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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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des theologischen Cursus in wöchentlich zwei Stunden vorgenommen, und zwar
nur während dieses einen Jahres.

In der Philosophie und Theologie fanden jede Woche -- meist Sonnabends
-- öffentliche Uebungen der Zöglinge statt. Ein dazu gewählter Schüler wie¬
derholte dabei von einem der Lehrkanzel gegenüber angebrachten Sitze aus die'
Grundzüge des Vertrags, den der Professor im Lauf der Woche gehalten, und
letzterer griff, wo es nöthig, ergänzend und verbessernd ein. Dem Vortragen¬
den oder Defensor waren zwei Opponenten gegenübergestellt, welche am Schluß
ihre Argumente vorbrachten.

Ernsterer Natur war die monatliche Disputation, mer^ti'ug, genannt, an
welcher der Rector und die Professoren des Kollegiums sowie bisweilen fremde
Geistliche teilnahmen. Nur die tüchtigsten Schüler wurden dazu auserlesen,
und nicht selten geschah es, daß einer der zuhörenden Professoren die Partei
der Opponenten ergriff und in scharfen Streit mit dem College" gerieth, welcher
dem Defensor zur Seite stand. Bisweilen begab sichs sogar, daß die Heftig¬
keit der Parteien den Rector zum Einschreiten nöthigte. "Ich entsinne mich,"
erzählt unser Berichterstatter, "daß einmal ein älterer Professor (es war der
Pater Van Evernvroek) dem genialen und in kühnen Behauptungen extravagi-
renden Passaglia entgegen, über dessen roof.e, ot MÄuclitg." söntentias ereifert,
erstlich seine rothe Perrücke lüftete, und als Passaglia ihm nicht weichen wollte,
sein Baret ergriff und in großer Aufregung den Hörsaal verließ." An einer
andern Stelle berichtet unsere Schrift, daß Passaglia über den Zorn des Herrn
Kollegen gelacht und daß dies ihm übel bekommen. Es wurde ihm nämlich
"vom Rector zur Uebung in der Demuth aufgegeben, sich quer vor den Ein¬
gang des Refectoriums auf den Boden zu legen, so daß alle, die zum Mittags-
essen kamen, über ihn hinwegschreiten mußten." -- "Wörtlich wahr!" bemerkt
unser Erzähler. Und ein anmuthiges Seitenstück zu der Strafe Uriel Acosta's
in der Judcnschule, erlauben wir uns hinzuzufügen.

Halbjährlich wurden von den Professoren Examina, die mehrere Wochen
dauerten und bei denen sehr streng verfahren wurde. angestellt, und am Ende
des Schuljahres veranstalteten die Studirenden der Philosophie in der Aula
maxima einen Actus publicus, bei welchem zunächst ein oder zwei Jesuitcnscho-
lastiker schön stylisirte lateinische Reden hielten und dann andere Zöglinge folg¬
ten, die durch Vertheidigung von Thesen gegen Angriffe, welche man ihnen
vorher notificirt hatte, sich um den philosophischen Doctorgrad bewarben. In
ungleich höherem Ansehen stand die theologische Doctorpromotion. zu welcher
nur solche Schüler der Jesuiten gelassen wurden, welche sich durch außerordent'
liebes Talent auszeichneten, und von denen man überzeugt war, daß sie sich in
jeder Beziehung bewähren würden.

Die Jesuiten lieben es, daß die Anfänger ihre Studien unter steter An-


des theologischen Cursus in wöchentlich zwei Stunden vorgenommen, und zwar
nur während dieses einen Jahres.

In der Philosophie und Theologie fanden jede Woche — meist Sonnabends
— öffentliche Uebungen der Zöglinge statt. Ein dazu gewählter Schüler wie¬
derholte dabei von einem der Lehrkanzel gegenüber angebrachten Sitze aus die'
Grundzüge des Vertrags, den der Professor im Lauf der Woche gehalten, und
letzterer griff, wo es nöthig, ergänzend und verbessernd ein. Dem Vortragen¬
den oder Defensor waren zwei Opponenten gegenübergestellt, welche am Schluß
ihre Argumente vorbrachten.

Ernsterer Natur war die monatliche Disputation, mer^ti'ug, genannt, an
welcher der Rector und die Professoren des Kollegiums sowie bisweilen fremde
Geistliche teilnahmen. Nur die tüchtigsten Schüler wurden dazu auserlesen,
und nicht selten geschah es, daß einer der zuhörenden Professoren die Partei
der Opponenten ergriff und in scharfen Streit mit dem College» gerieth, welcher
dem Defensor zur Seite stand. Bisweilen begab sichs sogar, daß die Heftig¬
keit der Parteien den Rector zum Einschreiten nöthigte. „Ich entsinne mich,"
erzählt unser Berichterstatter, „daß einmal ein älterer Professor (es war der
Pater Van Evernvroek) dem genialen und in kühnen Behauptungen extravagi-
renden Passaglia entgegen, über dessen roof.e, ot MÄuclitg.« söntentias ereifert,
erstlich seine rothe Perrücke lüftete, und als Passaglia ihm nicht weichen wollte,
sein Baret ergriff und in großer Aufregung den Hörsaal verließ." An einer
andern Stelle berichtet unsere Schrift, daß Passaglia über den Zorn des Herrn
Kollegen gelacht und daß dies ihm übel bekommen. Es wurde ihm nämlich
„vom Rector zur Uebung in der Demuth aufgegeben, sich quer vor den Ein¬
gang des Refectoriums auf den Boden zu legen, so daß alle, die zum Mittags-
essen kamen, über ihn hinwegschreiten mußten." — „Wörtlich wahr!" bemerkt
unser Erzähler. Und ein anmuthiges Seitenstück zu der Strafe Uriel Acosta's
in der Judcnschule, erlauben wir uns hinzuzufügen.

