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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Diese Geschichte flößte unserm Verfasser die ernste Furcht ein, der Teufel
möchte auch ihm einmal einen solchen Streich spielen. "Mit ängstlicher Sorg¬
falt," so erzählt er, "hol? ich wochenlang beim Schlafengehen die Bettdecke auf,
aus Furcht der Teufel möchte darunter liegen, und nicht eher stieg ich ins Bett,
als bis ich mich gründlich überzeugt hatte, daß der Böse auch nicht unter der
Bettstelle stecke. Bei dieser Untersuchung bewaffnete ich mich für den Fall der
Noth mit dem geweihten Palmzweig, den ich zuvor ins Weihwasser tauchte.
Ich besprengte schließlich das Bett kreuzweis und wagte erst dann zur Ruhe
zu gehen."

Durchschnittlich blieben den Zöglingen des Germanicums zum Privatstu¬
dium auf ihren Zellen täglich zwei Stunden, die übrige Zeit war mit RePeti¬
tionen und dem Besuch der Akademie der italienischen, französischen oder grie¬
chischen Sprache besetzt. Die gemeinschaftlichen Gesangsübungen, die unter Lei¬
tung eines musikalisch gebildeten Zöglings angestellt wurden, erstreckten sich nur
auf kirchliche Lieder. Doch bestand auch ein Singkränzchen, welches sich in allerlei
Gesängen versuchte, aber mit seinen Eiuübungen und Vorträgen fast nur auf
die Donnerstage beschränkt war, wo die Zöglinge die Villa San Saba besuch¬
ten. In der Liturgik wurden die jungen Leute von dein waULtvr cer"mouia-
rum eingeschult. Erst nach langen Uebungen und nach Empfang der Tonsur
und der vier niedern Weihen gestattete man denselben, die Dienste in der Kirche
bei der öffentlichen Meßfeier und Vesper zu verrichten. Der Ceremonienmeister
paßte dabei scharf auf, ob die Verbeugungen, das Riedertnicn und so weiter
nach Vorschrift executire wurden, und rügte Verstöße durch Verhängung von
Zrrafexercitien. So kam es. daß diese Dinge von den Germanikern schließlich
mit einer Accuratesse ausgeführt wurden, welche selbst bei den Ceremvnienmeistern
von Cardinälen, die gelcgentUch erschtenen, Bewunderung erregte. /

Endlich wurde auch das Predigen geübt. Alle Sonn- und Festtage mußte einer
der Theologen in der Aula des Hauses vom Katheder herab vor dem versam¬
melten Collegium eine selbstverfertigte deutsche Predigt halten, die nachher vom
Rector oder einem der Studirenden kritisirt wurde. Die Philosophen trugen
darauf ein auswendig gelerntes Stück irgend einer gedruckten Predigt vor, da
es bei thnen zunächst darauf ankam, sich den äußern Anstand eines Kanzelredners
anzueignen. Alle Sonntage erhielt .einer der Theologen eure halbe Stunde vor
dem Mittagsessen einen vom Pater Rector ausgewählten Bibeltext, über den
er im Speisesaal extemporiren mußte, während die Uebrigen aßen.

Das Leben im Collegium Gcrmanicum war ein sehr ernstes. Mit Aus¬
nahme der Recreationsstunden nach Tische, in denen es auch noch sehr gemessen
herging, herrschte im Hause selbst tiefes Schweigen. Die Obern hatten eine
eigenthümliche Einrichtung getroffen, um sich fortwährend in genauer Kenntniß ,
der Stimmung jedes Einzelnen zu erhalten. Jeder Zögling des Hauses nämlich


Diese Geschichte flößte unserm Verfasser die ernste Furcht ein, der Teufel
möchte auch ihm einmal einen solchen Streich spielen. „Mit ängstlicher Sorg¬
falt," so erzählt er, „hol? ich wochenlang beim Schlafengehen die Bettdecke auf,
aus Furcht der Teufel möchte darunter liegen, und nicht eher stieg ich ins Bett,
als bis ich mich gründlich überzeugt hatte, daß der Böse auch nicht unter der
Bettstelle stecke. Bei dieser Untersuchung bewaffnete ich mich für den Fall der
Noth mit dem geweihten Palmzweig, den ich zuvor ins Weihwasser tauchte.
Ich besprengte schließlich das Bett kreuzweis und wagte erst dann zur Ruhe
zu gehen."

Durchschnittlich blieben den Zöglingen des Germanicums zum Privatstu¬
dium auf ihren Zellen täglich zwei Stunden, die übrige Zeit war mit RePeti¬
tionen und dem Besuch der Akademie der italienischen, französischen oder grie¬
chischen Sprache besetzt. Die gemeinschaftlichen Gesangsübungen, die unter Lei¬
tung eines musikalisch gebildeten Zöglings angestellt wurden, erstreckten sich nur
auf kirchliche Lieder. Doch bestand auch ein Singkränzchen, welches sich in allerlei
Gesängen versuchte, aber mit seinen Eiuübungen und Vorträgen fast nur auf
die Donnerstage beschränkt war, wo die Zöglinge die Villa San Saba besuch¬
ten. In der Liturgik wurden die jungen Leute von dein waULtvr cer«mouia-
rum eingeschult. Erst nach langen Uebungen und nach Empfang der Tonsur
und der vier niedern Weihen gestattete man denselben, die Dienste in der Kirche
bei der öffentlichen Meßfeier und Vesper zu verrichten. Der Ceremonienmeister
paßte dabei scharf auf, ob die Verbeugungen, das Riedertnicn und so weiter
nach Vorschrift executire wurden, und rügte Verstöße durch Verhängung von
Zrrafexercitien. So kam es. daß diese Dinge von den Germanikern schließlich
mit einer Accuratesse ausgeführt wurden, welche selbst bei den Ceremvnienmeistern
von Cardinälen, die gelcgentUch erschtenen, Bewunderung erregte. /

