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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Gelüste folgend, im Laufe eines Jahrhunderts viermal das Grundgesetz der
Monarchie willkürlich änderte, hat er selbst der Idee der Legitimität einen
tödtlichen Stoß versetzt und das Rechtsbewußtsein im Volke völlig untergraben.
Uns ist kein Beispiel despotischer oder revolutionärer Willkür bekannt,
welches in gleichem Maße der politischen Moral Hohn spräche, wie die Ge¬
schichte des spanischen Erbsolgegesetzes. Wenigstens darf man Beispiele zur
Begleichung in keinem andern Lande, als in Spanien selbst suchen, dem ein¬
zigen modernen Staate, in dem, wenn wir von der ruhmvollen Regierung
Karls des Dritten absehen, die Monarchie nicht ein Werkzeug des Fortschritts
der Civilisation, sondern eine sast ununterbrochene Quelle des Leidens, der
Erniedrigung und Verderbnis? gewesen ist.

Dem dynastischen Familieninteresse Ludwig Philipps mußte die Sanctioni-
rung der weiblichen Erbfolge in hohem Grade unerwünscht sein. Es war da¬
her natürlich, daß er in Gemeinschaft mit Neapel anfangs die Versuche der
älteren bourbonischen Linie, dem neuen Erbfolgegesctze Hindernisse in den Weg
zu legen, fortsetzte. Nachdem jedoch die weibliche Erbfolge einmal vollendete
Thatsache geworden war, sprachen gewichtige Gründe dafür, dieselbe ohne-
Hintergedanken anzuerkennen. Es war nämlich unzweifelhaft, daß die öffent¬
liche Meinung in Frankreich durch eine Parteinahme für Don Carlos, den
fanatischen Vertreter des starrsten Absolutismus in bedenklichem Grade würde
aufgeregt werden; und auf einen Conflict mit dem französischen Liberalismus
konnte der König es nicht ankommen lassen. Von gleichem Gewicht war die
Rücksicht, die man auf England zu nehmen hatte. England wurde aber, von
allen andern Verhältnissen abgesehen, schon dadurch zur Parteinahme gegen Don
Carlos bestimmt, daß dieser der Verbündete des Don Miguel war. Ein Sieg
des durch klerikale Tendenzen gesteigerten Absolutismus in Spanien und Por¬
tugal würde aber für Englands Einfluß auf der Halbinsel der Todesstoß ge¬
wesen sein. Da nun Frankreich einen Bruch mit England um jeden Preis
zu vermeiden wünschte, so blieb ihm nichts übrig, als der Versuch, durch engen
Anschluß an die englische Politik auch an dem englischen Einfluß Antheil zu
gewinnen. Das englische Cabinet nahm natürlich die Mitwirkung Frankreichs
sehr gern an. jedoch mit dem stillen Vorbehalt, keine Gelegenheit unbenutzt
vorübergehen zu lassen, um dem unbequemen Rivalen den Vorsprung abzu¬
gewinnen.

Als Frankreich für die Sache der Königin eintrat, war man schwerlich dar¬
auf gefaßt, daß das neue Regime in Spanien Jahre lang um seine Existenz
würde zu kämpfen haben. Aber schon im Herbste 1833 begannen die karlisti-
schen Bewegungen und nahmen bald einen erhöhten Aufschwung. Ehe sich noch
die Größe der drohenden Gefahr berechnen ließ, hatte der Herzog von Broglie
der Königin Regentin und ihrem Minister Bermudez förmlich seine Hülfe,


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Gelüste folgend, im Laufe eines Jahrhunderts viermal das Grundgesetz der
Monarchie willkürlich änderte, hat er selbst der Idee der Legitimität einen
tödtlichen Stoß versetzt und das Rechtsbewußtsein im Volke völlig untergraben.
Uns ist kein Beispiel despotischer oder revolutionärer Willkür bekannt,
welches in gleichem Maße der politischen Moral Hohn spräche, wie die Ge¬
schichte des spanischen Erbsolgegesetzes. Wenigstens darf man Beispiele zur
Begleichung in keinem andern Lande, als in Spanien selbst suchen, dem ein¬
zigen modernen Staate, in dem, wenn wir von der ruhmvollen Regierung
Karls des Dritten absehen, die Monarchie nicht ein Werkzeug des Fortschritts
der Civilisation, sondern eine sast ununterbrochene Quelle des Leidens, der
Erniedrigung und Verderbnis? gewesen ist.