Halbjährlich wurden von den Professoren Examina, die mehrere Wochen
dauerten und bei denen sehr streng verfahren wurde. angestellt, und am Ende
des Schuljahres veranstalteten die Studirenden der Philosophie in der Aula
maxima einen Actus publicus, bei welchem zunächst ein oder zwei Jesuitcnscho-
lastiker schön stylisirte lateinische Reden hielten und dann andere Zöglinge folg¬
ten, die durch Vertheidigung von Thesen gegen Angriffe, welche man ihnen
vorher notificirt hatte, sich um den philosophischen Doctorgrad bewarben. In
ungleich höherem Ansehen stand die theologische Doctorpromotion. zu welcher
nur solche Schüler der Jesuiten gelassen wurden, welche sich durch außerordent'
liebes Talent auszeichneten, und von denen man überzeugt war, daß sie sich in
jeder Beziehung bewähren würden.

Die Jesuiten lieben es, daß die Anfänger ihre Studien unter steter An-


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[0502] des theologischen Cursus in wöchentlich zwei Stunden vorgenommen, und zwar nur während dieses einen Jahres. In der Philosophie und Theologie fanden jede Woche — meist Sonnabends — öffentliche Uebungen der Zöglinge statt. Ein dazu gewählter Schüler wie¬ derholte dabei von einem der Lehrkanzel gegenüber angebrachten Sitze aus die' Grundzüge des Vertrags, den der Professor im Lauf der Woche gehalten, und letzterer griff, wo es nöthig, ergänzend und verbessernd ein. Dem Vortragen¬ den oder Defensor waren zwei Opponenten gegenübergestellt, welche am Schluß ihre Argumente vorbrachten. Ernsterer Natur war die monatliche Disputation, mer^ti'ug, genannt, an welcher der Rector und die Professoren des Kollegiums sowie bisweilen fremde Geistliche teilnahmen. Nur die tüchtigsten Schüler wurden dazu auserlesen, und nicht selten geschah es, daß einer der zuhörenden Professoren die Partei der Opponenten ergriff und in scharfen Streit mit dem College» gerieth, welcher dem Defensor zur Seite stand. Bisweilen begab sichs sogar, daß die Heftig¬ keit der Parteien den Rector zum Einschreiten nöthigte. „Ich entsinne mich," erzählt unser Berichterstatter, „daß einmal ein älterer Professor (es war der Pater Van Evernvroek) dem genialen und in kühnen Behauptungen extravagi- renden Passaglia entgegen, über dessen roof.e, ot MÄuclitg.« söntentias ereifert, erstlich seine rothe Perrücke lüftete, und als Passaglia ihm nicht weichen wollte, sein Baret ergriff und in großer Aufregung den Hörsaal verließ." An einer andern Stelle berichtet unsere Schrift, daß Passaglia über den Zorn des Herrn Kollegen gelacht und daß dies ihm übel bekommen. Es wurde ihm nämlich „vom Rector zur Uebung in der Demuth aufgegeben, sich quer vor den Ein¬ gang des Refectoriums auf den Boden zu legen, so daß alle, die zum Mittags- essen kamen, über ihn hinwegschreiten mußten." — „Wörtlich wahr!" bemerkt unser Erzähler. Und ein anmuthiges Seitenstück zu der Strafe Uriel Acosta's in der Judcnschule, erlauben wir uns hinzuzufügen. Halbjährlich wurden von den Professoren Examina, die mehrere Wochen dauerten und bei denen sehr streng verfahren wurde. angestellt, und am Ende des Schuljahres veranstalteten die Studirenden der Philosophie in der Aula maxima einen Actus publicus, bei welchem zunächst ein oder zwei Jesuitcnscho- lastiker schön stylisirte lateinische Reden hielten und dann andere Zöglinge folg¬ ten, die durch Vertheidigung von Thesen gegen Angriffe, welche man ihnen vorher notificirt hatte, sich um den philosophischen Doctorgrad bewarben. In ungleich höherem Ansehen stand die theologische Doctorpromotion. zu welcher nur solche Schüler der Jesuiten gelassen wurden, welche sich durch außerordent' liebes Talent auszeichneten, und von denen man überzeugt war, daß sie sich in jeder Beziehung bewähren würden. Die Jesuiten lieben es, daß die Anfänger ihre Studien unter steter An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/502>, abgerufen am 08.01.2025.