Endlich wurde auch das Predigen geübt. Alle Sonn- und Festtage mußte einer
der Theologen in der Aula des Hauses vom Katheder herab vor dem versam¬
melten Collegium eine selbstverfertigte deutsche Predigt halten, die nachher vom
Rector oder einem der Studirenden kritisirt wurde. Die Philosophen trugen
darauf ein auswendig gelerntes Stück irgend einer gedruckten Predigt vor, da
es bei thnen zunächst darauf ankam, sich den äußern Anstand eines Kanzelredners
anzueignen. Alle Sonntage erhielt .einer der Theologen eure halbe Stunde vor
dem Mittagsessen einen vom Pater Rector ausgewählten Bibeltext, über den
er im Speisesaal extemporiren mußte, während die Uebrigen aßen.

Das Leben im Collegium Gcrmanicum war ein sehr ernstes. Mit Aus¬
nahme der Recreationsstunden nach Tische, in denen es auch noch sehr gemessen
herging, herrschte im Hause selbst tiefes Schweigen. Die Obern hatten eine
eigenthümliche Einrichtung getroffen, um sich fortwährend in genauer Kenntniß ,
der Stimmung jedes Einzelnen zu erhalten. Jeder Zögling des Hauses nämlich


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[0504] Diese Geschichte flößte unserm Verfasser die ernste Furcht ein, der Teufel möchte auch ihm einmal einen solchen Streich spielen. „Mit ängstlicher Sorg¬ falt," so erzählt er, „hol? ich wochenlang beim Schlafengehen die Bettdecke auf, aus Furcht der Teufel möchte darunter liegen, und nicht eher stieg ich ins Bett, als bis ich mich gründlich überzeugt hatte, daß der Böse auch nicht unter der Bettstelle stecke. Bei dieser Untersuchung bewaffnete ich mich für den Fall der Noth mit dem geweihten Palmzweig, den ich zuvor ins Weihwasser tauchte. Ich besprengte schließlich das Bett kreuzweis und wagte erst dann zur Ruhe zu gehen." Durchschnittlich blieben den Zöglingen des Germanicums zum Privatstu¬ dium auf ihren Zellen täglich zwei Stunden, die übrige Zeit war mit RePeti¬ tionen und dem Besuch der Akademie der italienischen, französischen oder grie¬ chischen Sprache besetzt. Die gemeinschaftlichen Gesangsübungen, die unter Lei¬ tung eines musikalisch gebildeten Zöglings angestellt wurden, erstreckten sich nur auf kirchliche Lieder. Doch bestand auch ein Singkränzchen, welches sich in allerlei Gesängen versuchte, aber mit seinen Eiuübungen und Vorträgen fast nur auf die Donnerstage beschränkt war, wo die Zöglinge die Villa San Saba besuch¬ ten. In der Liturgik wurden die jungen Leute von dein waULtvr cer«mouia- rum eingeschult. Erst nach langen Uebungen und nach Empfang der Tonsur und der vier niedern Weihen gestattete man denselben, die Dienste in der Kirche bei der öffentlichen Meßfeier und Vesper zu verrichten. Der Ceremonienmeister paßte dabei scharf auf, ob die Verbeugungen, das Riedertnicn und so weiter nach Vorschrift executire wurden, und rügte Verstöße durch Verhängung von Zrrafexercitien. So kam es. daß diese Dinge von den Germanikern schließlich mit einer Accuratesse ausgeführt wurden, welche selbst bei den Ceremvnienmeistern von Cardinälen, die gelcgentUch erschtenen, Bewunderung erregte. / Endlich wurde auch das Predigen geübt. Alle Sonn- und Festtage mußte einer der Theologen in der Aula des Hauses vom Katheder herab vor dem versam¬ melten Collegium eine selbstverfertigte deutsche Predigt halten, die nachher vom Rector oder einem der Studirenden kritisirt wurde. Die Philosophen trugen darauf ein auswendig gelerntes Stück irgend einer gedruckten Predigt vor, da es bei thnen zunächst darauf ankam, sich den äußern Anstand eines Kanzelredners anzueignen. Alle Sonntage erhielt .einer der Theologen eure halbe Stunde vor dem Mittagsessen einen vom Pater Rector ausgewählten Bibeltext, über den er im Speisesaal extemporiren mußte, während die Uebrigen aßen. Das Leben im Collegium Gcrmanicum war ein sehr ernstes. Mit Aus¬ nahme der Recreationsstunden nach Tische, in denen es auch noch sehr gemessen herging, herrschte im Hause selbst tiefes Schweigen. Die Obern hatten eine eigenthümliche Einrichtung getroffen, um sich fortwährend in genauer Kenntniß , der Stimmung jedes Einzelnen zu erhalten. Jeder Zögling des Hauses nämlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/504>, abgerufen am 08.01.2025.