut", -- Cynismen, die ein bleibender Schandfleck in dem Ehrenbuche einer Na¬
tion sind. So endlich kam es, daß jene drängende Partei ihre Todtschlagslaune
schließlich gerade gegen den liberalen Theil des Ministerium ausließ, und das
bei einer Gelegenheit, bei welcher sie recht schlagend beweisen sollte, daß sie
ebensowenig sachliche Bedenken gelten ließ, als persönliche. Das Abgeordne¬
tenhaus wurde aufgelöst, die liberalen Minister folgten ihm nach, und das
preußische Volk steht vor neuen Wahlen, in denen es nicht allein Unabhängig¬
keit und Energie, sondern auch Staatsklugheit und Einsicht beweisen soll.

In diesem Augenblicke nun stellt das neue Ministerium dem preußischen
Volke die Frage: königliches oder parlamentarisches Regiment? wirft es, dein
Ausspruche Richard des Zweiten bei Shakespeare vertrauend:


^ "Des Königs Nam' ist vierzigtausend Namen",

die Autorität der Krone in den Kampf der Parteien hinein, und erklärt jeden Gegner
des jetzigen Ministeriums für einen Feind des Königs. Man hat das Ministerium
wegen dieser Taktik, welche den Monarchen in Kampf mit seinem Land setzt, ange¬
klagt, allein bei genauerem Zusehen wird man bekennen, daß, wenn es auch geschick¬
ter gewesen wäre, die Schroffheiten der Situation nicht so zu betonen, doch
factisch der Kampf kein anderer ist, als ein Kampf des Monarchen mit seinem
Volke. Der König hat seine Minister aus eigenster, freiester Entschließung ge¬
wählt, sie stützen sich auf keine Partei, sie finden ihren alleinigen Titel in dem
Willen des Königs, ihre Wahl sollte geflissentlich den Gegensatz zum Parlamen¬
tarismus ausdrücken, und so ist es denn auch -- mag sie ausgesprochen wer¬
den oder nicht -- die nothwendige Folge, daß das Volk in seinen Wahlen zu
beweisen hat, Wie weit das königliche: "sie volo, sie .jubeo" noch Einfluß auf
dasselbe hat, und es tan" nicht fehlen, daß die Würde und das Ansehen des
Königthums in Preußen in diesem ungleichen Kampf schwere Schädigung
erleidet, wie sie der Parlamentarismus der Krone nie zufügen läßt. Daß
nun aber die Frage, wie sie das Ministerium stellt: königliches oder par¬
lamentarisches Regiment? wenn sie von Versicherungen des Festhaltens an der
Verfassung begleitet wird, nicht correct sein kann, braucht kaum bewiesen zu
werden. Denn diese Formulirung ignorirt den Dualismus der beiden Gewal¬
ten, oder setzt die Nothwendigkeit der absoluten Unterordnung der einen unter
die andere voraus, fordert also, indem es für königliches Regiment plaidirt,
factisch die Rehavilitirung deS Absolutismus.


Leiter ihren einzigen wirklichen Kernpunkt in der Rücksichtslosigkeit fand, mit
der sie in der Presse und in den Wahlreden dem Ministerium gegcnübcrtrat,
daß die liberale Partei je nach dem individuellen Wärmegrad der Rücksichten
ihrer Mitglieder in Fractionen zerfuhr, welche die Disciplin der Partei vernich¬
teten, und daß, als Spott und Hohn an den preußischen Staat herantraten,
sich einflußreiche Stimmen zu Cynismen verirren konnten, wie: „kein Gut, kein
Blut", — Cynismen, die ein bleibender Schandfleck in dem Ehrenbuche einer Na¬
tion sind. So endlich kam es, daß jene drängende Partei ihre Todtschlagslaune
schließlich gerade gegen den liberalen Theil des Ministerium ausließ, und das
bei einer Gelegenheit, bei welcher sie recht schlagend beweisen sollte, daß sie
ebensowenig sachliche Bedenken gelten ließ, als persönliche. Das Abgeordne¬
tenhaus wurde aufgelöst, die liberalen Minister folgten ihm nach, und das
preußische Volk steht vor neuen Wahlen, in denen es nicht allein Unabhängig¬
keit und Energie, sondern auch Staatsklugheit und Einsicht beweisen soll.

In diesem Augenblicke nun stellt das neue Ministerium dem preußischen
Volke die Frage: königliches oder parlamentarisches Regiment? wirft es, dein
Ausspruche Richard des Zweiten bei Shakespeare vertrauend:


^ „Des Königs Nam' ist vierzigtausend Namen",

die Autorität der Krone in den Kampf der Parteien hinein, und erklärt jeden Gegner
des jetzigen Ministeriums für einen Feind des Königs. Man hat das Ministerium
wegen dieser Taktik, welche den Monarchen in Kampf mit seinem Land setzt, ange¬
klagt, allein bei genauerem Zusehen wird man bekennen, daß, wenn es auch geschick¬
ter gewesen wäre, die Schroffheiten der Situation nicht so zu betonen, doch
factisch der Kampf kein anderer ist, als ein Kampf des Monarchen mit seinem
Volke. Der König hat seine Minister aus eigenster, freiester Entschließung ge¬
wählt, sie stützen sich auf keine Partei, sie finden ihren alleinigen Titel in dem
Willen des Königs, ihre Wahl sollte geflissentlich den Gegensatz zum Parlamen¬
tarismus ausdrücken, und so ist es denn auch — mag sie ausgesprochen wer¬
den oder nicht — die nothwendige Folge, daß das Volk in seinen Wahlen zu
beweisen hat, Wie weit das königliche: „sie volo, sie .jubeo" noch Einfluß auf
dasselbe hat, und es tan» nicht fehlen, daß die Würde und das Ansehen des
Königthums in Preußen in diesem ungleichen Kampf schwere Schädigung
erleidet, wie sie der Parlamentarismus der Krone nie zufügen läßt. Daß
nun aber die Frage, wie sie das Ministerium stellt: königliches oder par¬
lamentarisches Regiment? wenn sie von Versicherungen des Festhaltens an der
Verfassung begleitet wird, nicht correct sein kann, braucht kaum bewiesen zu
werden. Denn diese Formulirung ignorirt den Dualismus der beiden Gewal¬
ten, oder setzt die Nothwendigkeit der absoluten Unterordnung der einen unter
die andere voraus, fordert also, indem es für königliches Regiment plaidirt,
factisch die Rehavilitirung deS Absolutismus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/92>, abgerufen am 08.01.2025.