Dem dynastischen Familieninteresse Ludwig Philipps mußte die Sanctioni-
rung der weiblichen Erbfolge in hohem Grade unerwünscht sein. Es war da¬
her natürlich, daß er in Gemeinschaft mit Neapel anfangs die Versuche der
älteren bourbonischen Linie, dem neuen Erbfolgegesctze Hindernisse in den Weg
zu legen, fortsetzte. Nachdem jedoch die weibliche Erbfolge einmal vollendete
Thatsache geworden war, sprachen gewichtige Gründe dafür, dieselbe ohne-
Hintergedanken anzuerkennen. Es war nämlich unzweifelhaft, daß die öffent¬
liche Meinung in Frankreich durch eine Parteinahme für Don Carlos, den
fanatischen Vertreter des starrsten Absolutismus in bedenklichem Grade würde
aufgeregt werden; und auf einen Conflict mit dem französischen Liberalismus
konnte der König es nicht ankommen lassen. Von gleichem Gewicht war die
Rücksicht, die man auf England zu nehmen hatte. England wurde aber, von
allen andern Verhältnissen abgesehen, schon dadurch zur Parteinahme gegen Don
Carlos bestimmt, daß dieser der Verbündete des Don Miguel war. Ein Sieg
des durch klerikale Tendenzen gesteigerten Absolutismus in Spanien und Por¬
tugal würde aber für Englands Einfluß auf der Halbinsel der Todesstoß ge¬
wesen sein. Da nun Frankreich einen Bruch mit England um jeden Preis
zu vermeiden wünschte, so blieb ihm nichts übrig, als der Versuch, durch engen
Anschluß an die englische Politik auch an dem englischen Einfluß Antheil zu
gewinnen. Das englische Cabinet nahm natürlich die Mitwirkung Frankreichs
sehr gern an. jedoch mit dem stillen Vorbehalt, keine Gelegenheit unbenutzt
vorübergehen zu lassen, um dem unbequemen Rivalen den Vorsprung abzu¬
gewinnen.

Als Frankreich für die Sache der Königin eintrat, war man schwerlich dar¬
auf gefaßt, daß das neue Regime in Spanien Jahre lang um seine Existenz
würde zu kämpfen haben. Aber schon im Herbste 1833 begannen die karlisti-
schen Bewegungen und nahmen bald einen erhöhten Aufschwung. Ehe sich noch
die Größe der drohenden Gefahr berechnen ließ, hatte der Herzog von Broglie
der Königin Regentin und ihrem Minister Bermudez förmlich seine Hülfe,


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[0491] Gelüste folgend, im Laufe eines Jahrhunderts viermal das Grundgesetz der Monarchie willkürlich änderte, hat er selbst der Idee der Legitimität einen tödtlichen Stoß versetzt und das Rechtsbewußtsein im Volke völlig untergraben. Uns ist kein Beispiel despotischer oder revolutionärer Willkür bekannt, welches in gleichem Maße der politischen Moral Hohn spräche, wie die Ge¬ schichte des spanischen Erbsolgegesetzes. Wenigstens darf man Beispiele zur Begleichung in keinem andern Lande, als in Spanien selbst suchen, dem ein¬ zigen modernen Staate, in dem, wenn wir von der ruhmvollen Regierung Karls des Dritten absehen, die Monarchie nicht ein Werkzeug des Fortschritts der Civilisation, sondern eine sast ununterbrochene Quelle des Leidens, der Erniedrigung und Verderbnis? gewesen ist. Dem dynastischen Familieninteresse Ludwig Philipps mußte die Sanctioni- rung der weiblichen Erbfolge in hohem Grade unerwünscht sein. Es war da¬ her natürlich, daß er in Gemeinschaft mit Neapel anfangs die Versuche der älteren bourbonischen Linie, dem neuen Erbfolgegesctze Hindernisse in den Weg zu legen, fortsetzte. Nachdem jedoch die weibliche Erbfolge einmal vollendete Thatsache geworden war, sprachen gewichtige Gründe dafür, dieselbe ohne- Hintergedanken anzuerkennen. Es war nämlich unzweifelhaft, daß die öffent¬ liche Meinung in Frankreich durch eine Parteinahme für Don Carlos, den fanatischen Vertreter des starrsten Absolutismus in bedenklichem Grade würde aufgeregt werden; und auf einen Conflict mit dem französischen Liberalismus konnte der König es nicht ankommen lassen. Von gleichem Gewicht war die Rücksicht, die man auf England zu nehmen hatte. England wurde aber, von allen andern Verhältnissen abgesehen, schon dadurch zur Parteinahme gegen Don Carlos bestimmt, daß dieser der Verbündete des Don Miguel war. Ein Sieg des durch klerikale Tendenzen gesteigerten Absolutismus in Spanien und Por¬ tugal würde aber für Englands Einfluß auf der Halbinsel der Todesstoß ge¬ wesen sein. Da nun Frankreich einen Bruch mit England um jeden Preis zu vermeiden wünschte, so blieb ihm nichts übrig, als der Versuch, durch engen Anschluß an die englische Politik auch an dem englischen Einfluß Antheil zu gewinnen. Das englische Cabinet nahm natürlich die Mitwirkung Frankreichs sehr gern an. jedoch mit dem stillen Vorbehalt, keine Gelegenheit unbenutzt vorübergehen zu lassen, um dem unbequemen Rivalen den Vorsprung abzu¬ gewinnen. Als Frankreich für die Sache der Königin eintrat, war man schwerlich dar¬ auf gefaßt, daß das neue Regime in Spanien Jahre lang um seine Existenz würde zu kämpfen haben. Aber schon im Herbste 1833 begannen die karlisti- schen Bewegungen und nahmen bald einen erhöhten Aufschwung. Ehe sich noch die Größe der drohenden Gefahr berechnen ließ, hatte der Herzog von Broglie der Königin Regentin und ihrem Minister Bermudez förmlich seine Hülfe, 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/491>, abgerufen am 08.01.2025.